Jubiläen feiern, wie sie fallen. Aber wie?

500 Jahre Reformation – in der Schweiz

Fünfhundert Jahre Reformation. Auch in der Schweiz und insbesondere in Zürich. Mit etwas Verspätung zwar: Zum Zeitpunkt von Luthers Thesenanschlag trieb sich Huldrych Zwingli, der Zürcher Reformator, noch lebenslustig und lernbegierig in Einsiedeln herum. Am 1. Januar 1519 wurde er als Leutpriester am Zürcher Grossmünster installiert, und erst in den folgenden Jahren kam es zu jener kirchenhistorischen und gesellschaftlichen Umwälzung, die Zürich zur Reformationsstadt machen sollte.

 

In Genf, Bern oder Basel liegen die Schlüsseldaten nochmals anders. Also schloss sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund den auf Luther ausgerichteten deutschen Feierlichkeiten an. Im Sog der damit verbundenen Planungen kam er zur Entscheidung, auf diese Weise auch der Erinnerung an die Reformationsbewegungen in der Schweiz einen idealen und öffentlichkeitswirksamen Auftritt zu verschaffen.

 

In einem nächsten Schritt ergab sich dann jene Konstellation, die – angestoßen durch die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons – zur aktuellen Form des Zürcher Jubiläums geführt hat. Virulent ist es während eineinhalb Jahren und enden wird es im Januar 2019, 500 Jahre nach Zwinglis Auftritt auf der Reformationsbühne. Ein auch für die Schweiz außergewöhnliches Projekt, großzügig gefördert durch die Stadt und insbesondere den Kanton Zürich, zusammen mit der erwähnten kantonalen Landeskirche, dem Reformierten Stadtverband Zürich und Zürich Tourismus.
Eine seltsame Allianz für ein Reformationsgedenken. Indessen: Sie bringt zum Ausdruck, aus welcher Haltung heraus Zürich seine Reformation verstehen und feiern will. Nicht allein im Rückblick auf ein historisches und religiöses Ereignis, sondern als Versuch, Geschichte und Gegenwart zusammenzubringen und die Reformation als eine gleichsam genetische Prägung jenes Zürich zu thematisieren, das noch heute in der Schweiz häufig – und mit dezidiert säuerlichem bis mokantem Unterton – als Zwingli-Stadt apostrophiert oder verschrien wird.

 

Um den Willen hinter diesem Versuch und die Philosophie, die ihn treibt, geht es in der folgenden Darstellung. Im Wissen um die ehrgeizigen Ziele der Luther-Dekade, die einst gesetzt wurden, und um die zurückhaltende Bewertung ihrer Resultate gerade durch den Deutschen Kulturrat. Denn offenbar, so nehmen wir in der nüchternen Schweiz zur Kenntnis, ist dem deutschen Jubiläum nicht gelungen, ein Publikum über die kirchlichen Kreise hinaus zu erreichen oder gar zu begeistern.

 

Zurück zur Zwinglistadt: Ein Schlüssel zum Verständnis der Zürcher Bemühungen liegt in diesem Nachhall. Zwingli ist keineswegs die allseits anerkannte Lichtgestalt der lokalen, in ihrer Bedeutung aber viel weiterreichenden Reformation. Die Wahrnehmung von Zwinglis Person und seiner historischen Mission stehen vielmehr im Zeichen einer ebenso seltsamen wie bezeichnenden Ambivalenz.

 

Auch wenn die Bedeutung der reformatorischen Zeitenwende anerkannt und in Zürichs intakter Altstadt zumindest äußerlich auf Schritt und Tritt nachvollziehbar ist, so steht „zwinglianisch“ als säkulares Erbe der Reformation erst einmal für Arbeitswut, verkniffene Strenge und Lustfeindlichkeit. Als Fundament der erfolgreichen Finanz- und Wirtschaftsmetropole Zürich mag ein solches Bild durchgehen – deren regelmäßigen Spitzenplatzierungen im Städteranking der Lebensqualität wird es ebenso wenig gerecht wie dem Sommerfieber der Zürcher Street Parade und ähnlicher Events. Also bezeichnet Zwingli einen nahezu blinden Fleck in der Selbstwahrnehmung Zürichs, der ausgeleuchtet gehört. Und entsprechend impliziert die Feier seiner Reformation eine Auseinandersetzung, der weder mit kluger Geschichtsdidaktik noch mit religiös motivierter Erinnerungsarbeit allein beizukommen ist. Vielmehr geht es darum, das Zwinglianische zu rehabilitieren, indem es neu und begründet definiert wird – als produktiver Beitrag zu einem entkrampften Umgang mit der eigenen Mentalität.
Auf dieser Basis hat sich ein Jubiläumsprojekt entwickelt, das in manchen Belangen auf völlig andere Erfahrungen und Möglichkeiten setzt als in Deutschland. Und das natürlich in seiner Konzentration auf die Stadt und die Region Zürich die Chance hat, allen nationalen oder gar nationalistischen Fallen zu entgehen und dafür enge Beziehungen und Bindungen vor Ort zu aktivieren.

 

Bereitgestellt wurde ein Budget von 13,8 Millionen Schweizer Franken. Das Programm, das damit finanziert wird, ist am raschesten über die Webseite www.zh-reformation.ch zugänglich. Diese Plattform macht überdies die vielfältigen thematischen Bezüge und Brechungen des Diskurses zugänglich, der die Beteiligten beschäftigt und sie vermittelt einen Eindruck von der bewusst offensiven Bildsprache in Kommunikation und Vermittlung.

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