Uwe Schneidewind und Ludwig Greven - 28. September 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Klima & Kultur

"Wohnen muss teurer werden"


Uwe Schneidewind im Gespräch

Der Wuppertaler Oberbürgermeister von den Grünen und Nachhaltigkeitsforscher spricht mit Ludwig Greven über Klimaschutz in den Städten, Flächenverbrauch und seinen Wechsel von der Wissenschaft in die Kommunalpolitik.

 

Ludwig Greven: Bis vor einem Jahr haben Sie das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie geleitet. Was hat Sie bewogen, von der Wissenschaft in die Politik zu wechseln und Oberbürgermeister zu werden?

Uwe Schneidewind: Der Wechsel ist weniger groß, als es zunächst wirkt. Am Wuppertal Institut haben wir uns intensiv mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen gerade in Städten beschäftigt. Als ich an das Institut kam, fiel mir auf, dass wir uns jedoch wenig mit Wuppertal befasst haben, obwohl sie als alte Industriestadt schon lange im Wandel ist. Die spannende Frage ist, wie kommen da die Themen des 21. Jahrhunderts voran: Klimaschutz, Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende. Wir haben dazu eine Reihe von Forschungsprojekten gemacht. Da hat sich mein berufliches und lebensweltliches Umfeld vermengt, weil ich ständig mit den lokalen Akteuren der Veränderung im Austausch war und ich mich von der Faszination der Stadt anstecken ließ. Irgendwann haben mich dann meine Grünen und die CDU gefragt, ob ich kandidieren will.

 

Aber wäre es nicht vorteilhafter gewesen, in die Landes- oder Bundespolitik zu gehen? Da kann man mehr bewegen. Wieso in die Kommunalpolitik?

Ich glaube, dass ich als Präsident des Wuppertal Instituts national einflussreicher war, als wenn ich für den Bundestag kandidiert hätte oder Staatssekretär geworden wäre. Denn als Wissenschaftler kann man unabhängig von Legislaturperioden Themen vorantreiben und sich ganz anders mit den Ministerien und anderen Akteuren mit seinen Konzepten vernetzen. Was mich gereizt hat: zu verstehen, dass wir seit 30 Jahren zwar immer wieder die gleichen Forderungen erheben, aber die Gesellschaft sich dennoch nur schwer bewegen lässt, sich den Zukunftsthemen zuzuwenden. In einer Kommune ist man unmittelbar dran an den Menschen. Sich da einer Wahl zu stellen und die Bürger zu überzeugen, hat eine besondere Qualität.

 

Können Sie nun in die Tat umsetzen, was Sie vorher als Wissenschaftler propagiert haben, besonders zum Klima- und Umweltschutz?

Es ist eine große Herausforderung, den strategischen Fokus zu behalten, denn das Amt hat eine Vielzahl an Aufgaben und Themen, viele Erwartungen und Hoffnungen werden an mich gerichtet. Ich kann inzwischen nachvollziehen, weshalb so wenig Strategisches passiert, weil man täglich so vieles erledigen und auf so vieles reagieren muss. Davon kann man leicht absorbiert werden und den Gestaltungsanspruch hintenanstellen. Deshalb ist es wichtig, Energien und Konstellationen in der Stadt zu nutzen. Beispielsweise denken jetzt einzelne Bezirksvertretungen endlich über Experimente mit autofreien Zonen nach. Wir unterstützen das als Stadtverwaltung. Wir haben eine Klimastudie für das Jahr 2035 mit dem Wuppertal Institut gemacht, um eine Handlungskulisse aufzuspannen und eine Grundlage für Verhandlungen mit dem Land und dem Bund zu haben, da wir die dafür notwendigen Veränderungen nicht allein stemmen können.

 

Also eine Kombination von täglichen Entscheidungen und langfristigen Zielen?

Man muss eine Idee entwickeln, wohin man will, und Ressourcen und Mitakteure gewinnen, um dorthin zu kommen. Was sich wirklich bewegen lässt, wird man erst in vier oder fünf Jahren sehen. Das Interessante ist, dass wir in NRW jetzt mehrere ähnliche Konstellationen haben, mit Grünen in oberster Verantwortung für die Stadt, mal mit, mal ohne Mehrheit im Rat wie ich. Da wird man dann vergleichen können, wie viel an Klimaschutz und Nachhaltigkeit  gelungen ist.

 

Wir stark ist die Unterstützung in der Stadt, wie stark sind die Widerstände gegen Ihre Pläne?

Ein Oberbürgermeister allein ist ziemlich machtlos. Zumal in einer Stadt, die überschuldet ist und wo es deshalb kaum finanzielle Gestaltungsspielräume gibt und man auf viele Externe angewiesen ist, die Akzente setzen. Auf der anderen Seite kann man, gerade weil es so unterschiedliche Interessen und Anforderungen auch aus der Zivilgesellschaft gibt, Koalitionen formen, um Dinge voranzubringen. Wo sind Investoren und gesellschaftliche Kräfte, die Lust haben, neue Wege zu gehen? In der Stadt bildet sich aktuell z. B. ein neues wirtschaftliches Cluster in Richtung Kreislaufwirtschaft. Und natürlich versuche ich die Verbindungen zum Land und Bund aus meinem früheren Amt zu nutzen und Wuppertal zu einem Schaufenster zu machen, was geht.

 

Was ist Ihr Leitbild für Wuppertal in 10 oder 20 Jahren?

Die Stadt hat alle Potenziale lebendig zu machen, worüber wir als neue Urbanität reden. Anne Hildalgo in Paris spricht von der 15-Minuten-Stadt, aus der wir die funktionale Trennung herausnehmen und wo Wohnen, Leben, Arbeiten, Freizeit, Erholung, Kultur in einer ganz anderen Unmittelbarkeit, Verdichtung und Vermischung wieder erfahrbar sind. Wuppertal hat durch seine enge Tallage und die ungewöhnliche Situation, dass der ärmste Teil nicht an der Peripherie, sondern in der Innenstadt liegt, wo sich sonst finanziell Schwache das Leben oft nicht mehr leisten können, das Glück, dass sich das hier nicht so ausdifferenziert hat. Man ist in zehn Minuten in einem fantastischen Bürgerpark und schnell auf neuen Radwegen in Naherholungsgebieten ringsum. Zugleich ist die Stadt in den urbanen Großraum Rhein-Ruhr eingebunden. Und sie hat eine 150-jährige Geschichte des sich immer wieder neu Erfindens, unternehmerisch, künstlerisch, sozial. Ein Ort der Experimentierräume, in dem vieles von dem, was gesellschaftlich vorgedacht wird, im Kleinen vorgelebt wird. Meine Vision ist, dass man in zehn Jahren sagt, Wuppertal ist einer der spannendsten urbanen Räume in Westdeutschland. Hier ist noch nicht alles durchgentrifiziert, was Köln oder Düsseldorf dann vermutlich sein werden, wo es dann kaum noch eine Vermischung gibt. Die Stadt ist aus sich heraus kraftvoll genug, das Gefühl dafür zu geben, wie solche extrem vielfältigen Gesellschaften im Umbruch sich Zukunft immer wieder neu erfinden können.

Auch Wuppertal ist von der Flut getroffen worden. Weshalb hat es trotz der engen Tallage kaum größere Schäden gegeben?

Das liegt daran, dass die Wupper seit 100 Jahren stark reguliert ist. Die Stadt war immer von Überschwemmungen bedroht. Deshalb hat man ein Talsperrensystem errichtet, um das Wasser bei Starkregen zurückzuhalten und in Niedrigwasserzeiten die Industriebetriebe mit ausreichend Wasser zu versorgen. Dieses System hat sehr gut funktioniert, mit dem einzigen Problem, dass der Regen diesmal so extrem und breitflächig auftrat, dass die Talsperren zum Teil kontrolliert abgelassen werden mussten. Trotz massiver Sachschäden an den Stadträndern sind wir im Vergleich zu anderen Orten glimpflich davongekommen.

 

Müssen Städte und Gemeinde mehr investieren in die Anpassung an den Klimawandel und Vorsorge für solche Extremwetter treffen, einschließlich einer anderen Bauplanung?

Das ist ein Riesenthema und natürlich für jede Stadt anders, je nach geografischer Lage und sonstigen Gegebenheiten. Wir müssen in Wuppertal einiges nachrüsten an Schutzmaßnahmen und das Talsperrensystem optimieren. Überregional muss man mehr Wasserausgleichsflächen schaffen und überlegen, wo und wie man in Zukunft noch an einem Fluss oder Bach wohnen und bauen kann. Das hat Synergien zum Klimaschutz. Wenn ich mehr Stadtgrün schaffe, um Regen aufzufangen, ist das auch eine CO2-Senke. Das Gleiche gilt, wenn wir Autos aus den Städten herausbringen und stattdessen Platz schaffen, wo sich Menschen zu Fuß oder auf dem Rad bewegen können. Das sorgt dann auch für weniger Bodenversiegelung und weniger Aufhitzung der Stadt. So erreichen wir beides, Klima- und Hochwasserschutz. Diese Schnittmengen haben für die Stadtgestaltung der Zukunft große Bedeutung.

 

Es führt jedoch zu Konflikten, wenn Sie einerseits Wohnraum schaffen und Städte verdichten müssen, um der Wohnungsnot zu begegnen, oder neue Gewerbeflächen, andererseits mehr Stadtgrün wollen.

Aus diesen alten Grabenkämpfen müssen wir raus. In Wuppertal bereiten wir eine breite Flächendebatte vor. Nur zwei Prozent des Stadtgebiets lässt sich noch für neue Bebauung überhaupt ausweisen. Deshalb ist klar, ein flächenintensives Wirtschaftsmodell ist für diese Stadt keine Lösung. Wir müssen uns fragen, was sind künftig die Wertschöpfungspotenziale, die auch mit ganz wenig Fläche gehen. Wenn wir jetzt nicht den Paradigmenwechsel hinbekommen und immer noch meinen, wir seien im Wettbewerb mit anderen Kommunen um das nächste großflächige Industriegebiet, fahren wir gegen die Wand. Das ist eine Herausforderung, weil lokale Wirtschaftspolitik lange immer nur in dieser Weise gedacht wurde. Bei den Wohnungen ist es ähnlich. Das Hauptproblem ist nicht, dass Wohnungen fehlen, sondern dass viele heute auf 40 Quadratmeter pro Person leben statt auf 20 bis 25 wie früher, durch veränderte Lebensmuster und Ansprüche. Da muss man realistisch sein: Wohnen wird und muss ein ganzes Stück teurer werden, weil wir sonst kein Korrektiv haben, um diese gewaltige Flächenexpansion zu stoppen, auch außerhalb der Städte. Daher müssen wir neue Formen des Wohnens auch über die biografischen Veränderungen hinaus entwickeln, die mit weniger Fläche auskommen. Das ist eine ganz schwierige Diskussion, wie man an der Einfamilienhausdebatte gesehen hat.

 

Viele Menschen wünschen sich, ein eigenes Haus zu haben.

Es geht auch um einen kulturellen Wandel. Wie sieht ein lebenswertes Leben im 21. Jahrhundert aus? Darüber müssen wir eine gesellschaftliche Debatte führen.

 

Werden solche Fragen auch in der städtischen Kultur verhandelt?

Man darf das nicht instrumentell verkürzen nach dem Motto, Künstler müssen über Nachhaltigkeit und Klimaschutz aufklären oder den eigenen CO2-Abdruck verringern. Künstlerisch wird die Klimadebatte dann interessant, wenn sie neue kreative Potenziale auslöst. Wenn sich z. B. ein Orchester fragt: Was heißt es, wenn ich nur noch mit Musikern aus der Region arbeite? Was bedeutet das für das Repertoire? Kann man diese Begrenzung nutzen, um etwas Neues zu schaffen? Über die Kunst haben wir ganz andere Möglichkeiten der Reflexion über die Gesellschaft im Umbruch. Künstler nehmen Dinge wahr, die wir in den rationalen Nachhaltigkeitsdiskursen nur schwer aufgreifen können: Stimmungen, Ängste, Sorgen, Energien. In der anstehenden großen Umwälzung geht es um Emotionen. Dafür ist Kunst ein ganz wichtiges Medium. In Wuppertal sind wir damit gesegnet, weil die Stadt immer schon Künstlerpersönlichkeiten geprägt hat wie Else Lasker-Schüler oder Pina Bausch, die das Bruchhafte und die Reibungen, die die Stadt erzeugt, produktiv genutzt haben.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.


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