Der Sound des Anderen

Musik im Science-Fiction-Film

2004 greift Helge Schneider diesen Topos in „Jazzclub“ zugleich wertschätzend und ironisch auf, indem die Musiksprache der Aliens den auf der Erde sozial marginalisierten Jazzmusikern eine neue kreative Umgebung und den Status als Populärkünstler eröffnet. Nachdem in Mülheim an der Ruhr die kleine Kneipe, in der Teddy Schu und seine Mitmusiker oft ohne Publikum aufgetreten sind, aufgrund des plötzlichen Vergiftungstodes ihres Eigentümers schließen muss, wird die Jazzmusik der Band im wahrsten Sinne des Wortes obdachlos: Das Trio musiziert das letzte Mal gemeinsam unter einer Brücke. Die Rettung kommt in Form von Außerirdischen, die sprechen wie Udo Lindenberg, dessen Song „Gerhard Gösebrecht“ die grobe Idee dieses Filmendes entlehnt zu sein scheint. In der Folge wird das Trio kurzerhand in das Raumschiff eingeladen und reist zu dem kargen Heimatplaneten, auf dem sich ihr sozialer Status schlagartig verbessert, indem alle Anwesenden beglückt zu ihrer Musik tanzen. Auch wenn der Film offen lässt, ob die kunstverrückten Außerirdischen das Trio nicht nur als Musizierende, sondern ebenfalls als Nachspeise geladen haben, bleibt die Botschaft klar: „Jazzclub“ projiziert seine Gesellschaftsutopie, in der die auf der Erde global unterprivilegierten Jazzmusiker zu Stars werden können. Die Verbindung der Hauptfigur zur Arbeiterklasse des Ruhrgebiets verweist zudem auf das Ideal der künstlerisch aktiven Arbeiterinnen und Arbeiter, das seit den 1960er Jahren parallel in BRD und DDR propagiert wurde.

 

Der bis dato erfolgreichste Science-Fiction-Film „Avatar“ (2009) bemüht ebenfalls eine klar lesbare sozialkritische Allegorie. Der interstellare Kolonialismus wird herangezogen, um den Kapitalismus als treibende Kraft in der Zerstörung nativer Kulturräume und klimarelevanter Ökosysteme zu kritisieren. Derweil reproduziert die Musik rassistische Stereotype indigener „Naturklänge“, um der fremdartigen Spezies der Na’vi eine musikalische Identität zu geben, was seine Form des „Otherings“ problematisch erscheinen lässt.

 

In den vergangenen zehn Jahren kann im Science-Fiction-Genre eine Art „human turn“ beobachtet werden, indem der Mensch selbst als das Andere dargestellt wird. In Filmen wie „Moon“ (2009), „Gravity“ (2013), „Interstellar“ (2014) oder „Blade Runner 2049“ (2017) ist der Mensch nicht auf außerirdische Spiegelbilder angewiesen, um seine eigene Bedeutung im Universum auszuloten. Die Musik dient dabei oft als konventionelle Instanz der Untermalung. Sie doppelt die Wiederholung des Alltags in „Moon“, welche sich in dem Thema des Klonens niederschlägt, das den Film durchzieht. In „Gravity“ wird der Mensch in der feindlichen Umgebung des Weltalls auf seinen eigenen Überlebenswillen reduziert und damit in seinem geradezu an Schopenhauer gemahnenden Allgemein-Wesenhaften zu einem pragmatischen Bündel aus Reaktionen und Reflexen. Die Musik spiegelt dies und liefert diejenigen psychologisierenden Klänge, die im Weltraum schlechterdings nicht erklingen könnten. „Interstellar“ überträgt seine Metapher der raumzeitlichen Relationalität auch auf sein Hauptthema, während „Blade Runner 2049“ die Zersetzung der musikalischen Grenzen – und damit der Integrität der menschlichen Kultur – aus dem Vorgängerfilm klanglich fortsetzt.

 

Jener „Blade Runner“ aus dem Jahre 1982 darf ohnehin als Meilenstein für die Science-Fiction des vergangenen Jahrzehnts gelten, hat er doch die im Genre oft in Metaphern oder Allegorien verschlüsselte Frage nach dem Wesen des Menschen expliziert und damit eine Reihe von Antwortmöglichkeiten – Ist der Mensch die Summe seiner Erinnerungen? Die Konsequenz seiner Entscheidungen? Eine dünne Schicht der Zivilisation, die sein animalisches Instinktwesen notdürftig verbirgt? Ein austauschbares Faktotum? – angestoßen. Bisweilen wurden sie von musikalischen Konzepten flankiert, die dazu in der Lage waren, eine weiterführende Lesart anzubieten; in diesen Momenten kann Musik die dem Genre eigenen Ambivalenzen und Unsagbarkeiten vertonen und sich damit dorthin wagen, wo nie ein Wort zuvor ausgereicht hat.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Willem Strank
Willem Strank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Vorsitzender der Kieler Gesellschaft für Filmmusikforschung.
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