Wettergott spielen?

Das Serious Game "Fate of the World" simuliert Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels.

Turmhohe Flutwellen, vertrocknete Landstriche, treibende Eisberge – das Repertoire katastrophischer Bilder wurde in den letzten Jahren nicht nur von Umwelt-NGOs und Wissenschaftlern beschworen, sondern wird mittlerweile auch im Mainstream, etwa im US-Blockbusterkino z. B. in Form von Roland Emmerichs „The Day After Tomorrow“ von 2004 oder in der Literatur durch Tom Coopers „Das zerstörte Leben des Wes Trench“ aus dem Jahr 2016 aufgerufen. Diese Bilder scheint es auch zu brauchen: In der „Weltrisikogesellschaft“ bescheinigt Ulrich Beck 2007 dem Klimawandel ein Kommunikationsproblem. Gerade weil es sich um einen Expertendiskurs handelt, der nicht einfach erfahrbar ist – ob Extremwetterereignisse dem Klimawandel zugerechnet werden, ist selbst unter Experten umstritten – muss er sprachlich und symbolisch hergestellt werden. Man mag daher die Hysterie popkultureller Klimawandeldarstellungen kritisieren; bewusstseinsverändernder, weil breitenwirksamer als die Ergebnisse der Bonner Klimakonferenz sind sie vermutlich.

 

Eine besondere Chance dazu haben digitale Spiele, die aufgrund ihrer Interaktivität Erfahrungswirklichkeit erspiel- und damit erfahrbar machen. Wie dies aussehen kann, sei am Beispiel von „Fate of the World“, einem Serious Game von „Red Redemption“ von 2011, kurz dargestellt: Im Angesicht der globalen Erwärmung wird der Spieler zu einer Art Weltregierung namens „GEO“ erklärt. Nach Auswahl eines Szenarios, das die Siegbedingungen festlegt, etwa einen bestimmten Temperaturanstieg nicht zu überschreiten, wird beginnend mit 2020 in Runden von fünf Jahren bis 2200 gespielt. Ausgestattet mit dem Weltbruttosozialprodukt kann er nun klimarelevante Maßnahmen setzen. Diese reichen von der Einführung von E-Autos und der Erforschung der Kalten Fusion bis hin zur Verwendung von Aerosole, um die Atmosphäre abzukühlen. Das Spiel konzipiert den Kampf für die Umwelt darüber hinaus holistisch: Maßnahmen wie die Förderung von Frauenbildung, die Umstellung auf eine vegetarische Lebensweise oder der Ausbau der Infrastruktur sind möglicherweise kurzfristig klimaschädlich; langfristig stellen sie aber die Akzeptanz für die umweltpolitischen Maßnahmen her. Zwischen den Runden wird der aktuelle CO2-Ausstoß der durchschnittlichen Temperaturerhöhung gegenübergestellt, im Anschluss findet sich eine Statistik der weltweiten, durch den Klimawandel verursachten Todesopfer – allgemeinverständlicher, dringlicher und verdichteter kann man das Klimawandelnarrativ wohl kaum darstellen.

 

Dem Spieler wird jedenfalls aufgrund der Möglichkeiten viel abverlangt: Chinas Wirtschaftswachstum mittels One-Child-Policy verringern? Den südamerikanischen Regenwald abholzen, um mehr Biodiesel zu erzeugen? Den Nordamerikanern bewusst machen, dass der Konsumismus zum Schaden aller ist und damit die zur Verfügung stehenden Einkünfte pro Runde massiv senken? Im Rahmen von Zielkonflikten wie diesen muss sich der Spieler Runde für Runde neu entscheiden. So absorbiert der angesprochene Regenwald CO2 und erhöht die landwirtschaftliche Produktivität Südamerikas, da er die Wasserknappheit lindert. Langfristig überwiegen also die Vorteile gegenüber der Biodieselproduktion. Nur: In der Deutlichkeit gibt das Spiel darüber keine Auskunft. Zwar kann das spielinterne enzyklopädische Nachschlagewerk Hinweise geben, letztlich muss der Spieler aber den Statistikteil konsultieren. Dort werden alle klimarelevanten Spielfaktoren miteinander vernetzt, sodass die gegenseitigen Einflussnahmen erkennbar werden. Da es allerdings viele davon gibt, die sich wiederum gegenseitig beeinflussen, sind die Folgen des klimapolitischen Handelns nie völlig absehbar – die E-Mobilität verringert zwar die Abhängigkeit vom Erdöl, erhöht aber den Bedarf an Energie massiv. Das Klimamodell von „Fate of the World“ ist damit sicherlich das komplexeste, das bisher Eingang in ein digitales Spiel gefunden hat.

 

Letztlich ist der Spieler damit gezwungen, ununterbrochen Hypothesen über Wirkzusammenhänge aufzustellen und zu überprüfen; das kann motivierend sein, wenn ein Szenario gemeistert wird, frustrierend, wenn trotz des x-ten Neustarts unerklärlich bleibt, wie Nordamerika vor der Dürre bewahrt oder in Indien politischer Frieden gesichert werden kann. Durch dieses permanente Problemlösen findet, wie aktuelle Forschung zu Serious Games bestätigt, Lernen statt. So positiv „Fate of the World“ die physikalischen und biologischen Aspekte beschreibt, so fragwürdig ist die politische Komponente: Klimawandel wird hier top-down von einer Weltregierung diktiert, die Dominanz der Technokratie über die Politik wird zur ultima ratio angesichts der Apokalypse. Aber auch dieser Aspekt könnte dekonstruiert dem Erkenntnisgewinn dienen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Alexander Preisinger
Alexander Preisinger ist Senior Lecturer für Fachdidaktik Geschichte an der Universität Wien und Lehrer an einer Wiener Handelsakademie.
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