Zwischen Comics, Graphic Novels und Mangas: Wie wird Science-Fiction in diesem Genre dargestellt? Sven Jachmann vom Online-Magazin Comic.de gibt erste Einblicke.
Was sind typische Charakteristika von Science-Fiction-Comics?
Der Science-Fiction-Comic operiert mit denselben Themen und Motiven, wie sie das Genre auch in Literatur, Film und Videospielen entwickelt hat, d. h. von trivialstem Firlefanz bis zum zeitdiagnostischen Epos ist ihm keine Form fremd. Diese Form ist historisch wiederum auch an die Entwicklungsstufen des Mediums selbst gebunden, die man als Gattungen bezeichnen könnte: Zeitungsstrip, Comic-Heft, Album, als Short Story, Fortsetzungsgeschichte oder fortlaufende Reihe mit abgeschlossenem Plot, seit den 1980er Jahren vermehrt auch Graphic Novels, die sich ein Stück weit von den Formatzwängen befreit haben: Der Fokus auf eine bestimmte Seitenzahl oder einen Cliffhanger für den Folgeband war nicht mehr wichtig. Das wirkte sich natürlich auch auf das Erzählen aus. Das Gros der heutigen Science-Fiction-Veröffentlichungen besteht aber nach wie vor aus Alben nach frankobelgischem Vorbild und US-amerikanischen Heft-Mini-Serien, die in Sammelbänden zusammengefasst werden.
Was sind Klassiker unter den Comics und Graphic Novels im Genre Science-Fiction?
Das Problem jedes Kanons ist, dass er globale Entwicklungen fragmentiert und Prozesse teleologisiert. Alex Raymonds Zeitungscomic „Flash Gordon“ war ein riesiger Ideensteinbruch für George Lucas’ „Star Wars“. Stehen die unzähligen Star-Wars-Comics samt Epigonen damit letztlich nicht in Raymonds Tradition? Moebius’ surrealistische Bildwelten in „Die hermetische Garage“ oder „Arzach“ waren ob ihrer Verweigerung von Logik und Kontinuität in den noch fortschrittsgläubigen 1970er Jahren auch politisch eine Provokation, das waren aber die klassischen Kurzgeschichten des US-amerikanischen EC Comics Verlags in den 1950er Jahren nicht minder. Wallace Woods oder Al Williamsons Science-Fiction-Storys in den Reihen „Weird Science“ und „Weird Fantasy“ strotzen vor Gesellschaftskritik. Will Eisner setzte diese Linie in den späten 1970er Jahren mit seiner oft übersehenen Graphic Novel „Life on another Planet“ gewissermaßen fort, aber wahrscheinlich nicht in Kenntnis von Pierre Christins und Jean-Claude Mézières französischer Reihe „Valerian und Veronique“, die seit den späten 1960er Jahren ebenfalls politische Strömungen der Zeit verarbeiteten, aber bekömmlicher, optimistischer für ein jugendliches Publikum aufbereiteten. Katsuhiro Otomos Manga „Akira“ war ein Meilenstein, weil er in den USA und vielen europäischen Ländern den japanischen Comic popularisierte. Umgekehrt ist hier der Einfluss von Moebius oder William Gibsons „Neuromancer“ unübersehbar.
Welche Autorinnen und Autoren sollte man kennen? Wo kommen diese her; gibt es führende Nationen?
Die einflussreichsten Künstlerinnen und Künstler finden sich zugleich in den Ländern, die die längste und produktivste Comicproduktion besitzen: Frankreich und Belgien, die USA und Japan. Das hat durchaus länderspezifische Gründe: In den USA erreichten Science-Fiction-Zeitungscomics wie „Buck Rogers“ und „Flash Gordon“ ein Millionenpublikum, mit den Superhelden, die gleichzeitig die „comic books“ etablierten, brachte das Medium sogar ein eigenes Subgenre der Fantastik hervor. Der Cut erfolgte mit der Zensur in der rechten McCarthy-Ära, der 1954 erfolgten Installation des „Comics Code“, der eine Fortführung der subversiven EC-Reihen unmöglich machte, zahlreiche Verlage in die Pleite trieb und dort die Emanzipation des Mediums über Jahrzehnte blockierte. In den 1970er und 1980er Jahren setzte etwa Richard Corben wichtige Akzente mit seinen postapokalyptischen Grotesken. In Frankreich beförderte die Zensur eine gegenläufige Entwicklung: Als 1964 Jean-Claude Forests „Barbarella“ als Album erschien, eignete der darin angedeutete Sex mit einem Roboter noch zu einem Skandal und beschäftigte die Justiz. Heute wirkt das Buch bestenfalls lächerlich, aber der Freispruch der Gerichte veränderte die öffentliche Wahrnehmung des Comics als erwachsene Kunst. Philippe Druillets und Moebius’ avantgardistische Experimente, die in ihrem eigenen Magazin „Métal hurlant“ zu voller Blüte kamen, haben davon enorm profitiert und besonders Moebius’ Werke entwickelten intermediale Strahlkraft: Das Set-Design von Ridley Scotts „Blade Runner“ etwa verdankt sich Moebius’ und Alejandro Jodorowskys Serie „Der Incal“. In den politischen Gemeinschaftsarbeiten von Enki Bilal und Pierre Christin und vor allem in Bilals „Alexander-Nikopol-Trilogie“ lässt sich der Übergang vom verspielt-diskursiven Gestus der 1970er zum kalten, resignativen Ton der 1980er studieren.
Wie hat sich das Genre in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt? Gibt es aktuelle Trends?
Derzeit sind Dystopien und Endzeit im Comic omnipräsent. Kein Platz für Utopien, das mag sich aus unseren erschreckenden Zukunftsprognosen und dem relativ neuen Filmverwertungsmarkt erklären. Der französische Alben-Mainstream pflegt nicht selten restaurative Bild- und Erzählwelten: Frauenfiguren mit tiefem Ausschnitt, Kolonisierungsfantasien, Militarismus. Progressives kommt eher aus um Autonomie bemühten Segmenten: Chloé Vollmer-Lo und Carole Maurel zeigen in „Magdas Apokalypse“ ganz unsentimental, was einer 15-jährigen Teenagerin vom Leben bleibt, wenn die Menschheit in einem Jahr stirbt, und die junge US-Künstlerin Tillie Walden verbindet in „Auf einem Sonnenstrahl“ ganz selbstverständlich Science-Fiction-Topoi mit queeren Lebenswelten.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.