„Macht es euch nicht so einfach“ titelte Jana Hensel am 10. Dezember 2020 ihren Artikel in „Die Zeit“ über die Vorgänge in Sachsen-Anhalt. Eben jenem Sachsen-Anhalt, das jahrelang für sich als das „Land der Frühaufsteher“ warb. Sein Ministerpräsident Reiner Haseloff formulierte den selbst gesetzten Anspruch am 30. Oktober 2015 im Deutschlandradio so: „Früh aufstehen bedeutet aufgeweckt sein und auch frisch sein und damit vor den anderen die Lösungen präsentieren“.
Am 8. Dezember 2020 war die Lösung gefunden: Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident leitete die Vorlage für den ersten Medienrechtsänderungsstaatsvertrag dem Landtag nicht zu. Die von 15 der 16 Länder anvisierte Erhöhung des Rundfunkbeitrages von monatlich 86 Cent ist vorerst gescheitert.
Eine Kombination aus regionalen, CDU-internen Machtkämpfen um Kurs und Personen, der Bereitschaft, der AfD zu Diensten zu sein oder nicht, dem Versuch, eine Koalition in Zeiten von Corona bis zur Wahl im Frühjahr 2021 zu retten, und einer geradezu abenteuerlichen Verkennung von Verfassungs- und Medienrecht haben dazu geführt, dass sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Frage der Rundfunkfreiheit und seiner staatsfernen Finanzierung beschäftigen muss.
Dazu vier Bemerkungen:
I. Schon zweimal hat die Medienpolitik der Union in Karlsruhe keinen Bestand gehabt, bei einem durchgepeitschten Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag und dem Vorhaben, den ZDF-Chefredakteur Brender gegen den Willen des Intendanten zu entfernen. Dass jetzt eine kleine Minderheit von mit der AfD liebäugelnden Unionspolitikern in Magdeburg die CDU-Medienpolitik erneut diskreditiert, ist ein Debakel für die gesamte Union. Vor allem weil alle anderen Unions-geführten und -mitregierten Länder den verfassungsgemäß gebotenen Weg der ersten Beitragserhöhung nach acht Jahren mitgegangen sind. Und dies aus guten Gründen.
Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, SPD und Grünen aus dem Jahr 2016 betont: „Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest.“ Sie bezeichnete der sächsische Ministerpräsident Kretschmer am 6. Dezember 2020 als „den eigentlichen Skandal“. Und meinte damit das gestartete Erpressungsmanöver der CDU-Landtagsfraktion, mit einer Verweigerung der Beitragserhöhung Strukturveränderungen des Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) zu erzwingen.
II. Genau ein solches Verhalten hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil am 11. September 2007 im Blick gehabt. Den politischen Gestaltungsspielraum darf der Gesetzgeber nicht dazu nutzen, „Gebührenanpassungen nach politischen Gesichtspunkten festzusetzen oder auch nur aufzuschieben, ohne dass feststellbar wäre, ob sie dabei die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Bindungen eingehalten haben oder nicht“ (BVerfGE 90,60,100).
Dieser Grundgedanke der von staatlichem Einfluss weitgehend freien Rundfunkanstalten wird in verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes über die Jahre weiterentwickelt, um „Übergriffigkeiten“ der Staatsvertreter in eindeutige Schranken zu weisen. Dies betrifft auch die Notwendigkeit einer auskömmlichen Finanzierung des ÖRR.
Eine entscheidende Rolle kommt dabei der von den Ländern berufenen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zu. Sie stellt unabhängig, d. h. frei von jedweder Weisung, in einem festgelegten Verfahren den tatsächlichen Finanzbedarf von ARD, ZDF und Deutschlandradio fest. Dieses Votum, seine ausführliche Begründung, überreicht sie den Ländern. Bei ihnen liegt es, den Vorschlag umzusetzen. Verkürzt gesagt, dürfen die Länder von der Empfehlung der KEF begründet abweichen, wenn die finanzielle Belastung der Beitragszahler unangemessen ist, ja sie geradezu „erdrosseln“ würde.
Dafür gibt es bei einem unter der Inflationsrate der letzten acht Jahre bleibenden Erhöhungsbedarf keinen seriösen Anhaltspunkt. Zumal die Befreiungstatbestände bei wirtschaftlichen Schieflagen, wie sie momentan durch die Corona-Folgen auftreten, durchaus beachtlich sind. Insoweit sind an diesem Punkt die Landtage in ihrer Entscheidung eng gebunden.
Dies betrifft jedoch nicht ihr Recht, Auftrag und Struktur des ÖRR und natürlich auch ihrer Finanzierungsmodalitäten zu gestalten. Aber eben nicht im Zusammenhang seines konkreten Finanzbedarfs.
Kaum war die Entscheidung in Sachsen-Anhalt gefallen, meldete sich Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters zu Wort und regte an „sich vom KEF-Verfahren zu verabschieden“.
Dabei gibt es sehr gute Gründe, an der Beitragsfeststellung durch die KEF festzuhalten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die allermeisten Einsparungen der letzten Jahre beim ÖRR nicht durch die Länder, sondern von ihr durchgesetzt worden. Die KEF hat nach Einführung des Beitragssystems eine deutliche Reduzierung des Beitrages begründet. Anders als in einem unabhängigen Verfahren ist eine bedarfsgerechte Ausstattung des ÖRR verfahrens- und rechtssicher nur schwer zu ermitteln. Automatische Steigerungen wie bei einem Indexmodell sind mit Blick auf den privaten Rundfunk und die Verleger wenig tragfähig. Die unabhängige Bedarfsfeststellung ist einer der wesentlichen Eckpfeiler der Vereinbarungen mit der EU-Kommission aus 2007 und 2011. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass Brüssel den Versuch unternähme, bei der finanziellen und strukturellen Ausrichtung des Rundfunksystems mitzureden.
III. Die inhaltliche Begründung für die Verweigerung der Beitragsdiskussion aus der sachsen-anhaltischen CDU heraus hat alle Ingredienzien einer Erpressung, der AfD zum Gefallen. Die angeblich „noch nie ernsthaft geführte Debatte“, so der CDU-Medienpolitiker Markus Kurze im MDR am 1. Dezember 2020, über den Auftrag endlich aufzunehmen, richtet sich an alle anderen, aber bezieht sich nicht auf die Strukturen, für die Magdeburg selbst die Verantwortung trägt. „Wir schätzen den MDR, er könnte ein Beispiel für andere Anstalten sein …“, so Kurze. Man ist eben besonders früh aufgestanden … Dass manch Konservativer und auch prominenter Pressevertreter in Boris-Johnson-Manier das Schleifen der Strukturen und des Programms des ÖRR forderte, verwundert nicht. Die Forderung der hessischen FDP nach Privatisierung des ZDF fand FAZ-Mitherausgeber Carsten Knop am 18. Dezember bedenkenswert. Und die „WamS“ kommentiert zu ARD und ZDF am 17. Januar „Die Menschen … Sie brauchen Sie nicht“.
IV. Mit der Magdeburger Entscheidung und solchen Stimmen werden im Angesicht der Herausforderungen der digitalisierten Welt scheinbar überwundene Gräben aufgerissen. Die Länder wissen nur zu gut, wozu Selbstblockaden führen. Fünf Jahre medienpolitische Agonie mussten durchgemacht werden, ehe sie sich 2019 zu einem neuen, zukunftsweisenden und hoch beachtlichen Medienrechtsstaatsvertrag aufmachten. Mit ihm versuchen sie, die digitale Welt mitzugestalten. Dort liegt die medienpolitische Herausforderung, nicht im kleinsten Neid-Karo des Streits um Intendanten-Gehälter. Wie stehen die Länder zum europäischen Digital Service Act, wie können sie guten Lokaljournalismus angesichts eines dramatischen Niedergangs der Lokalzeitungen ermöglichen, gibt es Wege, kritischen Qualitätsjournalismus im Netz auch erfolgreich zu refinanzieren, wie kann das digitale Angebot des ÖRR weiter erfolgreich entwickelt werden und vor allem wie kann man sicherstellen, dass Manipulation nicht wichtiger wird als geprüfte Information? Und auch der im Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018 vorgetragene Vorschlag, einen Teil des Rundfunkbeitrages zur „Finanzierung unabhängiger privater Medienproduktionen“ einzusetzen, verdiente eine vertiefte Beschäftigung.
Es wäre zu wünschen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Magdeburger Spuk schnell ein Ende macht. Damit eine Konzentration auf die medienpolitischen Herausforderungen in einer digitalen Welt möglich ist.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.