Eine neue Kultur des Miteinanders von Mensch und Maschine?

Digitalität und Künstliche Intelligenz (KI) werden unser Leben immens verändern

Was ist der Sinn des Lebens? „42“, errechnete in dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adam ein Supercomputer nach einigen Millionen Jahren Rechenzeit. Der Autor veranschaulicht damit humorvoll elementare Unterschiede zwischen Mensch und Maschine. Der Mensch fragt unpräzise, da auch unsere Sprache unpräzise strukturiert ist. Die Maschine ist jedoch neben umfangreichem Datenmaterial auf präzise Angaben angewiesen.

 

Bei der Programmierung autonom fahrender Autos wird beispielsweise deutlich, dass ein nicht unerheblicher Teil unserer humanen Fahrweise intuitiv und situativ verläuft, also nicht eindeutig strukturiert werden kann: Wann überhole ich beispielsweise einen Bus an der Haltestelle und wann nicht? Auch unsere Gesetze regeln nicht alle Vorkommnisse. Vielmehr werden Verstöße oft erst im Nachgang, bezogen auf konkrete Situationen, durch Richter festgestellt. Da eine Maschine jedoch im Vorfeld auf ihr Verhalten hin programmiert werden muss, stellen sich hier auch grundsätzliche ethische Fragen im Vorfeld: Wird bei einer unvermeidbaren Unfallsituation eine Priorisierung bei gefährdeten Personen festgelegt? Wird beispielsweise bei einer Unfallsituation, die entweder eine Frau mit Kinderwagen oder aber eine ältere Dame gefährdet, eher die Frau mit Kinderwagen geschützt? Im bisherigen humanen Zusammenleben wurden diese moralischen Entscheidungen offengelassen, zulasten der Entscheidung des Einzelnen.

Die einen, die technikbegeistert sind, sehen durch KI die Chancen für mehr Freizeit und Lebensqualität der Menschen. Andere wiederum sehen Gefahren, wie die Verdummung der Menschheit, Abhängigkeit von Maschinen und noch mehr gesellschaftliche Spaltung durch wenige mit beruflichen Aufgaben versus vielen, die keine Erwerbstätigkeit mehr haben.

 

Einig sind sich beide Gruppen jedoch in einem Punkt: Digitalität und KI werden unser Leben immens verändern. Umso erstaunlicher ist es, dass nicht schon längst Zukunftsszenarien entwickelt wurden für das Zusammenleben von Mensch und Maschine, um daraus notwendige neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen abzuleiten. Bis vor Kurzem wurde dies weitgehend versäumt für schon etablierte digitale Technik, wie das Internet. Mit der zunehmenden Erkenntnis, wie stark sich analoge und digitale Welten überlagern, wird nun auch das Internet politischen Bewertungen unterzogen und Rahmenbedingungen werden im Nachgang verändert, beispielsweise bezogen auf Mobbing, Hating, kommerzielle Praktiken, Urheberrecht und vieles mehr.

 

Spannende Fragen der Zukunft werden dabei sein: Wem gehört die Arbeitsleistung von KI? Konzernen, Staaten oder der weltweiten Gemeinschaft? Müsste beispielsweise nicht auch die Arbeit von KI besteuert werden, analog zum humanen Erwerbseinkommen? Welche humanen kulturellen Techniken sollen Maschinen übertragen werden und welche nicht? Und vor allem: Wie können die jeweiligen Stärken von Mensch und Maschine kombiniert werden? Ein Beispiel hierfür wäre Freestyle Chess: Mensch und Maschine treten im Schach als Team gegen Mensch und Maschine an und erzielen dabei Höchstleistungen.

 

Möglicherweise ergeben sich so ganz neue Chancen der Krisenbewältigung, wie jüngst bei der Corona-Pandemie? Wäre eine KI mit entsprechendem Datenmaterial nicht in der Lage gewesen, komplexe und singulare Zusammenhänge der Ansteckung oder der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von schweren Fällen besser darzustellen als die 7-Tage-Inzidenz? Die humane Koproduktionsleistung läge dann darin, diese Zusammenhänge zu interpretieren, auf Plausibilität und Moral zu prüfen und dabei selbstverständlich auch die Frage- und Auftragsformulierung auf maschinelle „Denkweisen“ anzupassen, damit am Ende als Krisenlösung nicht „42“ steht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
Vorheriger ArtikelOpfer
Nächster ArtikelMehr Distanzbewusstsein, weniger Identifikation