Ben Salomo und Ludwig Greven - 26. November 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

"In der Rap-Szene existiert ein judenfeindliches Grundrauschen"


Ben Salomo im Gespräch

Während in Deutschland Synagogen brannten, konnte mein Großvater aus Europa flüchten. Er entging den Flammen der Todesöfen, wäre er Einer der sechs Millionen, würde keiner heut meine Botschaft hören– mit einschlägigen Textzeilen wie aus dem Track Identität“ hat sich der in Berlin aufgewachsene Israeli Jonathan Kalmanovic unter dem Künstlernamen Ben Salomo in der Rap-Szene ein außergewöhnliches Standing erarbeitet. In seiner Musik verarbeitet er seine jüdische Identität – eine Ausnahme im Deutsch-Rap, der immer wieder durch gewaltverherrlichende, homophobe, frauenverachtende und antisemitische Tendenzen auffällt. Im Gespräch gibt Ben Salomo Einblick in die Szene und schildert seine Position dazu. 

 

Ludwig Greven: Jüdische Musik verbindet man vor allem mit Klezmer. Wie sind Sie als jüdischer weißer“ Musiker zum ursprünglich von Schwarzen geprägten Rap gekommen? 

Ben Salomo: Erst mal finde ich es ein Missverständnis, dass ich weiß bin. Plötzlich heißt es, Juden seien mit Macht versehene Weiße, obwohl sie 2.000 Jahre lang verfolgt wurden. Diese simplifizierte Eingruppierung durch Postkolonialisten und Antirassisten ignoriert außerdem, dass 50 Prozent der Juden äußerlich gar nicht dem europäischen Typ entsprechen. Ich sehe mich auch nicht darin. Ich bin ein Orientale. Die meisten Juden sind es, auch wenn manche im Lauf der Geschichte ein europäischeres Aussehen entwickelt haben. Zum Rap bin ich dadurch gekommen, dass ich schon als Kind gerne gereimt habe. Musik wurde mir ebenfalls in die Wiege gelegt. Meine Mutter spielte Klavier, mein Vater etwas Gitarre. Als dann Rap auftauchte, konnte ich beides kombinieren, meine Freude am Reimen und an der Musik, und ich merkte, dass ich damit sehr vielen angestauten Emotionen ein Ventil geben konnte. 

 

Rap ist wie Hip-Hop ursprünglich in Schwarzen-Ghettos in den USA entstanden. Weshalb transportiert er heute so viel Aggression gegen Minderheiten? 

Ja und nein, denn schon in der Frühphase des Rap und Hip-Hop haben sich daran auch Puerto Ricaner und andere Minderheiten aus sozialschwachen Gegenden New Yorks beteiligt, auch Juden. Der Anfang von Rap war im Grunde reine Partykultur. Bevor darin Lebensrealitäten verarbeitet wurden, ging es darum, gute Stimmung zu verbreiten – zunächst nur als Pausenfüller, wenn der DJ die nächste Platte auflegte. Im Lauf der Zeit sind dann Inhalte hineingekommen, die man heute zu Recht als problematisch ansieht, weil sich weitere soziale Schichten seiner Popularität bedient haben. Zudem ist es naiv zu glauben, wenn eine Bevölkerungsgruppe einer Diskriminierung ausgesetzt ist, dass sie das automatisch zu Anti-Diskriminierern“ macht. 

 

Aber wieso sind gerade im Gangsta-Rap gewaltverherrlichende, frauenverachtende, rassistische und judenfeindliche Inhalte so dominant? 

Im Gangsta-Rap, dem seit Langem erfolgreichsten Genre des Rap, steckt nicht mehr dessen ursprüngliche Hip-Hop-Kultur, sondern im weiteren Sinne eine Gefängniskultur. In ihr finden wir vieles davon wieder: Abgrenzung von anderen Gruppen, Gewalt und Drogen, ein komplett verdrehtes Werteverständnis, meistens sehr bildungsfern. Der Gewalttätige ist der, der das Sagen hat. Sexuelle Erniedrigung ist Teil davon. Dass der Gangsta-Rap gerade in Deutschland auch stark antisemitisch ist, hat damit zu tun, dass viele der Rapper aus migrantisch-muslimischen Communitys stammen. In Teilen dieser Communitys gelten Juden als mächtige Drahtzieher hinter den Kulissen, Israel als das Böse schlechthin. Dadurch finden diese Weltbilder Eingang in die Texte. 

 

Wieso ist diese Musik unter Jugendlichen so populär? 

Jugendliche, die aus einem ähnlichen sozialen Milieu wie die Rapper kommen und sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, sehen die Musiker als Vorbilder an. Sie versuchen sie nachzuahmen. Sie wecken in ihnen Träume und Hoffnungen, reich zu werden und es eines Tages aus dem Ghetto zu schaffen. Ähnlich wie große Sportler. Bei anderen Jugendlichen, die eher aus dem privilegierteren Teil der Gesellschaft kommen, wird die Faszination dadurch genährt, dass diese Rapper etwas reflektieren, was für viele jenseits der eigenen geordneten, langweiligen Realität liegt. Es ist eine Form von Flucht oder auch Sozialvoyeurismus. 

 

… die Faszination des Bösen. 

Könnte man sagen. Das finden wir ja auch in Filmen oder der Literatur, in Märchen und Räubergeschichten. Das gab es schon immer: der Böse als Anti-Held. Der Haken ist nur, dass die Gangsta-Rapper sich selbst als authentische Sprecher inszenieren, nicht als Kunstfiguren. Dadurch werden die Trennlinien zwischen Kunst und Realperson verwischt. Zudem sind die Hälfte der Konsumenten minderjährig und damit leicht verführbar für die Inhalte, die diese Rapper vermitteln. 

 

Werden Jugendliche zu Rassisten und Antisemiten, weil sie solche Songs hören? Oder hören sie diese, weil sie solche Ressentiments in sich tragen? 

Eine Studie der Uni Bielefeld kam in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass Leute, die viel Gangsta-Rap hören, zu 56 Prozent dazu neigen, mit der Zeit antisemitischen und frauenfeindlichen Aussagen zuzustimmen. Weitere Studien müssen nun klären, ob sie durch den Rap erst zu diesen Haltungen kommen oder ob sie die schon haben und durch die Inhalte im Rap darin bestärkt werden. Die Forscher vermuten, dass sich diese Phänomene von beiden Seiten annähern. Als Insider habe ich jahrelang erlebt, wie Inhalte mit antisemitischen Verschwörungsmythen oder Israelhass dazu geführt haben, dass sich ein antisemitisches Klima in der Rap-Szene ausgebreitet hat. Viele Konsumenten übernehmen diese Feindbilder leider. Besonders problematisch ist das für Jugendliche. Interessanterweise konnte diese Studie jedoch keine nennenswerte Übernahme rassistischer Ressentiments feststellen. Auch das sollte noch tiefer erforscht werden, denn es beweist, dass Antisemitismus sehr wohl jenseits vom Rassismus auftreten kann. 

 

 

Wie ist man Ihnen in der Rap-Szene begegnet? 

Neben verbalen Attacken gab es auch körperliche Angriffe. In der Rap-Szene existiert ein judenfeindliches Grundrauschen. Durch die Lieder, durch Gespräche, durch Aussagen von Rappern in Interviews wird der Glaube verbreitet, die Juden würden die Welt regieren. Israel ist für die meisten ein satanischer Terrorstaat, sein Existenzrecht wird in weiten Teilen bestritten. Vor diesem Hintergrund wurde ich bei Szene-Events regelmäßig von Rappern oder ihrer Entourage angefeindet. Insbesondere online setzte sich das bei Fans fort. Deshalb habe ich mich von der Szene verabschiedet. Seit meinem Ausstieg werde ich von antisemitischen Netzwerken aus der Rap-Szene mit Hetz- und Rufmordkampagnen überzogen, die darauf aus sind, meiner Reputation zu schaden und mich unglaubwürdig zu machen. Inzwischen ermittelt da auch der Staatsschutz. Langsam gibt es aber Bewegung. So manche jüdischstämmige Künstler können sich nun in dieser Szene eine Daseinsberechtigung erarbeiten, solange sie nicht offen solidarisch mit Israel sind. Damit lässt sich ein Duldungsstatus erlangen. Gleichzeitig kann sich die Rap-Szene damit einen Koscher-Stempel ausstellen, um sich vor Antisemitismusvorwürfen zu immunisieren und ihr Juden- und Israel-Hassproblem zu leugnen. Diese Strategie kennt man ja. Da ich aber auch Israeli bin, war das für mich nie eine Option. Wer Israel das Existenzrecht abspricht, ist in meinen Augen Antisemit. 

 

Ist Rap gefährlich? 

Es ist zwiespältig. Rap kann sehr positiv sein, er kann Menschen empowern und Emotionen zum Ausdruck bringen. Auf der anderen Seite nutzen Leute, die ein verdrehtes Weltbild haben, ihn als Vehikel, um ihre Ideologie zu verbreiten. Sie werden zu geistigen Brandstiftern in Bereiche hinein, wo die Leute nicht ausreichend aufgeklärt sind und wo gerade junge Menschen sehr beeinflussbar und manipulierbar sind. 

 

Wird das gezielt gemacht? 

Ich würde sagen ja. Der Rapper Massiv z. B., von dem sehr viele problematische Stücke stammen, hat 2017 in einem Post bei Facebook damit geprahlt, dass alle seine Alben mit dem Titel Blut gegen Blut“ vom Fernsehsender Al Jazeera gesponsert wurden. Dadurch wird bewusst eine islamistische Agenda und Propaganda gepusht, mit Antisemitismus und Israelhass als Wesensmerkmal. Das sehe ich auch bei vielen anderen Gangsta-Rappern. 

 

Der Wunsch nach simplen Welterklärungen nimmt insgesamt zu. Das erleben wir gerade in der Pandemie. Trifft Rap dieses Bedürfnis? 

Rap-Musik reflektiert unsere Gesellschaft. Rapper, die aus einem bestimmten Milieu kommen, reflektieren sie noch einmal spezieller, weil in der Umgebung, in der sie aufgewachsen sind, die Welt in besonderer Weise in Schwarz und Weiß, gut und böse, unten und oben eingeteilt wird. Ihre Musik wirkt dadurch wie ein Brandbeschleuniger in einer Gesellschaft, die ohnehin polarisiert ist. Juden sind dabei, wie schon immer, ein besonderes Feindbild. Das fällt auf fruchtbaren Boden und macht diese Rapper erfolgreich. 

 

Sie haben sich von der Rap-Szene abgewandt, machen aber weiter Rap-Musik. Fördern Sie damit nicht indirekt auch diese schrecklichen Inhalte? 

Nein, denn ich mache mit Rap etwas anderes. Ich setze den antisemitischen Inhalten der anderen meine Inhalte entgegen, welche von meiner jüdischen Identität geprägt sind, die vollkommen jenseits antisemitischer Stereotypen zu verorten sind. 

 

Haben Sie andere Hörer? 

Ich bewege mich in einer Nische. Ich spreche eine jüdische Perspektive an, und da in Deutschland nur wenige Juden leben, ist die Identifikationsfläche geringer.  

 

In Deduschka, veröffentlicht ein Jahr nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, offizieller Song des Jubiläumsjahrs 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, geht es um Ihren Großvater. Seinetwegen sind Sie als Kleinkind mit Ih
ren Eltern aus Israel nach Deutschland gezogen. Würden Sie diesen Schritt heute noch einmal tun? 

Meine Großeltern und Eltern waren sehr naiv, nach Deutschland zu kommen. Sie haben auf die leeren Versprechen deutscher Politiker gehört, sich auf den Slogan Nie wieder“ und die Entnazifizierung verlassen, von der wir heute wissen, dass sie nur ein Mythos gewesen ist. Ich, als jemand, der hier aufgewachsen ist und der seit seiner Kindheit und Schulzeit in den Hinterhöfen Schönebergs Antisemitismus erlebt hat – heftige Erfahrungen, mit denen ich ein Buch füllen konnte –, bin in gewisser Weise der Leidtragende dieser Naivität. In der Bundesrepublik gab es viele Kontinuitäten von Nazis in Ministerien und Behörden. Vieles ist bis heute nicht aufgearbeitet. Entsprechend haben sich antisemitische Ressentiments in der Gesellschaft erhalten. Dazu kommt die Juden- und Israelfeindlichkeit in Teilen des linken Spektrums und der grassierende Antisemitismus vieler muslimischer Migranten. Manchmal denke ich, in Israel wäre mir das wohl erspart geblieben. 

 

Können Sie mit Ihrer Musik dagegenwirken? 

Vielleicht ein bisschen. Aber ich habe leider nicht die große Reichweite. Meine Musik wird nicht im Radio gespielt, deshalb kennen viele meine Songs nicht, doch davon lasse ich mich nicht beirren. Ich leiste dafür Aufklärungsarbeit an Schulen. Da weise ich unter anderem auch darauf hin, dass der frühe arabische Nationalismus, auf den sich bis heute viele islamistische Terrororganisationen beziehen, mit dem Nationalsozialismus alliiert war. Das ist eine geschichtliche Tatsache, die leider viel zu wenig beleuchtet wird, obwohl sie bis in die Gegenwart hineinwirkt. 

 

Sie haben zwei Kinder. Hören die Rap? 

Ja, aber nicht auf Deutsch, sondern auf Hebräisch. 

 

Werden Sie in Deutschland leben können, wenn es so weitergeht? 

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat gerade wieder einmal eine eindeutig antisemitische Aussage eines Corona-Leugners nicht als solche gewertet. So etwas raubt mir und vielen Juden in Deutschland den Glauben, dass wir in einem Staat leben, der schützt. Es war schon immer so: Wenn Juden irgendwann das Gefühl hatten, dass die Mehrheitsgesellschaft und die Behörden sie nicht mehr schützen, dann haben sie, wenn sie dazu imstande waren, ihre Koffer gepackt und sind woanders hingezogen. Das sind leider Überlegungen, die ich mit meiner Familie täglich habe. Wenn es so weitergeht, kommt es vielleicht von der Idee zum Plan und dann zur Umsetzung. 

 

Vielen Dank.  

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

 


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