„Wohnen muss teurer werden“

Uwe Schneidewind im Gespräch

Auch Wuppertal ist von der Flut getroffen worden. Weshalb hat es trotz der engen Tallage kaum größere Schäden gegeben?

Das liegt daran, dass die Wupper seit 100 Jahren stark reguliert ist. Die Stadt war immer von Überschwemmungen bedroht. Deshalb hat man ein Talsperrensystem errichtet, um das Wasser bei Starkregen zurückzuhalten und in Niedrigwasserzeiten die Industriebetriebe mit ausreichend Wasser zu versorgen. Dieses System hat sehr gut funktioniert, mit dem einzigen Problem, dass der Regen diesmal so extrem und breitflächig auftrat, dass die Talsperren zum Teil kontrolliert abgelassen werden mussten. Trotz massiver Sachschäden an den Stadträndern sind wir im Vergleich zu anderen Orten glimpflich davongekommen.

 

Müssen Städte und Gemeinde mehr investieren in die Anpassung an den Klimawandel und Vorsorge für solche Extremwetter treffen, einschließlich einer anderen Bauplanung?

Das ist ein Riesenthema und natürlich für jede Stadt anders, je nach geografischer Lage und sonstigen Gegebenheiten. Wir müssen in Wuppertal einiges nachrüsten an Schutzmaßnahmen und das Talsperrensystem optimieren. Überregional muss man mehr Wasserausgleichsflächen schaffen und überlegen, wo und wie man in Zukunft noch an einem Fluss oder Bach wohnen und bauen kann. Das hat Synergien zum Klimaschutz. Wenn ich mehr Stadtgrün schaffe, um Regen aufzufangen, ist das auch eine CO2-Senke. Das Gleiche gilt, wenn wir Autos aus den Städten herausbringen und stattdessen Platz schaffen, wo sich Menschen zu Fuß oder auf dem Rad bewegen können. Das sorgt dann auch für weniger Bodenversiegelung und weniger Aufhitzung der Stadt. So erreichen wir beides, Klima- und Hochwasserschutz. Diese Schnittmengen haben für die Stadtgestaltung der Zukunft große Bedeutung.

 

Es führt jedoch zu Konflikten, wenn Sie einerseits Wohnraum schaffen und Städte verdichten müssen, um der Wohnungsnot zu begegnen, oder neue Gewerbeflächen, andererseits mehr Stadtgrün wollen.

Aus diesen alten Grabenkämpfen müssen wir raus. In Wuppertal bereiten wir eine breite Flächendebatte vor. Nur zwei Prozent des Stadtgebiets lässt sich noch für neue Bebauung überhaupt ausweisen. Deshalb ist klar, ein flächenintensives Wirtschaftsmodell ist für diese Stadt keine Lösung. Wir müssen uns fragen, was sind künftig die Wertschöpfungspotenziale, die auch mit ganz wenig Fläche gehen. Wenn wir jetzt nicht den Paradigmenwechsel hinbekommen und immer noch meinen, wir seien im Wettbewerb mit anderen Kommunen um das nächste großflächige Industriegebiet, fahren wir gegen die Wand. Das ist eine Herausforderung, weil lokale Wirtschaftspolitik lange immer nur in dieser Weise gedacht wurde. Bei den Wohnungen ist es ähnlich. Das Hauptproblem ist nicht, dass Wohnungen fehlen, sondern dass viele heute auf 40 Quadratmeter pro Person leben statt auf 20 bis 25 wie früher, durch veränderte Lebensmuster und Ansprüche. Da muss man realistisch sein: Wohnen wird und muss ein ganzes Stück teurer werden, weil wir sonst kein Korrektiv haben, um diese gewaltige Flächenexpansion zu stoppen, auch außerhalb der Städte. Daher müssen wir neue Formen des Wohnens auch über die biografischen Veränderungen hinaus entwickeln, die mit weniger Fläche auskommen. Das ist eine ganz schwierige Diskussion, wie man an der Einfamilienhausdebatte gesehen hat.

 

Viele Menschen wünschen sich, ein eigenes Haus zu haben.

Es geht auch um einen kulturellen Wandel. Wie sieht ein lebenswertes Leben im 21. Jahrhundert aus? Darüber müssen wir eine gesellschaftliche Debatte führen.

 

Werden solche Fragen auch in der städtischen Kultur verhandelt?

Man darf das nicht instrumentell verkürzen nach dem Motto, Künstler müssen über Nachhaltigkeit und Klimaschutz aufklären oder den eigenen CO2-Abdruck verringern. Künstlerisch wird die Klimadebatte dann interessant, wenn sie neue kreative Potenziale auslöst. Wenn sich z. B. ein Orchester fragt: Was heißt es, wenn ich nur noch mit Musikern aus der Region arbeite? Was bedeutet das für das Repertoire? Kann man diese Begrenzung nutzen, um etwas Neues zu schaffen? Über die Kunst haben wir ganz andere Möglichkeiten der Reflexion über die Gesellschaft im Umbruch. Künstler nehmen Dinge wahr, die wir in den rationalen Nachhaltigkeitsdiskursen nur schwer aufgreifen können: Stimmungen, Ängste, Sorgen, Energien. In der anstehenden großen Umwälzung geht es um Emotionen. Dafür ist Kunst ein ganz wichtiges Medium. In Wuppertal sind wir damit gesegnet, weil die Stadt immer schon Künstlerpersönlichkeiten geprägt hat wie Else Lasker-Schüler oder Pina Bausch, die das Bruchhafte und die Reibungen, die die Stadt erzeugt, produktiv genutzt haben.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Uwe Schneidewind und Ludwig Greven
Uwe Schneidewind ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit und Oberbürgermeister von Wuppertal. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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