Sachsen-Anhalt: Die fetten Jahre sind wie Blei

Zur Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt

  • Landeshauptstadt: Magdeburg
  • Gründung: 3. Oktober 1990
  • Einwohner: 2,236 Mio.
  • Fläche: 20.452 km²
  • Bevölkerungsdichte: 109 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Rainer Haseloff (CDU)
  • Regierende Parteien: CDU und SPD
  • Nächste Wahl: März 2017
  • Kultusminister: Stephan Dorgerloh (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  305,0 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 133,97 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 52 %* (seitdem stark steigend) * im Jahr 2011 laut Kulturfinanzbericht 2014

13. März 2016 wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Die aktuellen Umfragen lassen viel Raum für Spekulationen, wer mit wem die nächste Regierung stellen wird, kann oder sogar muss. Klare Mehrheiten zeichnen sich bislang jedenfalls nicht ab – dabei sind gerade in der Kulturpolitik des Landes klare Entscheidungen gefragt.

 

Die Situation ist – wie in Sachsen und Thüringen auch – vom kulturellen Erbe geprägt, vielleicht sogar noch etwas stärker: Sachsen-Anhalt ist „das“ Kernland der deutschen Geschichte. Deren erste prominente Vertreter aus der Region waren im 10. Jahrhundert die Liodolfinger mit Otto dem Großen an der Bekanntheitsspitze. Die späteren Protagonisten hießen unter anderem Luther und Melanchthon im 16. Jahrhundert, die europaweiten Reformvorbilder Leopold III. von Anhalt-Dessau, August Hermann Francke und Moses Mendelssohn im 17. und 18. Jahrhundert. Am Ende dieser historischen Reihe stehen der geniale Flugzeugunternehmer Hugo Junkers und der vielleicht noch genialere Architekt Walter Gropius. Die zugehörigen „Inhalte“ in Stichworten: der Beginn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das europaweit nachgeahmte Magdeburger Stadtrecht, der Naumburger Dom (Welterbe-Kandidat), die Altstadt von Quedlinburg, die Reformation, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich (alles bereits Welterbe), die Franckeschen Stiftungen (Welterbe-Kandidat), die JU52 (hat „nur“ Legendenstatus) und schließlich die bis heute einflussreichste gestalterische Ideenschmiede der Welt: das Bauhaus in Dessau – ebenfalls von der UNESCO als Welterbe geadelt.

 

Diese Hinterlassenschaften der Geschichte könnten jede Menge Inspiration für die kulturelle Mitte Deutschlands sein. Tatsächlich sind sie im Sachsen-Anhalt der Gegenwart aber vor allem Beschwernis. Das hat erst mal mit Geld zu tun: Nach der Wende wurden Magdeburg, Dessau oder auch Bitterfeld nahezu deindustrialisiert; die hohe Arbeitslosigkeit führte in dem Land mit der größten Nähe zum „reichen“ Westen der Republik schnell zu ebenso hohen Abwanderungsraten. Sachsen-Anhalt hat mit heute 2,2 Millionen Einwohnern seit der Wende ein gutes Fünftel seiner Bevölkerung verloren. In zehn Jahren werden es voraussichtlich nochmal ein-, zwei- oder vielleicht auch dreihunderttausend Menschen – also Erwerbstätige, Steuerzahler und einheimische Kulturnutzer – weniger sein.

 

Dieser dramatische demografische Wandel, dazu das Ende des Soli in 2019 und die Schuldenbremse ab 2020, ließen den Landtag von Sachsen-Anhalt vor fünf Jahren zu einer ungewöhnlichen Maßnahme greifen: Ein „Kulturkonvent“ unter Beteiligung möglichst vieler Akteuren/-innen aus Kunst, Kultur und Politik sollte den Weg aus dem kulturpolitischen Dilemma weisen. Nach gut einem Jahr intensiver Arbeit in einzelnen Arbeitskreisen, die der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, ehrenamtlich moderierte, legte der Konvent im Februar 2013 schließlich 163 konkrete Empfehlungen vor. Die reichten von der Anhebung des Landeskulturetats auf mindestens 100 Millionen Euro jährlich mit anschließender Dynamisierung zum Ausgleich von Tariferhöhungen über die Forderung, der Bund möge sich künftig zur Hälfte an den Kosten für die UNESCO-Welterbestätten beteiligen bis zur Schaffung eines Landesmusikpreises. Der wurde mittlerweile auch tatsächlich eingerichtet und im vergangenen Juli erstmals vergeben – die große Mehrheit der übrigen Ergebnisse harrt weiter einer ernsthaften Würdigung.

 

Viele davon gingen stattdessen in ein „Landeskulturkonzept 2025“ ein. Doch die 60 bunten Seiten mit vielen großformatigen Bildern sind bei näherem Hinsehen weniger ein „Konzept“ als eine wolkige Zustandsbeschreibung der Sparten und Institutionen in Sachsen-Anhalts Kultur. Wie sich die massiven demografischen Veränderungen tatsächlich einerseits strukturell niederschlagen und andererseits inhaltlich spiegeln sollen, das wurde mit vielen feinen Schwaden aus vager Zukunftslyrik eher vernebelt als sauber geklärt. In der Finanzierung der gegenwärtigen Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts fehlt realistisch geschätzt jedenfalls schon jetzt strukturell eine zweistellige Millionensumme. Wie es mit den acht staatlichen Theatern, den zwei Orchestern und auch den bislang vier Welterbestätten langfristig weitergeht, ist weiter unklar. Aktuell liegt der Landeskulturetat zwar bei den ungefähr 100 Millionen Euro, die vom Kulturkonvent mal gefordert wurden. Doch darin stecken viele temporäre Sondermittel rund um zwei Großprojekte, an denen deutlich wird, wozu das andauernde, im Kern vielleicht sogar systematische Rumlavieren in der Kulturpolitik des Landes führt.

 

Im nächsten Jahr liegt Sachsen-Anhalt im Fokus zumindest des christlichen Teils der Menschheit: 1517 schlug Luther seine berühmten Thesen an Wittenbergs Schlosskirche, aus diesem Anlass steht 2017 also das 500-jährige Reformationsjubiläum an. Zur standesgemäßen Begehung wurde von der Evangelischen Kirche über die Bundes- und Landesregierung bis zu den konkreten Lutherstätten Eisleben und Wittenberg eine ganze Reformationsdekade ab dem Jahr 2008 ausgerufen. Zig Millionen Euro fließen seitdem in das Projekt, vor allem in die Sanierung der zugehörigen Welterbestätten und in die breite publizistische Begleitung dieser historischen Marke mit weltweiter Bedeutung. Zwölf Monate vor Beginn des großen Jubiläums mehren sich allerdings die Stimmen, die nach der angeblich so breit wie tief angelegten Welle fragen, die das Ereignis lostreten und auch kulturtouristisch verwerten soll – und ob das denn wohl noch passieren wird?

Nur zwei Jahre danach steht der nächste Jubeltag für eine Einrichtung mit Weltruhm an: Der 100. Geburtstag des legendären Bauhauses. Den will man – wie im Gründungsort Weimar und im Berliner Archiv – auch in Dessau ganz groß begehen, doch ist die Ausgangslage schwierig. Dreh- und Angelpunkt soll der Bau eines neuen Museums sein, dessen Eröffnung zum runden Geburtstag 2019 schon lange fest eingeplant ist. Der Architekten-Wettbewerb dazu wurde allerdings erst vergangenen September abgeschlossen, mit zwei ersten Preisen. Kurz vor Weihnachten dann die Entscheidung: Gebaut werden soll der verglaste schwarze Riegel des Büros Gonzalez Hinz Zabala aus Barcelona. Der steht zumindest formensprachlich in der Bauhaus-Tradition – der andere Juryfavorit erinnerte in seiner bunt gewellten Zipfelmützigkeit eher an Frank Gehry als an Walter Gropius. Ob der 25 Millionen Euro teure Bau in den drei Jahren bis 2019 aber überhaupt noch fertig werden kann, ist fraglich. Ein weiteres Problem ist der Standort in der Dessauer Innenstadt: Der historische Bauhaus-Komplex und die Meisterhäuser, also das eigentliche Weltkulturerbe, liegen mehrere Kilometer entfernt. Treiber dieser seltsamen Idee war der Kultusminister in Magdeburg; im Streit darüber wurde unter anderem sogar der vorherige Bauhaus-Chef Philipp Oswalt demissioniert (allerdings nicht ohne eigenes Zutun).Es gibt natürlich auch gute Nachrichten aus und für Sachsen-Anhalts Kulturpolitik: Magdeburg und Halle zum Beispiel konnten bereits vor dem aktuellen Flüchtlingsstrom wieder steigende Einwohnerzahlen vermelden. Die beiden mit Abstand größten Städte des Landes befinden sich von je her in einem dieser typischen Wettbewerbe zweier wirtschaftlicher wie kultureller Oberzentren innerhalb einer Region. Bei den nackten Zahlen hatte Halle lange Zeit die Nase vorn, doch zuletzt hat Magdeburg mindestens aufgeholt. Aktuell haben beide jeweils rund 235.000 Einwohner.

 

An der Elbe plant man allerdings schon den nächsten Schritt: 2025 will Magdeburg Europäische Kulturhauptstadt sein. Die Kandidatur ist lange beschlossen, die Pläne werden vom rührigen Kulturmanager Norbert Pohlmann koordiniert und vorangetrieben. Der betreibt seit 2005 mit anderen mehr oder weniger prominenten Kulturleuten auch das „Forum Gestaltung“ in den früheren Räumen der traditionsreichen Kunstgewerbe- und Handwerkerschule (gegründet 1793, geschlossen 1963). Dort finden Konzerte, Ausstellungen, Lesungen und Debatten statt; neben dem Moritzhof oder der Feuerwache Sudenburg ist das Forum einer der zentralen Orte der mittlerweile sehr lebendigen Szene an der Elbe, die sich damit auch jenseits der traditionellen Kulturorte Theater, Museen oder Bibliotheken erfreulich entwickelt hat. Die Ausgangslage ist also gut, auch wenn die innerdeutsche Konkurrenz um den begehrten Kulturhauptstadt-Titel stark ist: Mit Leipzig, Mannheim und Nürnberg sind weitere Regionen mit großer Geschichte und attraktiver Gegenwart im Rennen.

 

Doch schon die Bewerbung sorgt erfahrungsgemäß für eine Konzentration der Kräfte und stärkt nicht nur das kulturelle Leben einer Kommune, sondern auch das kulturpolitische Bewusstsein der Entscheider. Ein solcher Effekt in der Landeshauptstadt würde nicht zuletzt der Landeskulturpolitik gut tun. Die steht aller Voraussicht nach auch personell vor einem Umbruch: Dass Kultusminister Stephan Dorgerloh dem nächsten Kabinett nicht mehr angehört, gilt in den politischen Kreisen Magdeburgs als ausgemacht. Der Mann aus Berlin ist – wie sein ebenfalls von dort stammender Staatssekretär Jan Hofmann – bis heute nicht gut vernetzt in den (Kultur-)Kreisen Sachsen-Anhalts. Dorgerloh feiert am 3. April, genau drei Wochen nach der Landtagswahl, seinen 50. Geburtstag. Die Glückwunschkarte von Ministerpräsident Rainer Haseloff wird voraussichtlich eines der letzten offiziellen Schreiben des Regierungschefs an den Mann für die Kultur im Kabinett sein.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2016 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
Vorheriger ArtikelSaarland: In Zeiten stagnierender Budgets
Nächster ArtikelBerlin: Eine Welt der kulturellen Extreme