Brandenburg: Kultur erhalten und nicht kürzen

Brandenburgs kulturelle Infrastruktur und die kulturpolitischen Herausforderungen

Brandenburg

  • Landeshauptstadt: Potsdam
  • Gründung: 3. Oktober 1990
  • Einwohner: 2,458 Mio.
  • Fläche: 29.654,16 km²
  • Bevölkerungsdichte: 83 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Dietmar Woidke (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD und Die Linke
  • Nächste Wahl: Herbst 2019
  • Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur: Sabine Kunst (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  234,4 Millionen Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 95,55 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 56,0 %

E in kulturpolitisches Top-Thema schlechthin – das gibt es in Brandenburg eigentlich nicht. Vielmehr lautet die Top-Herausforderung schlichtweg, die kulturelle Infrastruktur zu erhalten und den demographischen Entwicklungen irgendwie zu entsprechen. Ein Entgegenwirken oder gar Aufhalten ist bei jenen Entwicklungen ohnehin schier unmöglich. Das Flächenland rund um die deutsche Hauptstadt erfährt anhaltend den Wegzug junger Menschen, sodass der allgemeine Altersdurchschnitt weiter steigt. Brandenburg hat neben den großen Leuchttürmen wie die Theaterhäuser in Potsdam und Cottbus oder das Filmorchester Babelsberg insgesamt recht kleinteilige, vielfältige kulturelle Entwicklungsräume. Sie zu stabilisieren und am Leben zu erhalten, ist die Hauptaufgabe der Landespolitik. Darin sind sich, was die zukünftigen Herausforderungen betrifft, die Kulturpolitikerinnen und -politiker aller Fraktionen einig, denn Kulturpolitik in Brandenburg fußt auf einem breiten Konsens. Kontroversen und Unterschiede liegen im Detail.

 

Zusammen mit der SPD läuft es in der gegenwärtigen Regierung kulturpolitisch für Die Linke ganz gut. Davon ist Gerit Große, kulturpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Landtag, überzeugt. Allerdings ist das Ministerium für kulturelle Belange nicht in linker Hand. „Das merkt man schon. Wir als Linke sind der kleinere Teil der Regierung“, gibt Gerit Große ehrlich zu: „Wir würden bei manchen Sachen gern ein Stückchen mehr drauflegen als die SPD.“

 

Da wäre zum Beispiel die in der Vergangenheit erarbeitete „kulturpolitische Strategie“ für Brandenburg, die noch in dieser Legislaturperiode zur Überprüfung und eventuellen Nachbesserung evaluiert werden soll. Es wurden Förderkriterien entwickelt, die stark auf Kultur mit regionalen Bezügen ausgerichtet sind und auf Kultur, die für den Tourismus bedeutsam ist. Nicht zuletzt unter diesen Vorgaben hat in den letzten Jahren die Projektförderung sehr zugenommen, was Gerit Große mittlerweile aber kritisch sieht: „Wir stoßen dabei an Grenzen und müssen nachsteuern. Eine ausschließliche Projektförderung und ein totaler Abbau der institutionellen Förderung führt dazu, dass einiges in der Kulturlandschaft nicht ordentlich am Leben erhalten bleiben kann.“ Kleinere Vereine, Musik- oder Kunstinitiativen oder auch der Kulturbund würden zwar nicht geschlossen oder dicht gemacht, aber sie würden unter schlechter Personalausstattung leiden. Halbe oder geschweige denn ganze Arbeitsstellen würden oft abgelehnt und nicht bewilligt. „Das wäre aber wichtig für die kulturelle Entwicklung“, sagt Gerit Große, die sich in Brandenburg – abgesehen von den großen Orchestern und Theatern – mehr und mehr einer sehr ausgefaserten Kulturlandschaft gegenüber sieht, die nicht mehr institutionell gefördert wird.

 

Anja Heinrich, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, sieht die politische Entwicklung der Projektförderung nicht ganz so skeptisch. Sie kritisiert jedoch darüber hinaus aus dem Blickwinkel der Politikerin allgemein, dass immerzu den Verteilungsfragen so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird bzw. gewidmet werden muss. Anja Heinrich: „Es geht zu oft nur darum, wer stellt wo den richtigen Antrag auf Gelder und welcher Antragsteller ist schließlich mit so viel Prestige ausgestattet, dass man gar nicht mehr anders kann, als finanziell zu helfen.“ Für die Zukunft wünscht sich die CDU-Politikerin deshalb ein Umdenken. Kulturpolitik müsse von der institutionellen Debatte zur inhaltlichen Debatte kommen und aufzeigen, welche Funktion Kultur in der Gesellschaft bekommt, wenn sich so viel verändert, etwa in den schrumpfenden Regionen, die von Abwanderung geprägt sind. „Kultur dient der Identitätssuche“, sagt Anja Heinrich, „das sind wesentliche und größere Aufgaben, die eben nicht in zig gestellten Anträgen im Plenum bewältigt werden können.“

 

Recht hat sie. Allein: Verteilungsfragen – ob Institution oder Projekt – werden sich trotz etwaigem Umdenken kaum verhindern oder abschaffen lassen. Das zeigt das Beispiel der Musik- und Kunstschulen in Brandenburg, die früher eher stiefmütterlich wahrgenommen wurden, nun aber wurde das entsprechende Gesetz für sie novelliert. Im Unterschied zur SPD hätte sich Die Linke hier eine deutlich höhere Förderung gewünscht. Den Regierungsfraktionen war es gelungen, den Etat für die Musik- und Kunstschulen von 2,1 Millionen auf 5 Millionen Euro zu erhöhen. Schulen in Trägerschaft der Kommunen sowie auch freie Schulen werden, wenn sie bestimmten Kriterien entsprechen, gefördert. Das Land greift den Kommunen somit unter die Arme. Die Förderung, die im bestehenden Musik- und Kunstschulgesetz geregelt ist, ist vorgesehen für diese Legislaturperiode bis 2019. Damit ist diese Förderung prinzipiell auch stabil. „Wir hätten sie allerdings gern höher gehabt“, sagt Gerit Große. Darüber hinaus läuft in Brandenburg ein Programm „Musische Bildung für alle“, bei welchem Musikschulen und Schulen in Tandem-Projekten kooperieren. D. h. ein Musikschullehrer und ein Lehrer arbeiten zusammen, sodass etwa an Schulen Instrumentenunterricht gegeben werden kann. Brandenburg zählt inzwischen 80 solcher Projekte, bei denen die Kinder einer Schulklasse ein Instrument (Streicher, Percussion etc.) lernen, und zwar Kinder, die vermutlich sonst nicht den Weg in die Musikschule finden würden. Das Programm, das mit 1,3 Millionen Euro vom Land gefördert wird, hat guten Zulauf, und Die Linke wünschte sich, dass es im entsprechenden Gesetz mitaufgenommen würde. Bislang aber ohne Erfolg. Der „Musischen Bildung für alle“ fehlt die gesetzliche Grundlage.

Am gleichen „juristischen“ Mangel leiden auch Brandenburgs Bibliotheken. Die Büchereien, größtenteils in kommunaler Trägerschaft, hätten gern eine sichere Förderung in Form eines Gesetzes. Zwar ist die Versorgung der Medien-Ausleihe im Flächenland Brandenburg recht gut, die Förderung ist angemessen, es werden auch fahrende Bibliotheksbusse eingesetzt, allerdings fehlt dem ganzen System die gesetzliche Verankerung. Deshalb fordert die Kulturpolitik der Linken ein entsprechendes Bibliotheksgesetz, die SPD aber konnte sich dazu bislang nicht durchringen und der Linke-Finanzminister wohl auch nicht… Das wird noch zu klären sein. Aus seinem Blickwinkel ergibt sich im Übrigen die größte politische – und damit freilich auch kulturpolitische – Herausforderung: Alle sind unsicher im Hinblick auf die Haushaltsentwicklung! Wegen der demnächst wegfallenden Europamittel und den wegfallenden Bundesmitteln, fällt Brandenburg in den nächsten Jahren unter Mindereinnahmen. In punkto Bibliotheksgesetz heißt das für Gerit Große: „Insofern sind wir vorsichtig, jetzt etwas gesetzlich zu verankern. Das kann ich finanziell schon verstehen. Aber bei Bibliotheken wäre es wichtig.“

 

Die CDU-Fraktion sieht das genauso und sie wird eine Initiative erarbeiten, wie insbesondere die Bibliotheken auf dem Land gestützt und gestärkt werden können. „Alle unsere Abgeordneten, die in der Kommunalebene unterwegs sind, setzen sich für die Bibliotheken ein“, sagt Anja Heinrich. Sie plädiert in Zukunft für eine selbstbewusstere Lobbyarbeit. Brandenburgs Bibliotheken sind gegenwärtig ehrenamtlich in einem Landesverband vereint. „Das macht es den Bibliotheken schwer, so kraftvoll wie z. B. die Musikschulen zu agieren“, spricht Anja Heinrich aus Erfahrung. Wenn im Wissenschaftsausschuss etwa Referenten bei Anhörungen sprächen, mache sich der Unterschied bemerkbar. Die Kulturpolitikerin will das ehrenamtliche Engagement keinesfalls geringschätzen und sie weiß, dass es bei solcher Kritik immer die Falschen trifft, nämlich diejenigen Ehrenamtlichen, die bereits beste Vorarbeit erbracht haben. Aber dennoch: „Ich empfehle einen starken Verband, ohne die Lobbyarbeit wird es schwer! Gerade, weil die Bibliotheken regional als etwas Freiwilliges gelten.“

 

Eine weitere Herausforderung stellt sich in der Denkmalpflege. Brandenburg hat eine große Anzahl an Baudenkmälern, Schlössern, Gärten, Kirchen, technischen Denkmälern. Es war den kulturpolitischen Akteuren in den Koalitionsvereinbarungen nicht gelungen, einen stabilen Denkmalpflege-Fonds aufzulegen. „Wir haben zwar finanzielle Mittel eingestellt, aber das wird nicht reichen“, sagt Gerit Große, die als zukünftige Herausforderung nun noch eine weitere Gefahr drohen sieht. In Brandenburg steht eine Verwaltungsstrukturreform an und es werden möglicherweise Großkreise gebildet. Innerhalb dieses Reformprozesses wird die Absicht der Exekutive verhandelt, die Denkmalpflege stärker auf die Landkreise zu verteilen. Das aber will die Kulturpolitik gar nicht! „Es ist wichtig, dass die Denkmalpflege weiterhin in professioneller Hand beim Land verbleibt“, sagt Gerit Große, die aus ihrer schlechten Erfahrung keinen Hehl macht. Wenn die Landkreise, bei denen die untere Denkmalschutzbehörde angesiedelt ist, im Zusammenhang mit den Baubehörden Belange des Denkmalschutzes klären müssen, werde oft nicht zugunsten der Denkmale, sondern aus anderen Motiven heraus entschieden, so Große: „Das ist uns mehrfach passiert, wenn Denkmale in Gefahr waren.“ In Seelow etwa sollte unlängst ein altes Kaufhaus aus den 1960er Jahren, das Denkmalschutzbelangen entsprach, nach dem Willen des Landkreises abgerissen werden. „Das wurde glücklicherweise verhindert“, sagt Gerit Große: „Das Land muss hier stärker die Hand drauf haben. Da sind sich die Kulturpolitiker eigentlich alle einig.“

 

In der Tat müsse für den Denkmalschutz mehr getan werden, sagt Anja Heinrich. Die Krux dabei: Wird für bestimmte Projekte nicht der notwendige Eigenanteil erbracht, so lassen sich die im Bund bereitgestellten Mittel nicht abrufen. „Das finde ich kritisch, zumal am Denkmalschutz eine Menge Wirtschaft dranhängt vom Handwerk bis in den Kulturbereich“, sagt die CDU-Politikerin: „Diese wichtigen Zusammenhänge finden sich nirgendwo im Koalitionsvertrag wieder.“ Allein 50 historische Kirchengebäude im Bundesland sind von Bestandsgefährdung bedroht, bei 200 Kirchen besteht hoher Sanierungsbedarf. Von dem Gedanken, jede Kirche zu sanieren, haben sich die Politiker weitgehend bereits verabschiedet. Das sei utopisch. Den Bestand zu sichern hingegen scheint machbar, weshalb der Aufbau eines entsprechenden Fonds als große Herausforderung gilt. „Dann könnte man peu à peu sanieren“, sagt Anja Heinrich. Wenn demnächst das Jubiläum 500 Jahre Reformation ansteht, könnten die Zeichen für einen solchen Denkmalfonds gut stehen, wobei freilich nicht nur Gotteshäuser auf der Liste der Denkmalrettung stehen.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2015 erschienen.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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