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Kommunale Kulturpolitik in Mainz

Mainz

  • Einwohner: 214.057
  • Fläche: 297,76 km²
  • Bevölkerungsdichte: 2.189,62 Einwohner pro km²
  • Nächste Oberbürgermeisterwahl: 2020
  • Nächste Kommunalwahl: Frühjahr 2019
  • Oberbürgermeister: Michael Ebling (SPD)
  • Leiterin des Dezernats VI – Bauen, Denkmalpflege, Kultur: Marianne Grosse
  • Kulturausgaben: 29 Millionen Euro pro Jahr
  • Kulturausgaben pro Einwohner: 135,48 Euro pro Jahr

Zweiundzwanzig Meter hoch soll der Bücherturm werden, der Neu- und Anbau, der in der Stadtmitte an das Gutenbergmuseum, unweit des Mainzer Domes, angefügt werden soll. Hoch hinauf soll also der Bücherturm gebaut werden. Hoch hinauf steigen auch seit Jahren die Mieten der Bewohner in der Mainzer Altstadt. Das ist kein per se kulturpolitisches Problem, aber es betrifft den gleichen Schauplatz! Ärmere Menschen werden verdrängt, müssen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können, wegziehen, obwohl sie hier seit Jahrzehnten leben. Wie gesagt: anderes Problem, zurück zum Museum …

 

Der Museumsaltbau aus den 1960er Jahren ist marode, dunkel. Er wird den Anforderungen des stadteigenen Museumsbetriebs nicht mehr gerecht, denn immerhin durchlaufen jährlich etwa 130.000 Besucher das Haus, viele davon internationale Gäste, die insbesondere das wichtigste Stück, die Mainzer Gutenberg-Bibel, sehen wollen. Es gibt zwar weltweit 49 – in Teilen oder als Fragment erhaltene – Exemplare von jenem publizistischen Druckkunst-Meisterwerk aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Doch hier in Mainz, wo Johannes Gutenberg seine Druckerwerkstatt hatte, wo Originalobjekt und Schauplatz bestmögliche Aura der Kulturerfahrung bieten, hier kommen besonders viele Neugierige vorbei und wollen „sie“ sehen. Solch verqueres kulturtouristisches Verhalten kennt man als „Mona-Lisa-Effekt“. Man mag darüber lächeln. Aber man kann diese kulturtouristische Besonderheit nicht wegleugnen, weil der Bedarf tatsächlich besteht. Letzten Endes ist dieser Effekt auch der Beweis, dass Mainz mit dem „Weltmuseum der Druckkunst“ global bedeutsamen Rang hat. 2015 rief Direktorin Annette Ludwig für das Gutenberg-Museum deshalb einen Neustart aus, was in Verbindung mit der Frage nach einem neuen, repräsentativen Gebäude für die Sammlung eine breite öffentliche Diskussion auslöste. „Die Stadt muss hier dem Anspruch gerecht werden, den die Menschen an ein internationales Museum haben«, sagt der Mainzer Kulturreferent Friedrich Hofmann und er insistiert: »Wir sind ein internationales Museum. Auch wenn das vielleicht dem einen oder anderen nicht so bewusst ist.“

 

Aufstieg in Bauabschnitten
Mainz lud zu einem städtebaulichen Architekturwettbewerb. Europaweit ausgeschrieben, beteiligten sich insgesamt 27 Architekturbüros. Eine renommierte Fachjury, die auch mit Vertretern der Stadt und Verwaltung besetzt war, entschied sich für jenen „Bücher- oder Bibelturm“, welcher der Entwurf der DFZ Architekten GmbH in Hamburg ist. Für 5,1 Millionen Euro – nur so viel steht für einen ersten Bauabschnitt beim gesamten Museumsprojekt zur Verfügung – soll quasi ein gut sichtbarer Vorbau geschaffen werden, ein Eye-Catcher, der funktional die Präsentation der Gutenberg-Bibel deutlich verbessern soll. Baubeginn soll noch 2017 sein.
Überall, wo in Städten hochmoderne Architektur auf jahrhundertealte städtische Ensembles stößt, gibt es Befürworter und Gegner, gibt es kulturell-emotionales Durcheinander von Zukunftswünschen und Geschichtsbewusstsein. Die unmittelbare Nachbarschaft zum Mainzer Dom war für das Bauvorhaben des Gutenberg-Museums dabei von brisanter Wichtigkeit. Die Stadt hat in intensiven Gesprächen mit der katholischen Kirche immerhin einen Konsens erreicht. Die Kirche hat sich für den Gewinnerentwurf ausgesprochen, der nun je nach Lesart mal Bücherturm, mal Bibelturm genannt wird. „Wir hatten in der Kontroverse auch viele Zuschriften erhalten von Mainzern, die sich sowohl dem Dom als auch dem Gutenberg-Museum verpflichtet fühlen“, sagt Friedrich Hofmann.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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