Hamburg: Die Tücken des Leuchtturms

Kultur und Kulturpolitik in Hamburg – auch jenseits der Elbphilharmonie

Ganz anders die Elbphilharmonie. Die damals noch CDU-geführte Stadtspitze hatte von Anfang an und noch weit vor den großen, mitunter absurd wirkenden Kostensteigerungen argumentiert, dass hier mehr entstehe als ein Konzerthaus und damit vor allem ein Bau für eine materiell und/oder geistig robust ausgestattete Klientel. Stattdessen spielten Regierungschef Ole van Beust und die damalige Kultursenatorin Karin von Welck in der Legitimierungsdebatte quasi die „Sydney-Karte“: So wie das weltberühmte Opernhaus des dänischen Architekten Jørn Utzon zu einem global bekannten und unverwechselbaren Symbol für die australische Hafen-Metropole geworden sei, so werde auch die Elbphilharmonie der Millionenstadt Hamburg ein völlig neues Gesicht in der Welt geben.

 

Man kann schon jetzt, rund ein halbes Jahr vor der Eröffnung sagen: Mission completed! Der markante Bau nach dem Entwurf des Schweizer Büros Herzog & de Meuron hat alle Charakteristika eines echten Wahrzeichens. Er erinnert optisch sowohl an eine Schiffssilhouette, als auch an eine Wellenformation. Gestalterisch geschieht das sogar eher andeutungsweise und gleichzeitig doch so markant, dass sich die Bildidee viel stärker einprägt als die tatsächliche Form. Zur Hohen Kunst der Architektur gehört, wirkmächtige Images zu schaffen. Wenn das gelingt, erzeugen sie bereits nach kurzer Zeit ein viel nachdrücklicheres Bild im Kopf als die Wirklichkeit hergibt. Und das obwohl – oder gerade weil?! – diese Wirklichkeit millionenfach von Besuchern aus aller Welt im Bild festgehalten und verbreitet wird.

 

Tatsächlich kann man sich nicht nur bei gutem Wetter täglich davon überzeugen, dass die Elbphilharmonie bereits jetzt das meistfotografierte Motiv jeder Hafenrundfahrt ist, wenn nicht gerade eine der Kreuzfahrt-„Queens“ am Kai liegt. Damit ist Hamburg ein wirklich seltenes Kunststück gelungen: Ein im Kern kultureller Neubau der öffentlichen Hand ist schon vor Inbetriebnahme, also vor der Erfüllung seiner eigentlichen Funktion, zu einem Wahrzeichen geworden. Die Chancen stehen gut, dass die Stadt es in absehbarer Zeit ihrem Marken-Vorbild Sydney gleichtut und mit der Elbphilharmonie in die Reihe echter Weltstadtlogos vorstößt: Eiffelturm, Golden Gate Bridge, Empire State Building.

 

Solch ein Coup bleibt nicht ohne Folgen für die anderen Institutionen, die darunter zunächst sogar eher zu leiden haben. Staatsoper, Thalia Theater oder das Deutsches Schauspielhaus stehen zurzeit im Schatten des neuen Leuchtturms im Hafen. Die Wiedereröffnung der aufwändigst umgebauten Kunsthalle mit ihren spektakulären Einzelräumen ikonischer Werke Caspar David Friedrichs oder Max Beckmanns im Mai fand zwar unter großer Anteilnahme des Feuilletons statt. Doch trotz eines ziemlich provokativen Interviews des scheidenden Museumschefs Hubertus Gaßner samt raunender Warnung vor dem Aussterben des Publikums, war der Widerhall eher von kurzer Dauer, auch in Hamburg selbst.

 

Der kulturpolitische Diskurs wird dort nämlich sogar über die Elbphilharmonie-Eröffnung hinaus mit dem Hafen beschäftigt sein. Dort wird bereits das Fundament für den nächsten Leuchtturm gelegt: Das Deutsche Hafenmuseum. Dafür holt man Ende des Jahres eigens den einst bei Blohm + Voss gebauten Viermaster Peking aus New York zurück „nach Hause“.

 

Die Hansestadt selbst ist am Hafenmuseum übrigens nur mit 18 Millionen Euro beteiligt – die weiteren 120 Millionen steuert der Bund bei. Falls das jemanden wundert: Es liegt an der berüchtigten Hamburg-Connection. Dabei handelt es sich um die vermutlich einflussreichsten Kulturpolitiker im Deutschen Bundestag, abgesehen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie heißen Rüdiger Kruse, Johannes Kahrs und Anja Hajduk. Die drei sitzen aber nicht im Kulturausschuss des Parlaments, sondern sind die „kulturpolitischen Berichterstatter“ ihrer Fraktionen im Haushaltsgremium. Das überparteiliche Trio von der Elbe hat deshalb nicht nur einen guten Zugang zur Bundeskasse, sondern weiß aus langjähriger Erfahrung auch sehr genau, wie man kulturpolitische Dickschiffe selbst bei schwerster See in den Hafen lotst.

 

Leuchttürme können bei solchen Manövern übrigens wirklich hilfreich sein – jedenfalls solange man sich darüber im Klaren ist, dass ihr bis an den Horizont strahlendes Licht dazu dient, um sie selbst einen großen Bogen zu machen. Kulturpolitiker sollten die „Leuchtturm“-Metapher deshalb nur mit größter Sorgfalt bemühen. Schon so mancher ist dabei auf Grund gelaufen und hat seinem Vorzeigeprojekt so ein nasses Grab beschert.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 4/16 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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