Bei den seit dem Jahr 2008 mit viel Aufwand betriebenen Vorbereitungen für das Reformationsjubiläum 2017 spielen, so scheint es, drei verschiedene Konzepte eine besondere Rolle. Das sind erstens die Planungen für Reisen zu den zentralen Orten der Reformation, konkret: an die Wirkungsstätten von Martin Luther. Das ist zweitens die Herausarbeitung des besonderen protestantischen Profils in Zeiten einer progressiven Säkularisierung. Und das ist drittens der vor allem von Politikern mit Verve vorgetragene Hinweis darauf, dass die Reformation ihren Ursprung in Deutschland hatte: 1517 also als der große weltgeschichtliche Moment der Deutschen.
Das erste Konzept könnte man als die Organisation von Wallfahrten oder von Pilgerreisen ins Lutherland bezeichnen, das zweite, die Suche nach einem unverkennbaren protestantischen Profil, als eine Art konfessionelle Selbstvergewisserung, das dritte schließlich als Ausdruck von nationalem Stolz. Alle drei Konzepte sind, so ist hinzuzufügen, nicht besonders originell. Erinnern wir uns beispielsweise an den 500 Geburtstag von Martin Luther im Jahre 1983 Damals versuchte die Regierung der DDR mit großem Aufwand, möglichst viele Touristen an die mit nicht unerheblichen Mitteln restaurierten originalen Schauplätze der Reformation zu holen. Es ging, wie wir aus den Akten der seinerzeit in Ostberlin verantwortlichen Gremien wissen, Honecker und Genossen freilich nicht primär um die Ideen des Rom gegenüber widerborstigen Theologieprofessors aus Wittenberg, sondern um Devisen, um möglichst viel Devisen in harter Währung. Mich stimmt es deshalb nachdenklich, wenn im Hinblick auf 2017 erneut immer wieder von den Luthertouristen die Rede ist, die der maroden Wirtschaft in Lutherländern wie Sachsen-Anhalt neuen Schwung verleihen sollen. Nichts dagegen, dass Bund und Länder Millionen ausgeben, damit die Lutherstätten 2017 glänzend präsentiert werden können. Die Ankurbelung des Tourismus kann jedoch nicht der eigentliche Sinn des Jubiläums 2017 sein, auch wenn diesen Touristen, wie neuerdings zu lesen ist, mit dem Bau einer provisorischen Kathedrale in Wittenberg ein besonderes spirituelles Erlebnis vermittelt werden soll.
Das zweite Konzept erinnert mich an das erste große Lutherjubiläum, das gefeiert wurde, an 1617 Im unmittelbaren Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges, im Frühjahr 1617 als die konfessionellen Spannungen sich bereits zu gefährlichen machtpolitischen Konfrontationen steigerten, machten reformierte Theologen und Politiker aus der Kurpfalz den Vorschlag, die Erinnerung an die 100. Wiederkehr des Beginns der Auseinandersetzungen Luthers mit dem Papsttum im Herbst des gleichen Jahres förmlich zu feiern. Lutherische Politiker und Theologen aus Kursachsen griffen diesen Vorschlag ohne Zögern auf. Aus den Predigten, die im Herbst des Jahres 1617 gehalten wurden, spricht konfessioneller Stolz. Es sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Abgrenzungspredigten gegenüber dem seit dem Tridentinum wieder erstarkten Katholizismus. Im Rückblick steht das Jubiläum von 1617 deshalb für eine weitere Verschärfung der konfessionellen Konflikte. Speziell in der Kurpfalz, die bei der Auslösung des Dreißigjährigen Krieges eine unglückliche Rolle spielte, schlug die Rückbesinnung auf 1617 um in protestantischen Triumphalismus.
Kaum nötig anzufügen, dass die heutige konfessionelle Landschaft anders ist. Aber auch heute ist der Schritt von einer durchaus sinnvollen protestantischen Selbstvergewisserung hin zu einem selbstbezogenen Triumphalismus nicht sehr weit. In dem Programm, das die Reformationsbeauftragten der Universitäten Halle, Jena und Leipzig im vorigen Jahr für eine Tagung im August des Jahres 2017 vorgelegt haben, werden beispielsweise als „protestantische Paradigmen“ folgende Begriff e genannt: Bildungsaffinität, Individualität und Modernität, Selbstreflexivität und Rationalität sowie Toleranz und Bekenntnis. Es geht den Autoren dieses Programms offensichtlich darum, 2017 eine besonders positive Bilanz des Protestantismus zu präsentieren. Grautöne fehlen. Ebenso wichtig wäre es, so meine ich, darüber nachzudenken, welche Rolle der Antikatholizismus und der Antisemitismus in der protestantischen Tradition gespielt haben.
Auch das dritte Stichwort, das die Diskussion im Hinblick auf das Reformationsjubiläum beherrscht, ist nicht eigentlich neu. Wenn etwa 2011 in der Bundestagsdebatte über die finanzielle Unterstützung der Vorbereitungen auf 2017 von fast allen Rednern mit Nachdruck betont wurde, es gelte im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik nachdrücklich zu betonen, dass die Reformation ihren Ursprung in Deutschland hatte, fühlt man sich unwillkürlich an das Lutherjubiläum von 1883 erinnert. Luther hätte den Weg zur deutschen Einigung unter preußischer Führung gebahnt und somit zur politischen Größe des Deutschen Reichs, wurde damals in tausenden Reden und Schriften verkündet; Bismarck sei der kongeniale Nachfolger Luthers; nur die Deutschen seien in der Lage, Luther richtig zu verstehen, so der Historiker Heinrich von Treitschke, dessen Lutherrede zum Bestseller wurde. Nur mit banger Sorge kann man im Rückblick diese selbstbewussten und zugleich naiven Formulierungen lesen. Denn je mehr die Deutschen damals „ihren“ Luther lobten, desto suspekter wurde dessen Erbe den Angehörigen anderer Nationen und anderer Kulturen. Und je blinder die damaligen Deutschen sich unter Berufung auf Luther selbst in ein besonders günstiges Licht zu rücken versuchten, desto weniger waren sie in der Lage, die kulturellen Leistungen anderer Nationen zu würdigen.