Von Wittenberg in die Welt

Die Lutherdekade in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik

Ausgehend von der kleinen deutschen Stadt Wittenberg entfaltete die Reformation Auswirkungen von weltgeschichtlicher Bedeutung quer durch alle Kontinente. Martin Luther hat – auch wenn er dies gar nicht zum Ziel hatte – eine neue Konfession begründet, die sich als deutscher „Exportschlager des Glaubens“ über weite Teile der Welt verbreitet hat und vielerorts noch heute von prägender Bedeutung für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ist. So ist es nicht verwunderlich, dass das Reformationsjubiläum weltweit als ein ganz besonderes Datum wahrgenommen und begangen wird – ein Datum, dem wir uns als Deutsche ganz besonders verpflichtet fühlen.

 

Die Einflüsse der Reformation gehen weit über ihre religiöse und kirchengeschichtliche Bedeutung hinaus. Die Reformatoren prägten mit ihrem Engagement wichtige kulturhistorische und gesellschaftspolitische Bereiche in Deutschland, die internationalen Beispielcharakter haben: Luthers Bibelübersetzung gab beispielsweise den entscheidenden Schub für die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache und war damit ein wichtiger Faktor bei der Bildung einer deutschen Nation. Philipp Melanchthon – „Lehrer Deutschlands“ – trug mit der Gründung von Schulen wesentlich zum Aufbau unseres Bildungssystems bei. Heute sind die Schauplätze und Wirkungsstätten der Reformatoren nicht nur für Protestanten ein beliebter Anziehungspunkt. Im Jahr 1996 hat die UNESCO zurecht die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt – die Spuren des Reformators, wie Geburts- und Sterbehaus in Eisleben, Lutherhaus, Stadtkirche, Schlosskirche und Melanchthonhaus in Wittenberg, ziehen jährlich unzählige interessierte Besucher an.

 

Martin Luther bietet mit seiner Persönlichkeit und mit seinem Werk als Reformator und Wissenschaftler vielfache Anknüpfungspunkte für Kulturinteressierte, religiöse Gruppen und Vertreter der Wissenschaft. Für Deutschland bietet sich hier die Gelegenheit, sich gastfreundlich und weltoffen zu präsentieren und im Ausland für sich zu werben.

„Die Einflüsse der Reformation gehen weit über ihre religiöse und kirchengeschichtliche Bedeutung hinaus.“

Seit 2010 vertrete ich das Auswärtige Amt als drittes Ressort neben dem federführenden Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Bundesminister des Innern im „Kuratorium zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017“. Im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wollen wir mit zahlreichen Projekten die Bedeutung des Jubiläums international würdigen – so zum Beispiel mit einer für das Jahr 2013 geplanten Wanderausstellung in den USA und in Europa, die deutlich machen wird, wie die Reformation als historischer kultureller Schnittpunkt zwischen den Kontinenten auch heute noch Inspirationsquelle vor allem auch im transatlantischen Verhältnis ist. Zumal sich das Bewusstsein einer religiösen Identität jenseits des Atlantiks noch eher verstärkt hat. So dient die Lutherdekade auch der Vergewisserung einer gemeinsamen kulturellen Herkunft mit wichtigen Partnern Deutschlands in Europa und in der Welt.

 

Das Reformationsjubiläum soll auch Anlass sein, die herausgehobene politische Bedeutung von Religions- und Meinungsfreiheit noch stärker in den Gesprächen mit unseren ausländischen Partnern zu betonen. Dies ist Teil einer werteorientierten Außenpolitik, der ich mich verpflichtet fühle. Besonders in den Transformationsprozessen in der arabischen Welt kann das Thema Reformation nutzbar gemacht werden – es eignet sich, um Anstöße für Reformansätze zu geben und so positiv auf Reformprozesse einzuwirken, ohne sich dem Vorwurf der Bevormundung auszusetzen.

 

Wir haben das Thema bei einer ersten Veranstaltung in Luthers Heimat Wittenberg im März 2011 aufgegriffen – im Symposium „Wie frei ist der Mensch?“, welches das Auswärtige Amt in Kooperation mit der Geschäftsstelle „Luther 2017“ durchführte. Die Ausstrahlung Luthers und der Reformation auf Reformbewegungen in der Welt, insbesondere auch der islamischen, stand im Fokus. Mit dem Symposium wurden wichtige Multiplikatoren erreicht und Netzwerke gefördert. Dabei begegneten sich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Wittenberger Bürger und eine Schulklasse der Evangelischen Schule Frohnau, die sich engagiert an der Debatte beteiligten. Nachhaltige Netzwerke können nur entstehen, wenn auch junge Menschen am Dialog teilnehmen. Parallel zur Veranstaltung fand ein interreligiöser Schülerworkshop zum Thema „Mein Traum von Freiheit“ mit Schülerinnen und Schülern aus Deutschland und aus dem Iran statt, die ihre Ergebnisse im Rahmen des Abendprogramms zusammen mit dem Liedermacher und Bürgerrechtler Stephan Krawczyk präsentierten. Der große Erfolg des Symposiums zeigt, wie wichtig die Einbindung der Zivilgesellschaft ist. So wird Auswärtige Kulturpolitik zu einer Außenpolitik der Bürgergesellschaft. Das wird in ganz besonderem Maße auch für das Themenjahr 2013 „Reformation und Toleranz“ gelten.

 

Gerade dieses Bekenntnis zur engagierten Zivilgesellschaft ist das auch heute noch Aktuelle an den Ideen Marin Luthers, der sagte: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, wenn nicht der Weg schon Frieden ist“. Ich selbst möchte gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt diese Ideenwelt gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt nutzbar machen.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2011 erschienen.

Cornelia Pieper
Cornelia Pieper ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
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