Die folgenden fünf Besonderheiten mögen die Philosophie hinter der Projektgestaltung charakterisieren. Erstens: In der Trägerschaft von „500 Jahre Zürcher Reformation“ haben sich Partner mit unterschiedlichen Interessen einvernehmlich zusammengefunden. Der politische und zivilgesellschaftliche Blick auf die Reformation geht einher mit den kirchlichen Anliegen, wobei die Institutionen der Kirche für eigene Projekte mit spezifisch religiösem Gehalt eine besondere Finanzierung unter eigener Regie und mit einem eigenen Label bereitgestellt haben. Organisation und Struktur sind denkbar einfach – die Träger haben einen Verein gegründet, dessen Vorstand zweimal jährlich zusammenkommt, während sich seine Geschäftsleitung monatlich trifft.
Zweitens: Mit der Leitung des Projekts ist ein Zweierteam von kulturellem Gewicht beauftragt worden, im Sinne einer inhaltlich-kuratorischen Gesamtleitung. Dieses Duo hat nahezu die Befugnisse einer Intendanz und plant das Programm autonom, muss allerdings die einzelnen künstlerischen und kulturellen Projekte jeweils nach Ende der Konzeptphase und zusammen mit dem Budget dem Trägergremium vorlegen. In der Gestaltung der Dachkommunikation des Jubiläums ist die kuratorische Leitung frei. Eigene Vorhaben kann sie initiieren, realisiert sie aber nicht selbst, sondern kooperiert mit externen Akteuren und Institutionen.
Drittens: Alle Fördergelder wurden auf der Grundlage einer ersten und noch ungefähren Programmversion gesprochen. Eingeschlossen war damit, dass sich das Programm im Sinne einer rollenden Planung weiterentwickeln soll und laufende Arbeitserfahrungen einfließen lässt. Aus diesem Vorgehen kristallisierte sich die Konzeption einer Programmlandschaft heraus, die über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hinweg das Thema der Reformation an unterschiedlichen Orten des Zürcher Kulturbetriebs platziert und einem breiten Publikum Gelegenheit zu unerwarteten Begegnungen gibt.
Viertens: Der Schlüssel zu einem solchen Projektverständnis heißt Vertrauen. Vertrauen zuallererst seitens der Kirche, dass die Auseinandersetzung mit nichtkirchlichen Perspektiven und Auffassungen Sinn macht und produktive Ergebnisse zeitigt. Was das Zugeständnis der Verantwortlichen einschließt, dass die Kirche über keine kulturelle Projektkompetenz dieser Art verfügt. Vertrauen benötigt aber auch die Politik, die sich erst einmal mit Kirche und Religion einlassen musste, aber auch im Hinblick auf ihre Verantwortung für öffentliche Gelder. Schließlich und nicht zuletzt ist Vertrauen zwischen den Autorinnen und Autoren der Projekte und der kuratorischen Gesamtleitung gefragt – alle Beteiligten bewegen sich inhaltlich auf Neuland.
Fünftens: Partizipation heißt in einer solchen Anlage, möglichst viele kulturelle Institutionen zu beteiligen. Auch solche, die noch vor Kurzem kaum daran dachten, sich auf die Reformation und Figuren wie Zwingli und seine Nachfolger einzulassen. Die sich jedoch davon überzeugen ließen, wie wichtig es ist, in diesem komplexen Gefüge eigene Fragestellungen und Sinngebungen freizulegen – zwischen Glaube, Skepsis und gesellschaftlicher Neugier und mit wachem Bewusstsein für die Chancen solcher Exkursionen im Alltag eines oft mit sich selbst beschäftigten Kulturbetriebs. Ebenso wichtig aber ist, dass die meisten Einrichtungen, Formate und Medien bereits ein Publikum mitbringen, das für die Reformationsthematik gewonnen werden kann.
All diese Dispositionen und Überlegungen liefern bloß – aber immerhin! – die Voraussetzungen dafür, das Zürcher Reformationsjubiläum mit Lust am Risiko zu feiern. Das Risiko selbst allerdings muss in den einzelnen Ideen stecken und ihre Realisierung durchziehen. In Form eines ernsthaften kulturellen Spiels, das sich weniger um Korrektheit oder historische Detailschärfe kümmert als um das Potenzial von Bewegungen ins Offene.
Aus solchen Bewegungen entstehen Projekte wie ein Zeichentrickfilm zu Zwinglis Kindern oder ein Mobile Game mit der Einladung, im Zürich des Jahres 2117 gegen ein dunkles Unterdrückungssystem zu kämpfen. Oder eine Ausstellung zum Wort als der gemeinsamen Leidenschaft von Theologen und Literaten und eine weitere – „Gott und die Bilder“ – zu den großen Streitfragen der Reformation, dann eine in der Kunsthalle Zürich etablierte, von einem Künstler eingerichtete Kirche, Theaterproduktionen zum Konflikt Zwinglis mit seinen einstigen Weggefährten, den Täufern, oder als Behauptung, was eine zeitgenössische Form der Disputation sein könnte.
Unterwegs sind aber auch: eine Erkundung der schwierigen Verhältnisse zwischen Reformation und Musik, Interventionen im öffentlichen Raum mit Kommentaren zur reformierten Arbeitsethik, eine Bibelübersetzungswerkstatt für Jugendliche, eine Beobachtungsstation zum Selbstverständnis der reformierten Kirche, eine von Zwinglis Energien inspirierte Tanz- und Musikperformance, eine Schule des Handelns mit Gästen, eine Zwingli-Roadshow als Lehrstück und Spektakel sowie etliches mehr.
Und der rote Faden? Die Schweizer Reformation war eine Bewegung von unten, ein Beispiel visionär unterfütterter, aber pragmatisch tatkräftiger und volksnaher Veränderung. An dieser im besten Sinne demokratischen Vorgabe richtet sich auch das Zürcher Jubiläum aus, entlang jener ebenso treffenden wie zeitlosen und zu fast jeder Lebenslage passenden Beschwörung Zwinglis: „Tut um Gott’s Willen etwas Tapferes!“
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2017 erschienen.