27. Oktober 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Jubiläen feiern, wie sie fallen. Aber wie?


500 Jahre Reformation – in der Schweiz

Fünfhundert Jahre Reformation. Auch in der Schweiz und insbesondere in Zürich. Mit etwas Verspätung zwar: Zum Zeitpunkt von Luthers Thesenanschlag trieb sich Huldrych Zwingli, der Zürcher Reformator, noch lebenslustig und lernbegierig in Einsiedeln herum. Am 1. Januar 1519 wurde er als Leutpriester am Zürcher Grossmünster installiert, und erst in den folgenden Jahren kam es zu jener kirchenhistorischen und gesellschaftlichen Umwälzung, die Zürich zur Reformationsstadt machen sollte.

 

In Genf, Bern oder Basel liegen die Schlüsseldaten nochmals anders. Also schloss sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund den auf Luther ausgerichteten deutschen Feierlichkeiten an. Im Sog der damit verbundenen Planungen kam er zur Entscheidung, auf diese Weise auch der Erinnerung an die Reformationsbewegungen in der Schweiz einen idealen und öffentlichkeitswirksamen Auftritt zu verschaffen.

 

In einem nächsten Schritt ergab sich dann jene Konstellation, die – angestoßen durch die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons – zur aktuellen Form des Zürcher Jubiläums geführt hat. Virulent ist es während eineinhalb Jahren und enden wird es im Januar 2019, 500 Jahre nach Zwinglis Auftritt auf der Reformationsbühne. Ein auch für die Schweiz außergewöhnliches Projekt, großzügig gefördert durch die Stadt und insbesondere den Kanton Zürich, zusammen mit der erwähnten kantonalen Landeskirche, dem Reformierten Stadtverband Zürich und Zürich Tourismus.
Eine seltsame Allianz für ein Reformationsgedenken. Indessen: Sie bringt zum Ausdruck, aus welcher Haltung heraus Zürich seine Reformation verstehen und feiern will. Nicht allein im Rückblick auf ein historisches und religiöses Ereignis, sondern als Versuch, Geschichte und Gegenwart zusammenzubringen und die Reformation als eine gleichsam genetische Prägung jenes Zürich zu thematisieren, das noch heute in der Schweiz häufig – und mit dezidiert säuerlichem bis mokantem Unterton – als Zwingli-Stadt apostrophiert oder verschrien wird.

 

Um den Willen hinter diesem Versuch und die Philosophie, die ihn treibt, geht es in der folgenden Darstellung. Im Wissen um die ehrgeizigen Ziele der Luther-Dekade, die einst gesetzt wurden, und um die zurückhaltende Bewertung ihrer Resultate gerade durch den Deutschen Kulturrat. Denn offenbar, so nehmen wir in der nüchternen Schweiz zur Kenntnis, ist dem deutschen Jubiläum nicht gelungen, ein Publikum über die kirchlichen Kreise hinaus zu erreichen oder gar zu begeistern.

 

Zurück zur Zwinglistadt: Ein Schlüssel zum Verständnis der Zürcher Bemühungen liegt in diesem Nachhall. Zwingli ist keineswegs die allseits anerkannte Lichtgestalt der lokalen, in ihrer Bedeutung aber viel weiterreichenden Reformation. Die Wahrnehmung von Zwinglis Person und seiner historischen Mission stehen vielmehr im Zeichen einer ebenso seltsamen wie bezeichnenden Ambivalenz.

 

Auch wenn die Bedeutung der reformatorischen Zeitenwende anerkannt und in Zürichs intakter Altstadt zumindest äußerlich auf Schritt und Tritt nachvollziehbar ist, so steht „zwinglianisch“ als säkulares Erbe der Reformation erst einmal für Arbeitswut, verkniffene Strenge und Lustfeindlichkeit. Als Fundament der erfolgreichen Finanz- und Wirtschaftsmetropole Zürich mag ein solches Bild durchgehen – deren regelmäßigen Spitzenplatzierungen im Städteranking der Lebensqualität wird es ebenso wenig gerecht wie dem Sommerfieber der Zürcher Street Parade und ähnlicher Events. Also bezeichnet Zwingli einen nahezu blinden Fleck in der Selbstwahrnehmung Zürichs, der ausgeleuchtet gehört. Und entsprechend impliziert die Feier seiner Reformation eine Auseinandersetzung, der weder mit kluger Geschichtsdidaktik noch mit religiös motivierter Erinnerungsarbeit allein beizukommen ist. Vielmehr geht es darum, das Zwinglianische zu rehabilitieren, indem es neu und begründet definiert wird – als produktiver Beitrag zu einem entkrampften Umgang mit der eigenen Mentalität.
Auf dieser Basis hat sich ein Jubiläumsprojekt entwickelt, das in manchen Belangen auf völlig andere Erfahrungen und Möglichkeiten setzt als in Deutschland. Und das natürlich in seiner Konzentration auf die Stadt und die Region Zürich die Chance hat, allen nationalen oder gar nationalistischen Fallen zu entgehen und dafür enge Beziehungen und Bindungen vor Ort zu aktivieren.

 

Bereitgestellt wurde ein Budget von 13,8 Millionen Schweizer Franken. Das Programm, das damit finanziert wird, ist am raschesten über die Webseite www.zh-reformation.ch zugänglich. Diese Plattform macht überdies die vielfältigen thematischen Bezüge und Brechungen des Diskurses zugänglich, der die Beteiligten beschäftigt und sie vermittelt einen Eindruck von der bewusst offensiven Bildsprache in Kommunikation und Vermittlung.

Die folgenden fünf Besonderheiten mögen die Philosophie hinter der Projektgestaltung charakterisieren. Erstens: In der Trägerschaft von „500 Jahre Zürcher Reformation“ haben sich Partner mit unterschiedlichen Interessen einvernehmlich zusammengefunden. Der politische und zivilgesellschaftliche Blick auf die Reformation geht einher mit den kirchlichen Anliegen, wobei die Institutionen der Kirche für eigene Projekte mit spezifisch religiösem Gehalt eine besondere Finanzierung unter eigener Regie und mit einem eigenen Label bereitgestellt haben. Organisation und Struktur sind denkbar einfach – die Träger haben einen Verein gegründet, dessen Vorstand zweimal jährlich zusammenkommt, während sich seine Geschäftsleitung monatlich trifft.

 

Zweitens: Mit der Leitung des Projekts ist ein Zweierteam von kulturellem Gewicht beauftragt worden, im Sinne einer inhaltlich-kuratorischen Gesamtleitung. Dieses Duo hat nahezu die Befugnisse einer Intendanz und plant das Programm autonom, muss allerdings die einzelnen künstlerischen und kulturellen Projekte jeweils nach Ende der Konzeptphase und zusammen mit dem Budget dem Trägergremium vorlegen. In der Gestaltung der Dachkommunikation des Jubiläums ist die kuratorische Leitung frei. Eigene Vorhaben kann sie initiieren, realisiert sie aber nicht selbst, sondern kooperiert mit externen Akteuren und Institutionen.

 

Drittens: Alle Fördergelder wurden auf der Grundlage einer ersten und noch ungefähren Programmversion gesprochen. Eingeschlossen war damit, dass sich das Programm im Sinne einer rollenden Planung weiterentwickeln soll und laufende Arbeitserfahrungen einfließen lässt. Aus diesem Vorgehen kristallisierte sich die Konzeption einer Programmlandschaft heraus, die über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hinweg das Thema der Reformation an unterschiedlichen Orten des Zürcher Kulturbetriebs platziert und einem breiten Publikum Gelegenheit zu unerwarteten Begegnungen gibt.

 

Viertens: Der Schlüssel zu einem solchen Projektverständnis heißt Vertrauen. Vertrauen zuallererst seitens der Kirche, dass die Auseinandersetzung mit nichtkirchlichen Perspektiven und Auffassungen Sinn macht und produktive Ergebnisse zeitigt. Was das Zugeständnis der Verantwortlichen einschließt, dass die Kirche über keine kulturelle Projektkompetenz dieser Art verfügt. Vertrauen benötigt aber auch die Politik, die sich erst einmal mit Kirche und Religion einlassen musste, aber auch im Hinblick auf ihre Verantwortung für öffentliche Gelder. Schließlich und nicht zuletzt ist Vertrauen zwischen den Autorinnen und Autoren der Projekte und der kuratorischen Gesamtleitung gefragt – alle Beteiligten bewegen sich inhaltlich auf Neuland.

 

Fünftens: Partizipation heißt in einer solchen Anlage, möglichst viele kulturelle Institutionen zu beteiligen. Auch solche, die noch vor Kurzem kaum daran dachten, sich auf die Reformation und Figuren wie Zwingli und seine Nachfolger einzulassen. Die sich jedoch davon überzeugen ließen, wie wichtig es ist, in diesem komplexen Gefüge eigene Fragestellungen und Sinngebungen freizulegen – zwischen Glaube, Skepsis und gesellschaftlicher Neugier und mit wachem Bewusstsein für die Chancen solcher Exkursionen im Alltag eines oft mit sich selbst beschäftigten Kulturbetriebs. Ebenso wichtig aber ist, dass die meisten Einrichtungen, Formate und Medien bereits ein Publikum mitbringen, das für die Reformationsthematik gewonnen werden kann.

 

All diese Dispositionen und Überlegungen liefern bloß – aber immerhin! – die Voraussetzungen dafür, das Zürcher Reformationsjubiläum mit Lust am Risiko zu feiern. Das Risiko selbst allerdings muss in den einzelnen Ideen stecken und ihre Realisierung durchziehen. In Form eines ernsthaften kulturellen Spiels, das sich weniger um Korrektheit oder historische Detailschärfe kümmert als um das Potenzial von Bewegungen ins Offene.

 

Aus solchen Bewegungen entstehen Projekte wie ein Zeichentrickfilm zu Zwinglis Kindern oder ein Mobile Game mit der Einladung, im Zürich des Jahres 2117 gegen ein dunkles Unterdrückungssystem zu kämpfen. Oder eine Ausstellung zum Wort als der gemeinsamen Leidenschaft von Theologen und Literaten und eine weitere – „Gott und die Bilder“ – zu den großen Streitfragen der Reformation, dann eine in der Kunsthalle Zürich etablierte, von einem Künstler eingerichtete Kirche, Theaterproduktionen zum Konflikt Zwinglis mit seinen einstigen Weggefährten, den Täufern, oder als Behauptung, was eine zeitgenössische Form der Disputation sein könnte.
Unterwegs sind aber auch: eine Erkundung der schwierigen Verhältnisse zwischen Reformation und Musik, Interventionen im öffentlichen Raum mit Kommentaren zur reformierten Arbeitsethik, eine Bibelübersetzungswerkstatt für Jugendliche, eine Beobachtungsstation zum Selbstverständnis der reformierten Kirche, eine von Zwinglis Energien inspirierte Tanz- und Musikperformance, eine Schule des Handelns mit Gästen, eine Zwingli-Roadshow als Lehrstück und Spektakel sowie etliches mehr.

 

Und der rote Faden? Die Schweizer Reformation war eine Bewegung von unten, ein Beispiel visionär unterfütterter, aber pragmatisch tatkräftiger und volksnaher Veränderung. An dieser im besten Sinne demokratischen Vorgabe richtet sich auch das Zürcher Jubiläum aus, entlang jener ebenso treffenden wie zeitlosen und zu fast jeder Lebenslage passenden Beschwörung Zwinglis: „Tut um Gott’s Willen etwas Tapferes!“

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2017 erschienen.


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