Heilige Heimat und neue Weltordnung

Motive des politischen Populismus in der aktuellen Popmusik

 

Ungeachtet solcher generellen Verschiebungen in der popkulturellen Mentalität verfügten die politischen Protagonisten des neuen Rechtspopulismus selber lange Zeit über keinen eigenen Soundtrack. Weder AfD noch Pegida noch der subkulturelle Arm der Bewegung, die Identitären, hatten Rockbands, Rapper oder auch nur Liedermacher von nennenswerter Bedeutung aufzuweisen, die sich ausdrücklich zu ihnen bekennen würden. Auch das hat sich jedoch inzwischen geändert – angefangen mit dem Erfolg des identitären Rappers Chris Ares im Herbst 2019 mit seinem Track Neuer deutscher Standard. Darin rappt er gegen die sogenannten AutotuneMigranten“ und die Clan- und Vergewaltigungsrapper, gegen welche er wieder Werte und Patriotismus“ in den Hip-Hop einführen will; und schaffte es damit auf Platz 1 der Amazon-Charts.  

 

Wesentlichen Aufschwung erhielt der rechtspopulistische Hip-Hop dann allerdings durch den Umstand, dass sich der rechtspopulistische Diskurs zusehends auf die Kommunikation von Verschwörungstheorien zu verschieben begann; wir haben das alle während der Coronapandemie und der Entstehung der sogenannten Querdenker-Szene im politischen Feld beobachten können. Verschwörungstheorien haben im Hip-Hop schon vorher eine Rolle gespielt, man kann das bis zu den Anfängen des US-amerikanischen Hip-Hop zurückverfolgen und zu dessen Verflechtungen mit der Nation of Islam“ des antisemitischen Predigers Louis Farrakhan. In Deutschland war es schon bei Kollegah so, dass sich dessen antisemitische Überzeugungen nicht nur in einzelnen Textzeilen widerspiegelten – wie beim ECHO dann skandalisiert –, sondern etwa schon auch in seinem Video Apokalypse“ aus dem Jahr 2016. Das zeigt eine epische Geschichte der Menschheit im Kampf gegen das Böse – welches als gesichtsloser Herrscher mit einem Davidstern-Ring am Finger porträtiert wird, der das weltweite Bankensystem insgeheim kontrolliert. Am Ende kann er besiegt werden, und nachdem das Böse verschwunden ist, bauen Christen, Muslime und Buddhisten die Welt wieder auf. 

 

Bei dem Rapper Ukvali hieß es 2015 in seinem Track Killumination: Immer wenn ich rap, ist ’ne Botschaft im Anflug / Es geht um Banker, Kokser im Anzug / Sie kontrollieren die Nachrichtensender / Sie berichten von Krisen in islamischen Ländern / Sie würfeln nicht, nein, sie verschwören sich / Fakt ist, die Wahrheit wird nie veröffentlicht / Die Elite will uns am Boden halten. Gemeinsam mit Chris Ares und dem Rapper Absztrakkt brachte er 2019 das Stück Sündenpfuhl der Macht“ heraus, und Absztrakkt (inzwischen unter dem Namen Galstarr) und Ukvali finden sich dann auch wieder auf einem Hip-Hop-Track mit dem Titel Ich mach da nicht mit“ aus dem Frühjahr 2021, der sich als Hymne der Querdenker-Bewegung versteht und eine Art Klassentreffen aller querdenkenden Musiker des Landes darstellt. Zu den weiteren Beteiligten gehört ein aus dem Ruhrpott stammender Rapper namens Goethe – da haben wir dann auch den Bezug der Querdenker zur Waldorfbewegung –; ein Rapper, der früher als Qdenka firmierte und sich nun Holy Smokez nennt; und Xavier Naidoo, in dessen Beitrag es heißt: Ich mach’ da nicht mit / Es kann gar nicht sein, euer Gift kommt niemals in uns’re Körper rein / Die Geschwister und ich, wir wagen den Schritt: Wir machen nicht mit. 

 

TruthRap“ nennen die Beteiligten selbst dieses Genre. In dem Beitrag des Rappers Beatus zu dem Stück Ich mach da nicht mit“ heißt es exemplarisch: Ich mach’ da nicht mit, sie woll’n dass ich mich impf’ / Die Wirtschaft wird gefickt und die Masken sind Pflicht. / Hab vor acht Jahr’n schon damals die Lage geblickt / und es wird alles wahr, doch die Schafe sind blind. / Satanische Sklaven sind apathisch und sick, / Ich sag’: ›Fuck NWO‹ und bewahr’ mein Gesicht.“ Hier zeigt sich der populistische Blick auf die Welt in seiner elementarsten Gestalt: Rapper stellen sich als Widersacher herrschender Eliten dar (NWO ist natürlich die Abkürzung für Neue Weltordnung), denen sie wahres, authentisches Wissen entgegenstellen und einen Durchblick, den die Mehrheit des Volkes (die Schafe) gerade nicht besitzt. Vielleicht lässt sich im Truth-Rap– vor aller konkreten politischen Positionierung – auch ein weiterer Ausdruck des spezifischen Maskulinismus erkennen, der gerade den Deutschrap auszeichnet. Dass es sich meistens, wie ich schon sagte, um rappende Penisse handelt, das drückt sich eben nicht nur in Frauenverachtung aus, sondern auch in der Überzeugung, alles besser zu wissen als der Rest der Welt und dementsprechend alles besser erklären zu können. Deutsche Rapper sind Inbegriffe dessen, was man gerne Mansplainer“ nennt. Meist sind ihre Sprechgesangstexte lediglich unangenehm angeberisch und dabei auch doof; im Truth-Rap gleitet diese Disposition ins politisch Reaktionäre ab. 

Im Truth-Rap mit seinen Verschwörungstheorien und seiner Nähe zur Querdenker-Bewegung sind Schnittstellen mit der Neuen Rechten entstanden, die allerdings nicht stabil sind. Denn die Neue Rechte – und ihr parlamentarischer Arm, die AfD – hat ja von vornherein große Schwierigkeiten damit gehabt, sich die frei flottierenden Impulse der Querdenker-Bewegung zu eigen zu machen. Dazu war man sich lange selbst nicht sicher genug, ob man in der politischen Bearbeitung der Pandemie – wie zu Beginn in den Äußerungen der AfD – auf den starken, autoritären, kontrollierenden Staat setzen soll oder – wie später – dann nicht doch lieber auf den anarchisch-querdenkerischen Widerstand gegen die Autoritäten. Und so fragil wie die Beziehungen der Neuen Rechten zum Querdenkertum bleiben letztlich auch ihre Beziehungen zur Popmusik und im Besonderen zum Hip-Hop – dazu sind ihren Protagonisten und (wenigen) Protagonistinnen kulturelle Identität und die daraus resultierenden kulturellen Reinheitsgebote zu wichtig. Durch letztere werden alle popmusikalischen Formen geächtet, die nicht von rein deutschen, rein weißen, heterosexuellen Männern unter Ausschluss afroamerikanischer oder sonstiger nichtweißer, nichtdeutscher Einflüsse vorgetragen werden – wonach, wie man sich vorstellen kann, nicht mehr viel übrig bleibt. Den dogmatischen Spitzen der neurechten Bewegung ist Popmusik mentalitätsgeschichtlich prinzipiell fremd – denn Popmusik gründet ästhetisch schon immer auf Hybridität, auf der Vermischung von kulturellen Traditionen, auf der Globalisierung. 

 

Kann man also sagen, dass die konstitutive Hybridität des Pop ein utopisches Gegenbild bietet gegen die identitären Verhärtungen des kulturellen und politischen Rechtspopulismus? Einerseits ja: In der kulturellen Situation, in der wir uns befinden, gibt es jenseits von Phänomenen wie dem reaktionären Deutschrock und Deutschrap eben auch breite Strömungen des Pop, die emanzipatorisch und transgressiv, global und eklektizistisch sind; insbesondere im Feld der elektronischen Klubmusik und der dazugehörigen Avantgarde. Hier sind schwule, lesbische, nichtbinäre Kunstschaffende so sichtbar wie noch nie.  

 

Andererseits steht dieser Eklektizismus auch unter zunehmender und immer vehementerer Kritik durch die Sachwalterinnen und Sachwalter einer linken Identitätspolitik. Diesen gilt die Vermischung verschiedener Stile und Traditionen als abzulehnende cultural appropriation. Denn egal, was man womit vermischt – man bekräftigt in dieser Perspektive damit immer irgendein Machtverhältnis; es findet sich garantiert immer irgendein Opfer, das durch die Aneignung der eigenen“ Tradition in seiner Souveränität verletzt wird. 

 

Wer von der wachsenden Hegemonie identitärer Vorstellungen in der Popkultur reden will, darf sich also nicht nur auf die Seite der Rechtspopulisten beschränken: Die Abwehr des anderen und des Hybriden, die Beschwörung der kulturellen Identität und die daraus resultierende Verhärtung hat gegenwärtig alle politischen Lager ergriffen. Für die Kritik des Pop kann das nur heißen, dass sie einen Ort jenseits der verfestigten Frontlinien suchen muss: Die Utopie, die Popmusik immer noch bietet – dass es ein Leben und eine Kultur jenseits der überkommenen Traditionen und Identitäten, jenseits der irdischen Grenzen und Territorien gibt –, muss heute stärker denn je gleichermaßen gegen die Kräfte der linken und rechten Identitätspolitik, gegen die Kräfte der linken und rechten Reaktion verteidigt werden. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Jens Balzer
Jens Balzer ist Journalist und Buchautor.
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