„Ein ‚weiter so‘ geht auf keinen Fall“

Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht offenbart die überfällige Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Es ist inzwischen wie ein Pawlowscher Effekt, dass Verantwortliche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei berechtigten Forderungen nach mehr Wirtschaftlichkeit und größerer Sparsamkeit sofort mit Abstrichen am Programm drohen und weniger ihre eigenen Strukturen in den Fokus nehmen. Auf dieses fehlende Reformbewusstsein verwies auch die KEF im Februar 2020 im Zusammenhang mit ihrem 22. Bericht: „Die KEF hält es für erforderlich, weitergehende strategische Ansatzpunkte für tiefgreifende Umstrukturierungen und kostensenkende Reformmaßnahmen zu entwickeln. Dazu gehört auch eine umfassende Schwachstellenanalyse durch die Anstalten. Die Kommission erwartet, dass die Anstalten größte Anstrengungen unternehmen, um die erkennbaren Wirtschaftlichkeitspotenziale zu realisieren. Im Hinblick auf die ARD erwartet die Kommission, dass die Kooperationen zwischen den Rundfunkanstalten – soweit rechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll – deutlich ausgeweitet werden. Allerdings wird die Hebung der Potenziale so lange unvollständig bleiben, wie der gesetzliche Auftrag, die Programmstruktur und das Programmvolumen aus der Betrachtung ausgeklammert werden“, erklärte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. „Der gesetzliche Auftrag, die Programmstruktur und das Programmvolumen“, die die KEF hier anmahnen, muss von der Ministerpräsidentenkonferenz definiert werden. Die KEF kann zwar Sparvorschläge unterbreiten, muss aber eine Finanzierung zur Erfüllung des Auftrages sicherstellen.

 

Sachsen fordert „großen Wurf“ für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

 

Angesichts der Klage vor dem BVerfG benötigten die Länder „einen großen Wurf“, um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verbessern, fordert Oliver Schenk in dem Gespräch mit der FAZ. „Ein ‚weiter so‘ geht auf keinen Fall“, betont der Staatsminister, der auch die Medienpolitik der CDU-regierten Bundesländer koordiniert. Es müsse bald zu einem modernisierten Auftrag kommen, der die Unterscheidbarkeit der öffentlich-rechtlichen Programme von den privaten Anbietern deutlich verbessere und den Anstalten die notwendige Flexibilität ermögliche, schneller auf Veränderungen in der Mediennutzung zu reagieren. Dazu gehöre der Ausbau der Mediatheken, eine Forcierung der Plattformstrategie, eine engere Vernetzung und größere Eigenverantwortung bei der Entscheidung über den besten Distributionsweg. Schenk kritisiert, dass sich die Länder für diese wichtigen Entscheidungen bisher zu viel Zeit gelassen hätten und bis heute keine einvernehmliche Lösung finden konnten. Die Modernisierung des Auftrages spielte bei den Debatten in den Landtagen und den damit verbundenen Anhörungen eine wichtige Rolle und viele Abgeordnete hätten formuliert, dass sie eine Zustimmung zur Beitragserhöhung mit der Erwartung an eine zeitnahe Reform des Auftrages und größeren Sparanstrengungen der Anstalten verbinden. Es sei deshalb für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig, dass diese Frage jetzt ganz oben auf der medienpolitischen Agenda der Länder stehe.

Auch andere Bundesländer, so Rheinland-Pfalz, das den Vorsitz der Medienkommission der Länder innehat, haben jetzt zur Eile gemahnt und der Novellierung des Auftrages hohe Priorität bei den medienpolitischen Themen für 2021 eingeräumt.

 

Das ist eine bemerkenswerte Kehrtwende, denn noch im Juni 2020 hatten die Regierungschefinnen und -chefs beschlossen, sich bis zum Sommer 2022 für einen Reformvorschlag Zeit zu lassen. Es war geplant – je nach Bedarf – die KEF, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie externe Sachverständige einzubeziehen. Dabei lag ein nahezu fertiger Vertragstext bereits Ende 2019 vor. Bekanntlich hatte sich die Rundfunkkommission der Länder im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des Index-Modells auf drei Kernthemen für die Novellierung des Auftrages verständigt: Fokussierung des Programmangebotes, Flexibilisierung bei den Verbreitungswegen und Vernetzung digitaler Angebote. Damit sollten nur noch wenige Programme, wie das Erste, das ZDF, die Dritten Programme und die Gemeinschaftsangebote wie KiKa oder ARTE beauftragt werden. Bei Angeboten wie tagesschau24, ARD-ONE, ZDFinfo und ZDFneo sollten die Anstalten „flexibel“ selbst darüber entscheiden, ob sie diese als klassische Fernsehangebote fortführen, in ein Telemedienangebot überführen oder ganz darauf verzichten. Da das Index-Modell keine Mehrheit fand, wurden auch die Änderungen am Auftrag, trotz weitgehender Übereinstimmung, nicht beschlossen.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird die nächste Zeit mit geringeren Einnahmen auskommen müssen als erwartet, was Konsequenzen für Auftragsproduktionen, freie Mitarbeiter und Dienstleister haben wird. Andererseits stehen die Länder mit dem Sachsen-Anhalt-Debakel unter Druck, schneller als ursprünglich geplant, den Auftrag zu novellieren. Das könnte sowohl den Mitarbeitern der Anstalten als auch den vielen Kreativen, die an den öffentlich-rechtlichen Angeboten mitwirken, endlich mehr Zukunftssicherheit geben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Helmut Hartung
Helmut Hartung ist Chefredakteur des Blogs www.medienpolitik.net.
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