„Wohnen muss teurer werden“

Uwe Schneidewind im Gespräch

Der Wuppertaler Oberbürgermeister von den Grünen und Nachhaltigkeitsforscher spricht mit Ludwig Greven über Klimaschutz in den Städten, Flächenverbrauch und seinen Wechsel von der Wissenschaft in die Kommunalpolitik.

 

Ludwig Greven: Bis vor einem Jahr haben Sie das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie geleitet. Was hat Sie bewogen, von der Wissenschaft in die Politik zu wechseln und Oberbürgermeister zu werden?

Uwe Schneidewind: Der Wechsel ist weniger groß, als es zunächst wirkt. Am Wuppertal Institut haben wir uns intensiv mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen gerade in Städten beschäftigt. Als ich an das Institut kam, fiel mir auf, dass wir uns jedoch wenig mit Wuppertal befasst haben, obwohl sie als alte Industriestadt schon lange im Wandel ist. Die spannende Frage ist, wie kommen da die Themen des 21. Jahrhunderts voran: Klimaschutz, Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende. Wir haben dazu eine Reihe von Forschungsprojekten gemacht. Da hat sich mein berufliches und lebensweltliches Umfeld vermengt, weil ich ständig mit den lokalen Akteuren der Veränderung im Austausch war und ich mich von der Faszination der Stadt anstecken ließ. Irgendwann haben mich dann meine Grünen und die CDU gefragt, ob ich kandidieren will.

 

Aber wäre es nicht vorteilhafter gewesen, in die Landes- oder Bundespolitik zu gehen? Da kann man mehr bewegen. Wieso in die Kommunalpolitik?

Ich glaube, dass ich als Präsident des Wuppertal Instituts national einflussreicher war, als wenn ich für den Bundestag kandidiert hätte oder Staatssekretär geworden wäre. Denn als Wissenschaftler kann man unabhängig von Legislaturperioden Themen vorantreiben und sich ganz anders mit den Ministerien und anderen Akteuren mit seinen Konzepten vernetzen. Was mich gereizt hat: zu verstehen, dass wir seit 30 Jahren zwar immer wieder die gleichen Forderungen erheben, aber die Gesellschaft sich dennoch nur schwer bewegen lässt, sich den Zukunftsthemen zuzuwenden. In einer Kommune ist man unmittelbar dran an den Menschen. Sich da einer Wahl zu stellen und die Bürger zu überzeugen, hat eine besondere Qualität.

 

Können Sie nun in die Tat umsetzen, was Sie vorher als Wissenschaftler propagiert haben, besonders zum Klima- und Umweltschutz?

Es ist eine große Herausforderung, den strategischen Fokus zu behalten, denn das Amt hat eine Vielzahl an Aufgaben und Themen, viele Erwartungen und Hoffnungen werden an mich gerichtet. Ich kann inzwischen nachvollziehen, weshalb so wenig Strategisches passiert, weil man täglich so vieles erledigen und auf so vieles reagieren muss. Davon kann man leicht absorbiert werden und den Gestaltungsanspruch hintenanstellen. Deshalb ist es wichtig, Energien und Konstellationen in der Stadt zu nutzen. Beispielsweise denken jetzt einzelne Bezirksvertretungen endlich über Experimente mit autofreien Zonen nach. Wir unterstützen das als Stadtverwaltung. Wir haben eine Klimastudie für das Jahr 2035 mit dem Wuppertal Institut gemacht, um eine Handlungskulisse aufzuspannen und eine Grundlage für Verhandlungen mit dem Land und dem Bund zu haben, da wir die dafür notwendigen Veränderungen nicht allein stemmen können.

 

Also eine Kombination von täglichen Entscheidungen und langfristigen Zielen?

Man muss eine Idee entwickeln, wohin man will, und Ressourcen und Mitakteure gewinnen, um dorthin zu kommen. Was sich wirklich bewegen lässt, wird man erst in vier oder fünf Jahren sehen. Das Interessante ist, dass wir in NRW jetzt mehrere ähnliche Konstellationen haben, mit Grünen in oberster Verantwortung für die Stadt, mal mit, mal ohne Mehrheit im Rat wie ich. Da wird man dann vergleichen können, wie viel an Klimaschutz und Nachhaltigkeit  gelungen ist.

 

Wir stark ist die Unterstützung in der Stadt, wie stark sind die Widerstände gegen Ihre Pläne?

Ein Oberbürgermeister allein ist ziemlich machtlos. Zumal in einer Stadt, die überschuldet ist und wo es deshalb kaum finanzielle Gestaltungsspielräume gibt und man auf viele Externe angewiesen ist, die Akzente setzen. Auf der anderen Seite kann man, gerade weil es so unterschiedliche Interessen und Anforderungen auch aus der Zivilgesellschaft gibt, Koalitionen formen, um Dinge voranzubringen. Wo sind Investoren und gesellschaftliche Kräfte, die Lust haben, neue Wege zu gehen? In der Stadt bildet sich aktuell z. B. ein neues wirtschaftliches Cluster in Richtung Kreislaufwirtschaft. Und natürlich versuche ich die Verbindungen zum Land und Bund aus meinem früheren Amt zu nutzen und Wuppertal zu einem Schaufenster zu machen, was geht.

 

Was ist Ihr Leitbild für Wuppertal in 10 oder 20 Jahren?

Die Stadt hat alle Potenziale lebendig zu machen, worüber wir als neue Urbanität reden. Anne Hildalgo in Paris spricht von der 15-Minuten-Stadt, aus der wir die funktionale Trennung herausnehmen und wo Wohnen, Leben, Arbeiten, Freizeit, Erholung, Kultur in einer ganz anderen Unmittelbarkeit, Verdichtung und Vermischung wieder erfahrbar sind. Wuppertal hat durch seine enge Tallage und die ungewöhnliche Situation, dass der ärmste Teil nicht an der Peripherie, sondern in der Innenstadt liegt, wo sich sonst finanziell Schwache das Leben oft nicht mehr leisten können, das Glück, dass sich das hier nicht so ausdifferenziert hat. Man ist in zehn Minuten in einem fantastischen Bürgerpark und schnell auf neuen Radwegen in Naherholungsgebieten ringsum. Zugleich ist die Stadt in den urbanen Großraum Rhein-Ruhr eingebunden. Und sie hat eine 150-jährige Geschichte des sich immer wieder neu Erfindens, unternehmerisch, künstlerisch, sozial. Ein Ort der Experimentierräume, in dem vieles von dem, was gesellschaftlich vorgedacht wird, im Kleinen vorgelebt wird. Meine Vision ist, dass man in zehn Jahren sagt, Wuppertal ist einer der spannendsten urbanen Räume in Westdeutschland. Hier ist noch nicht alles durchgentrifiziert, was Köln oder Düsseldorf dann vermutlich sein werden, wo es dann kaum noch eine Vermischung gibt. Die Stadt ist aus sich heraus kraftvoll genug, das Gefühl dafür zu geben, wie solche extrem vielfältigen Gesellschaften im Umbruch sich Zukunft immer wieder neu erfinden können.

Uwe Schneidewind und Ludwig Greven
Uwe Schneidewind ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit und Oberbürgermeister von Wuppertal. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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