Heilige Heimat und neue Weltordnung

Motive des politischen Populismus in der aktuellen Popmusik

Mit stumpfem Sprechgesang schwingen die einen ihre überzüchteten Trizeps über die Bühne, predigen Hass auf Frauen, Schwule und Juden, während die anderen, völkische Deutschrocker, mit grobem Gitarrengeschrubbe patriotische Gefühle beschwören. Beim Blick in die Hitparaden der letzten Jahre kommt leicht der Verdacht auf, dass Popmusik nur noch reaktionäre Weltbilder pflegt. Der ECHO 2018 endete glanzlos mit einem Skandal, weil die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Preis für das beste deutsche Hip-Hop-Album des Jahres geehrt wurden – obwohl sie darauf die Opfer der Shoah verhöhnen und obwohl das gesamte Werk nur so strotzt vor sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten. Dennoch – oder muss man sagen, deshalb? – war die Platte in den ersten Monaten 200.000 Mal verkauft und 30 Millionen Mal gestreamt worden und erhielt darauf prompt den Preis, der die Kunst ehrte, obgleich er vornehmlich nach den höchsten Verkaufszahlen vergeben wurde. Einen ähnlichen Skandal hatte ein paar Jahre zuvor schon die erfolgreiche Südtiroler Band Frei.Wild ausgelöst, die ihren Deutschrock mit aggressiv patriotischen Texten bestückt. 

 

Der ECHO wurde nach dem Kollegah-und-Farid-Bang-Skandal abgeschafft. Aber das ändert nichts an der gewonnenen Einsicht, dass sich der Mainstream bedenklich nach rechts verschoben hat. Wie konnte es dazu kommen? Hatten wir nicht früher einmal geglaubt, dass Pop sich auf der Seite der Aufrechten, der doch eher links Engagierten befindet? War Pop nicht immer schon ein Medium der Schwachen und der Minderheiten, der Emanzipation? Diese Fragen stellen sich heute viele, und der Kulturkritiker Georg Seeßlen hat denn sogar schon das Ende der Popmusik als emanzipatorischer Ausdrucksform verkündet: Die Legende, dass unsere Musik, unsere Filme, unsere Comics automatisch mit dem Progressiven, Sozialen und Liberalen, mit der Verbesserung der Welt verbunden sein müssten, mit dem Geschmack von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit – diese Legende haben wir schon seit geraumer Zeit begraben. In beinahe jedem musikalischen Genre, jeder Mode, jedem Medium hat sich ein dezidiert rechtes bis faschistoides Segment gebildet.“ Es gebe, so Seeßlen, eine Infiltration durch rechtspopulistische und neofaschistische Kräfte, Identitäre, Neue Rechte, Neocons, Volkstreue und wie auch immer sich das alte Gebräu in den neuen Flaschen nennen mag, kurz: im Pop der Gegenwart herrsche eine rechte Hegemonie“ (Seeßlen, Is This the End? Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung, Berlin 2018). 

 

Ich glaube, dass Seeßlens Diagnose einerseits zutreffend ist, andererseits aber zu kurz greift. Der Pop scheint mir weniger infiltriert“ zu sein durch rechtspopulistische und neofaschistische Kräfte – als dass er vielmehr eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts spiegelt und auch bereits kulturell vorweggenommen hat, bevor sie sich in der jüngeren Vergangenheit politisch entäußert hat. 

 

Worin besteht diese Verschiebung? Im gewachsenen Verlangen nach Tradition, Herkunft und Identität; nach patriarchalen Verhältnissen und einer weniger komplizierten, übersichtlicheren Welt; im Verlangen nach Abgrenzung und Grenzen; in der Abwehr von allem, was man als anders empfindet. Diese Verschiebung ist eine kulturelle; sie läuft dem politischen Wandel seit Jahren voraus und hat ihn mit vorbereitet. Man findet sie in verschiedenen Feldern, besonders deutlich aber in der Popmusik. So sind unter den erfolgreichsten Rockmusikern im deutschsprachigen Raum seit wenigstens einem Jahrzehnt viele Künstler und Gruppen, die sich als patriotisch, traditions- und heimatbewusst inszenieren; etwa die schon erwähnte Südtiroler Band Frei.Wild oder der österreichische Volks-Rock ’n’ Roller“ Andreas Gabalier, der in seiner Musik nostalgische Heimat- und Volksmusikmotive mit nicht minder nostalgischen Rock ’n’ Roll-Klängen aus den 1950er Jahren verbindet. Damit ist Gabalier zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Popmusiker aufgestiegen. Und das nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. 

 

Das ist die eine Seite. Aber die andere ist: Ausschlaggebenden Anteil an der Durchsetzung reaktionärer politischer Inhalte im deutschsprachigen Hitparaden-Mainstream hatten nicht nur patriotische Rocker aus Deutschland, Österreich oder Südtirol. Sondern vor allem auch Deutsch-, Gangsta– und Straßenrapper mit migrantischem, oft muslimischem Kulturhintergrund wie Bushido, Xatar, Haftbefehl und Farid Bang. Dass paläolithischer Maskulinismus und Misogynie, roher Sexismus, Homophobie, Rassismus, Hate Speech und – in pophistorisch bislang unbekanntem Ausmaß – auch antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien in den Charts anzutreffen sind: Das haben wir keinen AfD- oder FPÖ-nahen Patrioten zu verdanken, sondern gerade Künstlern aus jener Bevölkerungsgruppe, die die deutschen Rechtspopulisten am liebsten irgendwohin abschieben“ möchten – die ihnen weltanschaulich aber in Wahrheit viel näher stehen, als man es sich in den offiziellen Verlautbarungen eingesteht. 

 

Diese sonderbare Dialektik gehört zur kulturellen Rechtsverschiebung im Pop wesentlich hinzu: Seit anderthalb Jahrzehnten bewähren sich die rappenden Penisse aus dem Migranten-Hip-Hop als nützliche Idioten für den Rechtspopulismus, der sie einerseits als tabulose und unzivilisierte Sprachrohre seiner Ideologie braucht sowie andererseits als klischeehafte Feindbilder. Denn als muslimisch geprägte Parallelweltbewohner mit einer gern ausgestellten Nähe zur organisierten Kriminalität entsprechen sie ja gerade dem Schreckbild, das der rechte Flügel der Konservativen und die AfD von nicht integrationswilligen Migranten zeichnen. So dienen sie gleichermaßen als stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus – und als Protagonisten jenes patriarchalen Männlichkeits- und Gesellschaftsbilds, das im innersten Kern der rechtspopulistischen Ideologie liegt. 

 

Der Hass auf Frauen und Schwule – Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel“ hieß es schon 2003 bei Bushido – und auf den grassierenden Genderwahnsinn“ (Gabalier) ist eine wesentliche Konstituente des rechtspopulistischen Weltbilds. Eine andere ist die Sehnsucht nach einer von den Zersetzungskräften der Globalisierung unangekränkelten Heimat und Tradition: Ich dulde keine Kritik / an diesem heiligen Land / das unsere Heimat ist, heißt es etwa bei Frei.Wild in dem Lied Südtirol. Freilich findet sich die Liebe zu Heimat und Herkunft auch bei vielen anderen, äußerst erfolgreichen Bands, die sich selber als unpolitisch oder sogar als linksgeprägt bezeichnen würden – etwa bei der norddeutschen Gruppe Santiano, die Rockmusik mit Seemannslied- und Piratenromantik-Motiven verbindet und gerade wieder mit ihrem neuen Album auf den ersten Platz der deutschen Hitparade gekommen ist; oder bei den zahlreichen Mittelalter-Rockbands wie In Extremo oder Schandmaul. Gegen den lange Zeit vorherrschenden Kosmopolitismus des Pop beschwören sie alle in mehr oder weniger modernisiertem Gewand nationale oder regionale Musik- und Motiv-Traditionen. Im breiten Zuspruch für diese Bands scheint sich mithin ein Bedürfnis nach Heimatpflege zu äußern, das – in vorpolitischer Weise – für breite Publikumsschichten gilt, unabhängig von sonstigen ideologischen Einstellungen. 

 

Jens Balzer
Jens Balzer ist Journalist und Buchautor.
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