Ein klares Nein – ein klares Ja

Christliche Kirchen und Kultur müssen jetzt Position beziehen

Nein! Es war Karl Barth, der streitbare Schweizer Theologe, und es war das Jahr 1934, als er einen Aufsatz mit diesem prägnanten Titel schrieb: Nein! Vereinfacht gesagt ging es um die Frage, ob es etwas anderes als das Wort Gottes geben könne, das für Christinnen und Christen Offenbarungscharakter haben könnte – etwa natürliche Ordnungen. Damals meinte man damit vor allem die Rede vom Völkischen, die Deutschen Christen waren auf furchtbarem Vormarsch und suchten das Christliche und Gott in dem UnGeist der Zeit. Man schaudert heute, wenn man deren Texte liest. Sein Nein! schleuderte Karl Barth diesem allen entgegen – nicht nur in jener wissenschaftlichen Auseinandersetzung, in der die Pfade langjähriger Weggefährten sich also trennten. Auch in der Barmer Theologischen Erklärung, die aus demselben Jahr stammt und die Karl Barth in besonderer Weise mitgeschrieben hat, ist dieses Nein deutlich zu vernehmen: Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugung überlassen. Darf sie eben nicht! – 90 Jahre ist das her und ich hätte nicht gedacht, dass es erneut so aktuell, so akut solche Bedeutung bekommt. Klar, auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt und ich auch nichts von vorschnellen Geschichtsvergleichen halte, ein klares, lautes Nein ist heute gefragt gegenüber dem Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, den wir derzeit erleben. Wo von »Remigration« geredet wird – und Ausweisung und Deportation anscheinend gemeint sind –, wo die Demokratie ausgehöhlt und bekämpft wird und an die Stelle gleicher Menschenwürde für alle der Vorrang eines Volkes treten soll, ist ein klares Nein gefordert. Die rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Ideologen und Ideologinnen in der AfD, aber auch andernorts, führen einen Kulturkampf, der kaum oder keine Grenze kennt bzw. diese immer wieder im Blick auf das Sagbare (oder besser: eigentlich Unsagbare) überschreitet und verschiebt. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat schon vor langer Zeit und unabhängig von den aktuellen Entwicklungen festgehalten, dass die Mitgliedschaft und das Engagement für menschenfeindliche Gruppierungen nicht mit dem Leitungsamt in der christlichen Kirche vereinbar sind. Darin steckt dieses klare Nein, das es braucht – erst recht, wenn menschenfeindliche Parolen unter den Funktionären einer Partei immer mehr zum Alltag werden. Mancher meint beklagen zu müssen, die Evangelische Kirche, die doch von Offenheit rede, schließe auf diese Weise in unchristlicher Weise aus. Dieser Vorwurf geht am Kern vorbei, passt aber in ein Selbstbild, das sich, gerade auch in den Abwertungen anderer, immer in der Opferrolle sehen möchte. Von der Logik der Sache her wird man sagen müssen: Wer menschenfeindliche Positionen unterstützt, schließt sich vom glaubwürdigen Vertreten des christlichen Menschenbildes selbst aus. So schlicht. Und es gehört zur Aufgabe der Kirche in der Tradition des Protestantismus, diesen Protest für das Leben laut zu machen – eben in diesem klaren Nein! Es ist ein Irrtum, die Kirche könne und dürfe im Namen des Evangeliums zu allem immer nur Ja und Amen sagen. Und es ist auch ein Irrtum zu meinen, die Kirche dürfe hierzu gar nichts sagen. Nein, wo die Kultur der Mitmenschlichkeit in Frage gestellt wird, ist die Kultur der klaren Position gefragt. Und Kultur ist das richtige Stichwort: Ich bin dankbar, dass ich im Kulturbereich – von freier Szene bis Staatstheater, von Musikrat bis Kulturrat – die gleiche Entschiedenheit wahrnehme. Kirche und Kultur sind gemeinsam unterwegs, im Dienst der Menschlichkeit und der Vielfalt. Kunststück, oder besser: kein Kunststück, denn Kirche und Kultur sind stets in engster Partnerschaft; es wäre der Schritt zu einer gespenstischen »Unkultur«, wenn sich ausgerechnet an diesem Punkt Gräben auftäten. Nein. So wie Rassismus keine Meinung ist, so ist er auch keine Kultur, im Gegenteil – Karl Barth hätte gesagt: Menschenfeindlichkeit ist jene unmögliche Möglichkeit, die zu wählen zwar leider immer wieder Realität ist, aber deshalb doch unter dem Nein! bleibt.
 
Ja! Wenn das Nein klar und deutlich gesagt ist, gilt es für mich auch wieder vom Ja zu reden. Ja, 30 oder 40 oder gar 50 Prozent Wählerinnen und Wähler der AfD sind in Meinung und Motivation nicht alle rechtsextrem oder rechtspopulistisch. Es gibt offenkundig viele andere Ursachen dafür, dass Menschen gegenwärtig die AfD wählen. Ich kann das zwar nur schwer verstehen. Aber ja: Ich habe den Willen zum Gespräch, ich will und wir sollten, davon bin ich überzeugt, diesen ernsthaften Willen zum Hören und Sprechen haben. Denn nur, wo sich ausgetauscht wird, bleibt auch die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Kultureinrichtungen und auch Kirchen sind der richtige, fast möchte man sagen: der genuine Ort für offenen Austausch. Nicht nur, weil die Denkverbote alles Autoritären hier nicht greifen. Es gibt auch eine gewisse Zivilisierung allein durch den Raum. Unter dem Kreuz wird nicht verdammt. Und auf der Bühne wird nicht gepfiffen – so habe ich mal gelernt. Es wird zugehört. Womöglich sogar mehr als zuhause in der Familie, wo der Riss oft tief geht und viele andere Ursachen hat. Die Kultur des Zuhörens im öffentlichen Raum ist in schrecklicher Weise verloren gegangen. Dabei stimmt es nun mal: Wir, Ost und West, sind ungleich vereint, wie der Soziologe Steffen Mau gerade in seinem neuesten Buch so anschaulich sagt und festhält. Wir sollten nicht weiter den Mythen von falscher Einheitlichkeit anhängen. Es gibt spezifische Ursachen für die derzeit so verbreitete Form des Protests im Osten gegen jene Parteien, von denen man sich einst so viel erwartet hat. Und es gibt auch spezifische Ursachen für eine nur scheinbar unerklärliche Verlust- oder Abstiegsangst in West wie Ost, die das Erstarken des Rechtspopulismus mitbegründet. Ja, es gilt zu reden, unbedingt. Und dabei eine Kultur des Streitens einzufordern und zu fördern, die die Angst vertreibt und die Freiheit, oder besser: die Freimütigkeit wieder gewinnt. #Zusammenstreiten heißt die Kampagne »meiner« Kirche in diesem Wahljahr. Womöglich haben wir das unter der Parole, dass zusammenwächst, was zusammengehört, nicht genug getan: Zusammen streiten. Oh ja, Freiheit will erstritten sein, wieder und wieder. Erstaunlich, dass wir das so schnell vergessen, 35 Jahre erst, und wir erinnern nicht? Ja, ich bin aus dem Westen. Und ja, mein Zuhause ist hier im Osten. Ja, die Kultur und die Kirchen sind gerade hier die richtigen Orte, um zu thematisieren, was es heißt, sich übersehen zu fühlen. #unerhört – hieß die Kampagne der evangelischen Diakonie vor ein paar Jahren. Nur wenn das Unerhörte und das Unerhört-Sein einen Raum bekommen, kommt etwas in Bewegung. Zum Nein gehört deshalb auch ein Ja. Und ich füge an: Im Gespräch gibt es nur Augenhöhe. Ich sage das mit Zurückhaltung, weil ich die so allgegenwärtige Rede von der Augenhöhe schon fast für eine Unkultur halte. Wer von Augenhöhe redet, sitzt meist erkennbar auf einem ziemlich hohen Ross. Nein – bzw. Ja: Es gibt Gespräch nur aus der Haltung, die dem anderen etwas zu-traut und ihn so ernst nimmt, ihm auch etwas zuzumuten. Eben auch ein Nein.
Und wenn morgen die AfD regierte? Diese Frage geisterte jüngst durch eine unserer gemeinsamen Zusammenkünfte von Kulturschaffenden und Kirchenmenschen. Wir waren uns schnell einig: Ein deutliches Ja dann zur leidenschaftlichen Bereitschaft, die zu schützen, die so schnell am Rand stünden und zurecht in Sorge und Angst, ganz verdrängt zu werden. Ja zu Schulterschluss und klarem Bekennen. Aber, auch das war deutlich: Nein gegen Dystopien zur Unzeit, dafür ist gerade nicht der Moment. Die Dystopie mag zur Sinnesschärfung nützen. Aber nein, sie ist jetzt nicht dran.
 
Was aber ist dran? Ich bin überzeugt: Am Ende eine Kultur, die die Dinge auf den Punkt bringt, zum Kern. Allzu oft wird vor allem auf Metaebenen diskutiert, in denen sich gegenseitig des Ausschließens, der Unchristlichkeit oder der Unkultur bezichtigt wird. Im Kern aber wartet eine tiefergehende Frage: Wer steht bei den Menschen? Christliche Existenz und christliche Überzeugung gründen sich darin, an der Seite der Schwachen, Verwundeten und Bedrängten zu stehen. Hier wurzelt das Ja Gottes. Und von hier erklärt sich jedes Nein gegenüber allem, das die Welt von vorgeblichen Naturordnungen oder Rechten der Stärkeren oder der Verbundenheit zu vermeintlichen Boden und Blutbahnen ordnen und einteilen will. Das Ja Gottes beginnt und wurzelt bei jenen, die den Weg aus der Unfreiheit in die Freiheit nehmen, da, wo Gott in der Schwäche stark macht. In Barmen wurde das vor 90 Jahren festgehalten: Es geht mit Gottes Wort um die Kraft des Wandelns auf einem Weg, der den Übersehenen Recht und den Unerhörten Freiheit verheißt. Weshalb leidenschaftliche Partizipation im Kern dieser Kultur steht. Also: Mach mit. Es sind viele. Wir sind viele. Nein? Offenbar doch!

Christian Stäblein
Christian Stäblein ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
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