„Das wird noch zu großen Debatten führen“

Isabel Pfeiffer-Poensgen im Gespräch

Seit Januar 2022 ist Isabel Pfeiffer-Poensgen Vorsitzende der Kulturministerkonferenz (Kultur-MK). Die parteilose Kulturministerin Nordrhein-Westfalens war vor ihrem Amtsantritt 2017 unter anderem Kulturdezernentin in ihrer Heimatstadt Aachen und 13 Jahre Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. Peter Grabowski spricht mit ihr über die Agenda der Kultur-MK und mehr.

 

Peter Grabowski: Sie haben die soziale Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern zum Schwerpunkt Ihrer Amtszeit erklärt. War das eine persönliche Festlegung oder wurde das von allen 16 Kulturministerinnen und -ministern gemeinsam beschlossen?

Isabel Pfeiffer-Poensgen: Beides. Es ist schon auch eine persönliche Festlegung, die im Erleben des plötzlichen Lockdowns 2020 und der Folgen für freischaffende Künstlerinnen und Künstler fußt. Bei vielen Musikern oder Theaterkünstlerinnen war der gut gefüllte Kalender fürs Jahr binnen einer Woche völlig leer. Es darf nicht sein, dass eine große Gruppe, für die ich eine besondere Verantwortung empfinde, plötzlich vor dem Nichts steht. In NRW haben wir aber auch davor schon immer wieder über die schwierige Einkommenssituation von Künstlerinnen und Künstlern diskutiert und in der Kultur-MK die inhaltliche Federführung für das Thema übernommen. Deshalb wollen wir es jetzt im Jahr unseres Vorsitzes auch zum Schwerpunkt machen.

 

Die Kultur ist Hoheitsbereich der Länder, das Sozialversicherungsrecht regelt der Bund: Was können und was wollen die Kulturministerinnen und -minister bewirken?

Wir können zunächst einfach mal sehr gute Vorschläge machen. Wir haben im letzten Jahr ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, weil das Sozialversicherungsrecht eine komplizierte juristische Materie ist. Der längerfristige Plan ist, mit dem Bund ins Gespräch zu kommen. Da hat es mit dem Arbeitsministerium schon erste Kontakte gegeben ‒ dort ist bekannt, dass wir uns damit beschäftigen. Und da sich die neue Ampelkoalition zu diesem Thema im Koalitionsvertrag auch geäußert hat, ist meine Hoffnung groß, dass wir einen gemeinsamen Weg gehen können.

 

Schweben Ihnen bereits konkrete Modelle vor?

Es geht ja um zwei Dinge: einmal die Einkommen, also die Vergütung für künstlerische Arbeit, und dann die Absicherung durch eine Arbeitslosenversicherung oder etwas Ähnliches. Über die letzten fünf Jahre gemittelt liegt das Durchschnittseinkommen in dieser Gruppe irgendwo zwischen 16.000 und 17.000 Euro. Jahreseinkommen! Vielen Menschen ist überhaupt nicht bewusst, in welchen Gehaltsregionen sich Künstlerinnen und Künstler bewegen, die meistens ein Hochschulstudium absolviert haben. Davon kann man nichts für schlechte Zeiten zurücklegen, und deswegen haben wir in NRW in unserem neuen Kulturgesetzbuch festgelegt, dass es bei Landesförderungen künftig Honoraruntergrenzen geben muss.

Das andere ist eine wie auch immer geartete Arbeitslosenversicherung. Das könnte man etwa über die Künstlersozialkasse machen. Ich finde, dass es da gut hinpassen würde. Aber ich möchte jetzt auf die juristische Expertise des Gutachtens warten. Ganz am Schluss kommt dann die Frage: Wie finanziert sich das? Die Künstlersozialkasse wird ja neben den Beiträgen der Künstlerinnen und Künstler von den Kreativ-Unternehmen und öffentlichem Geld getragen. Auch darüber wird man reden müssen.

 

Höhere Honorare für Freie Künstlerinnen und Künstler müssen bezahlt werden. Glauben Sie, dass Länder und Kommunen, die über 80 Prozent der Kulturfinanzierung leisten, ihre Etats entsprechend steigern? Gut möglich, dass mit demselben Geld einfach weniger gemacht wird.

Das ist natürlich Kaffeesatzleserei, aber die Auseinandersetzung müssen wir führen. Ich sage es jetzt mal sehr pauschal: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und was ist uns wichtig? Das wird sicherlich noch zu großen Debatten führen. Aber ich glaube auf der anderen Seite, dass es keinen Weg daran vorbei gibt. Wir können nicht auf Dauer verantworten, dass wir solche Lebensumstände perpetuieren, nur weil es für den Staat so bequem ist. Deshalb sind wir mit dem Kulturgesetzbuch in NRW in diesem Punkt auch vorangegangen. Wenn wir uns als sozialer Staat verstehen, dann müssen wir uns mit allen Gruppen beschäftigen. Dazu gehören auch die Künstler, und die müssen dann auch adäquat verdienen.

 

Welche Themen stehen noch auf Ihrer Agenda für dieses Jahr?

Ganz klar der Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten. Die Rückgabe der Benin-Bronzen hatten wir schon 2021 auf den Weg gebracht. Das ist ziemlich komplex, aber wir haben verabredet, dass es im Laufe dieses Jahres zu den wesentlichen Entscheidungen kommt. Für mich persönlich bleibt daneben die Provenienzforschung bei NS-verfolgungsbedingten Entzügen wesentlich. Das dürfen wir nicht vernachlässigen, denn da sind wir längst nicht am Ende.

 

Brauchen wir angesichts der vielen strittigen und auch rechtlich unklaren Fälle aus Ihrer Sicht neue gesetzliche Regelungen?

Bei der Kunst aus kolonialen Kontexten glaube ich, dass wir nach langen Debatten auf einem guten Weg sind. Die Frage ist jetzt, ob es uns bei den Benin-Bronzen sozusagen exemplarisch gelingt, eine gute Entscheidungsabfolge zu haben. Das könnte dann eine Blaupause dafür werden, wie man in Zukunft mit solchen Beständen umgeht. Bei der NS-Raubkunst verfügen wir inzwischen über 20 Jahre Erfahrung mit der Washingtoner Erklärung. Das ist allerdings keine juristische Grundlage, sondern eine moralische. Und die Einzelfälle sind so komplex ‒ unter anderem in der Frage, was eigentlich alles darunter gefasst werden kann, das wird ja auch in den europäischen Staaten jeweils sehr unterschiedlich gesehen ‒, dass ich im Gegensatz zu früher inzwischen zu einer gesetzlichen Regelung tendiere. Es würde die Verfahren klarer machen, auch die Überprüfbarkeit von Entscheidungen.

 

Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) steht ebenfalls an. Ein Gutachten des Wissenschaftsrates empfahl massive Veränderung bis hin zur Auflösung der bisherigen Struktur. Wird es dazu kommen?

Die Arbeit des Wissenschaftsrates, also das Gutachten und die Empfehlungen, ist ausgezeichnet. Doch die sogenannte Dachstruktur ‒ das war ja ein zentraler Vorschlag ‒ ist nicht mal eben so zu entfernen. §35 des Einigungsvertrages enthält klare Festlegungen, wie mit dem kulturellen Erbe in der Stiftung umzugehen ist, das die ostdeutschen Länder mit ihren Kunstschätzen und Sammlungen eingebracht haben. Das ist eine verbindliche Rechtsgrundlage. Klar ist gleichzeitig, dass dieses Dach mit der zugehörigen Hauptverwaltung so nicht weiterexistieren soll. Die einzelnen Einrichtungen bekommen mehr eigene Kompetenzen als bisher, um viel stärker selbständig zu arbeiten.

Die Entscheidungen müssen im Stiftungsrat debattiert und am Ende von den Ministerpräsidenten getroffen werden – gerade was die Finanzierung angeht. Denn das hat der Wissenschaftsrat ebenfalls herausgearbeitet: Die Stiftung ist nicht ausreichend finanziert. Da müssen die einzelnen Länder ihre Position finden, wie sie dabeibleiben und welche Anteile sie konkret übernehmen wollen. Daraus entwickelt sich, wer wie in einem Gremium vertreten ist. Der wesentliche Punkt wird sein, dass viele Länder jetzt ihr Verhältnis zur Stiftung definieren müssen. Und da sind die Interessenlagen sicher sehr unterschiedlich.

 

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Errichtung eines Kulturplenums vereinbart. Da sollen Bund, Länder und Kommunen mit Kulturschaffenden, -verbänden und der Zivilgesellschaft „die Kooperation verbessern und Potenziale von Standards beraten“, wie es wörtlich heißt. Was halten Sie von so einem neuen Forum?

Es gibt ja das kulturpolitische Spitzengespräch, wo Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände mit den beiden Kulturstiftungen des Bundes und der Länder an einem Tisch sitzen. Da wird sehr gut diskutiert, auch wenn es immer Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Wie das neue Plenum aussehen soll, da fehlt mir ehrlich gesagt noch ein bisschen die Vorstellung, aber ich bin grundsätzlich offen für diese Idee. Ich persönlich schätze Gremien, wo am Ende auch Entscheidungen getroffen werden, und bei so einem Plenum geht es wohl erstmal darum zu hören, was bestimmte Gruppen wollen oder wo sie Defizite sehen. Davon kann man immer viel lernen ‒ aber wie man so etwas effizient organisiert, das ist die spannende Frage.

 

Die Kulturministerkonferenz gibt es seit 2019. Wie beurteilen Sie die bisherige Arbeit dort?

In meinem vorherigen Job als Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder war ich sehr geprägt von der Kultusministerkonferenz, also dem übergeordneten Gremium. Deshalb hatte ich zunächst Vorbehalte und gesagt: Wenn das unter dem Dach der KMK nicht funktioniert, steigen wir nach drei Jahren aus. Aber inzwischen kann ich sagen: Es läuft richtig gut. Wenn man sich regelmäßig spricht, lernt man natürlich seine Kollegen besser kennen. So ist eine gute Arbeitsatmosphäre entstanden, und die hat sich auch in der Corona-Zeit sehr bewährt. Da waren wir alle mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert und haben wirklich oft telefoniert, auch um uns gegenseitig zu beraten, wie der Einzelne mit bestimmten Problemen umgeht. Ich war sehr froh, dass wir das hatten und hoffe, dass sich das auch ohne Corona fortsetzt.

 

Den Vorsitz der Kulturministerkonferenz hat NRW das ganze Jahr, aber bereits im Mai sind Landtagswahlen. Wollen Sie der nächsten Regierung wieder ange-hören?

Was soll ich dazu sagen? Die Wähler entscheiden, das ist das Wesentliche. Über alles andere kann man reden.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2022.

Isabel Pfeiffer-Poensgen und Peter Grabowski
Isabel Pfeiffer-Poensgen ist Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende der Kulturministerkonferenz. Peter Grabowski ist „der kulturpolitischer reporter“.
Vorheriger ArtikelFehlerfrei, aber Visionslos: Neue Leitlinie in der Kunst?
Nächster ArtikelDie Abschaltung von Telegram löst nicht das Problem