Bitte vernetzen

Kommunale Kulturpolitik in Mainz

Vernetzung der Kulturakteure
Kompromisse machen, Schnittmengen finden. Dieses Prinzip bestimmt bis heute die kommunale Kulturpolitik in Mainz, die zwar seit 1949 durch SPD-Oberbürgermeister – mit Ausnahme des kommissarischen Stadtoberhaupts Günter Beck von Bündnis 90/Die Grünen in 2012 – sozialdemokratisch geprägt ist, die aber über Parteigrenzen hinweg dem Konsens folgt, die Kultur zu stärken. Der Zusammenhalt ist wichtig, denn Mainz hat heute bundesweit mit mehr als 800 Millionen Euro Schulden die zweithöchste Pro-Kopf-Verschuldung. Als Kulturreferent koordiniert Friedrich Hofmann zwischen Dezernat, Fachämtern, Museen und städtischen Kultureinrichtungen und er bereitet auch vor, was die Dezernentin in ihrer Zuständigkeit im Kulturbereich zu behandeln hat. „Mainz muss sich in der Kulturpolitik noch stärker vernetzen als bisher“, sagt Hofmann und verweist auf das Kulturentwicklungskonzept, das die Stadt auf den Weg gebracht hat. Alle Beteiligten, alle Kulturschaffenden in Mainz sollen hier die Möglichkeit haben, sich miteinander auszutauschen, um gegenseitige Bedürfnisse zu erkennen und gegebenenfalls Synergien nutzen zu können. Es gibt Arbeitsgruppen zu Bildender Kunst, Musik, Theater und Film. Weil aufgrund der Haushaltslage nicht zu erwarten ist, dass in unmittelbarer Zukunft mehr Gelder für die Kultur zur Verfügung stehen, sollen alle Akteure im kulturellen Bereich miteinander überlegen, ob und wie sie mit den bestehenden Ressourcen mehr erreichen können. Weil hier alle eingeladen sind und sich auch sogenannte Kultur-Amateure, Laien, Vereine etc. einklinken, darf man das bereits als Kulturpolitik unter Bürgerbeteiligung werten. Wobei: Alles ist offen, es gibt keine Zielvereinbarungen oder ähnliches, wo das Konzept schließlich bis wann hinführen soll.

 

Gelder für die Kultur
Rund 29 Millionen Euro gibt die Stadt Mainz für die Kultur aus, d. h. für Personal- wie Sachausgaben der städtischen Institutionen wie Stadtbibliothek, Stadtarchiv, Naturhistorisches Museum und Gutenberg-Museum. Der größte Posten von dieser Summe sind zwölf Millionen Euro, die Mainz als institutionelle Zuschussgewährung an die Staatstheater Mainz GmbH zahlt. Gesellschafter sind das Land Rheinland-Pfalz und die Stadt Mainz. Es ist das einzige Staatstheater in Rheinland-Pfalz und es ist in der Kulturlandschaft der Region ein verlässlicher Anker. Seit 2014 ist in Mainz Markus Müller Intendant und Geschäftsführer des Hauses, das unter seiner Leitung die Leuchtturmfunktion in der Landeshauptstadt fortgeführt hat. 2018 wird etwa die Oper „Argo“ von José M. Sánchez-Verdú uraufgeführt. Die Stadt hat sich mit Müller über eine Verlängerung seines Vertrages um weitere fünf Jahre bis zur Spielzeit 2023/24 geeinigt.

 

Im November 2015 hatte sich Müller eine Strafanzeige eingefangen, weil das Staatstheater sich zusammen mit 1.200 Demonstranten gegen eine Kundgebung der AfD gewandt hatte. Am Theater waren Luftballons angebracht und ein großes Plakat zeigte den Spruch „Stopp Rassismus“, es sangen rund 100 Mitarbeiter des Staatstheaters bei einer spontanen „Probe“ Schillers Ode an die Freude im Theaterfoyer. Die Fenster wurden geöffnet, sodass die AfD-Kundgebung vor dem Theater auch akustisch ein kulturelles Zeichen abbekam. Das gab viele Pluspunkte für den frischgebackenen Intendanten. Das Ermittlungsverfahren wurde alsbald eingestellt, weil man Müller nicht nachweisen konnte, dass er die genehmigte Demonstration der AfD verhindern oder deren Durchführung vereiteln wollte. Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig gute Vernetzung und Zusammenhalt ist. Der Dom hatte an jenem Abend zeitgleich zur Kundgebung laut seine Glocken läuten lassen, seine Fassade war nicht, wie sonst üblich, erleuchtet, sondern dunkel – ein Zeichen gegen die Ängste schürende Kundgebung da draußen.

 

Die starke bürgerliche Front der Mainzer ist nicht zuletzt gewachsen auf der stabilen, gesunden kulturellen Infrastruktur der Stadt, als Beispiele wären hier die städtische Musikschule, das sogenannte Peter Cornelius-Konservatorium, zu nennen, das „Mainzer Unterhaus“, das seit 1972 den Deutschen Kleinkunstpreis vergibt, oder überhaupt die freie Kulturszene im Bereich Theater. Die Mainzer Kammerspiele beispielsweise sind in freier Trägerschaft dreier Eigentümer, es wird von der Stadt institutionell gefördert. In den Mainzer Kammerspielen können kleinere Ensembles Gastspiele durchführen, es gibt aber auch hervorragende Eigenproduktionen, sodass unterm Strich alternative Stücke gezeigt werden, die etwa vom Staatstheater nicht aufgeführt werden. Zudem gibt es den Veranstaltungsort Frankfurter Hof, der unter dem Dach der Mainz plus City Marketing GmbH fungiert. Sie wurde gegründet, um den Bereich Musik, Festivals, Ausstellungen und das Kongresswesen in den Tagungsstätten Rheingoldhalle, Bürgerhäuser, kurfürstliches Schloss zu organisieren. Die Mainz plus City Marketing GmbH ist eine städtische Tochter und der Frankfurter Hof betreibt ein erfolgreiches Musik-Management und stemmt jährlich z. B. die Reihe „Summer in the City“, für die es namhafte Stars in die Stadt holt.

 

Für all das sind – unter den gegebenen Vorzeichen der oben benannten städtischen Verschuldung – die Kulturbudgets stabil. Die meisten Mitglieder im Stadtrat sind sich dabei ihrer Verantwortung bewusst: Sparen ja, aber mit Rücksicht. Es gibt keine Anti-Stimmung oder Ähnliches gegen Kultur. Für die freie Szene würde man gerne mehr tun, was aber die Finanzlage nicht zulässt. Diese Gefühlslage ist derzeit typisch für kommunale Kulturpolitik in vielen deutschen Großstädten. Die Frage ist, welche kommunalpolitischen Akteure welcher Parteien mit dieser Gefühlslage fortschrittliche Kulturpolitik machen können?

 

Abschließend nochmal zum Schauplatz Gutenberg-Museum und dem drum herum liegenden Wohnungsmarkt der Mainzer Innenstadt, wo sich jener gnadenlose Verdrängungsprozess der ärmeren Menschen vollzieht. Grüne Stadträte sagen voraus, dass die Mietpreisbremse nicht ausreichen wird, jenen Prozess aufzuhalten, und fordern sogenannte Milieuschutzsatzungen, wonach Bestandswohnungen z. B. nicht „luxussaniert“ werden dürfen, um anschließend maximale Mieterhöhungen durchzusetzen. Der Milieuschutz ist ein ganz konkretes politisches Instrument. Über indirekte, kulturpolitische Instrumente – etwa welchen Beitrag die Soziokultur leisten könnte – wurde in Mainz nicht debattiert. Tatsächlich ist es auch schwierig bis schmerzhaft, den unvermeidbaren Zusammenhang zu benennen. Ein schickes Museum im Kiez schafft schönes Wohnumfeld und zieht abermals höhere Mieten nach sich. Kultur- und Museumsleute, die dem widersprechen, sollten sich bei Wohnungs- und Immobilienleuten eines Besseren belehren lassen, dass dem sehr wohl so ist. Deshalb gilt auch hier: Bitte vernetzen!

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
Vorheriger ArtikelHerbst der Entscheidungen
Nächster ArtikelKapital der Kapitalen