Warum einen CO2-Rechner zu nutzen eine kulturelle Tat ist

Ökologische Förderstrategien der Kulturstiftung des Bundes

Selten hat eine Zahl solche klimapolitische Schlagkraft entwickelt wie diese: die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu beschränken. Während sich diesem Ziel im Jahr 2015 über 200 Staaten angeschlossen haben, wächst angesichts verheerender Dürren, Hungersnöte und Überschwemmungen die Sorge, ob allen großen Erwartungen ebenso handfeste Reduktionstaten folgen. Keine Frage: Der unverzügliche Stopp der CO2-Emissionen ist eine Aufgabe im Weltmaßstab. Nur wo fängt sie an, diese Welt? Bei der Gesetzgebung? Im Privathaushalt? Im Zusammenwirken können wir einen Unterschied machen. Deswegen hat das Pariser Klimaabkommen auch festgehalten, dass gesetzliche Regulierungen dann greifen, wenn sich Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft gemeinsam auf den Weg machen.

 

In den Kunst- und Kulturszenen mehren sich seit Jahren die Stimmen für ein radikal neues Verhältnis des Menschen zur Natur. „Wahlrecht für Erdbeeren“ – der Slogan der documenta 13 mag ironisch geklungen haben. Er findet aber seine Entsprechung in Konzepten, die auf die ethische Ebenbürtigkeit und funktionale Abhängigkeit menschlicher Zivilisationen von den Insekten, den Pilzen, Algen oder Pflanzen zielen, mit denen wir ein Daseinsrecht auf dem Planeten teilen.

 

Das ist das große Bild. Im Kleinen und Alltäglichen geht es darum, derartige Einsichten in die fundamentale Verletzlichkeit des Menschen in Entscheidungsroutinen unserer digitalen Moderne zu übersetzen. Wie lassen sich die Verantwortung für globale Hemisphären und das Handeln im eigenen Heizungskeller in Einklang bringen?

 

Diesem Balanceakt sieht sich die Kulturstiftung des Bundes verpflichtet, seit sie in den Jahren 2010 bis 2011 gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt das Projekt „Über Lebenskunst“ entwickelt hat. Das Thema Ökologie wurde hier zunächst zum Schwerpunkt einer Nachhaltigkeitsinitiative und anschließend zum Ausgangspunkt für ein organisatorisches Lernen gemacht, das vieles umfasst: von ökologischer Beschaffung, Kreislaufwirtschaft, klimafreundlichem Bauen bis zu einer ökologischen Zertifizierung nach den europäischen Standards des Umweltmanagementsystems EMAS. In dessen Rahmen nimmt derzeit ein von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragener, zugleich gutachterlich begleiteter Klimafahrplan Gestalt an, der verbindliche Reduktionsziele auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Kulturstiftung des Bundes festlegt.

 

Das sind Wegmarken aus der Innensicht einer staatlichen Fördereinrichtung im „Dekarbonisierungstraining“. Und es sind zugleich Ankerpunkte externer Nachhaltigkeitsziele der Kulturstiftung des Bundes. Die verfolgen im Augenblick dezidiert praktische Ziele: Es geht nicht um die Förderung von Kunst – die findet ohnehin statt – oder die Auflage eines repräsentativen Festivals – das wäre zu begrenzt; es geht darum, möglichst zahlreichen Partnerinnen und Partnern betriebsökologische Leitplanken aufzuzeigen und ihnen zugleich das Know-how zu vermitteln, um von Mobilität bis Materialauswahl die eigene Bewirtschaftung von Fördermitteln neu auszurichten.

 

Bei der Frage, wie ökologische Veränderungsprozesse vonseiten einer Fördereinrichtung gestaltet werden können, spielt die Formulierung von Umweltauflagen möglicherweise eine ganz eigene Rolle. Ansatzpunkte für ein verändertes Handeln gibt es viele: Kunst- und Kulturprojekte, die von der Kulturstiftung des Bundes gefördert werden, können systematisch Prinzipien der Kreislaufwirtschaft berücksichtigen. Oder sie lernen projektbegleitend, wie Klimabilanzierung funktioniert und wie ein CO2-Rechner eingesetzt und über ein Förderzeitraumende hinaus genutzt werden kann – eine diesjährige Pilotstudie mit 19 Einrichtungen hat die Kulturstiftung erfolgreich abgeschlossen. Oder sie nutzen das Angebot, von der Planung bis zur Abwicklung „Green Consultants“ ins Team aufzunehmen – die Kosten hierfür dürfen abgerechnet werden. Oder dies: Jede von der Kulturstiftung des Bundes geförderte und veränderungsbereite Kultureinrichtung erhält Sondermittel für Organisationsentwicklungen und Coaching-Angebote – und zwar in genau den Bereichen, die vor Ort und nach Einschätzung des Teams für besonders relevant erachtet werden: Klimaschutz z. B. oder der Schutz der Biodiversität oder Bildung für nachhaltige Entwicklung.

 

Kulturelle Nachhaltigkeitsziele lassen sich auch weiter stecken – in den gesellschaftlichen Diskurs hinein. Neben der Verringerung von Ressourcenverbräuchen gehen Kunst- und Kulturprojekte an den Start, die nach innen wie auch nach außen als ökologische Impulsgeber wirken. Damit Kultureinrichtungen über den eigenen Tellerrand – oder Heizungskeller – hinaus wirken können, sprechen sie Einladungen an die Kommune, an junge Menschen oder an die Stadtgesellschaft im Allgemeinen aus, um vom Rathaus über die Kita bis zu Kleingartenkolonie und Verkehrsbetrieben ganz verschiedene Akteurinnen und Akteure mit der Frage zu befassen: Wie wollen wir in Zukunft leben?

 

Denn das werden wir gemeinsam lernen wollen: einen neuen Draht zur Zukunft aufzubauen. Das stellt eine eher ungewohnte, kulturelle Herausforderung dar. Wir sind aus jahrhundertelanger Erfahrung mal mehr, mal weniger gut in der Übung, Ereignisse der Vergangenheit zu bearbeiten. Dieses gesellschaftlich fest verankerte historische Reflexionsvermögen bedarf in Zeiten der Klimakrise eines in die Zukunft gerichteten Widerparts – wir brauchen eine Art futurisches Sensorium, ein neues Gefühl für das, was kommt. Dieses Lernen duldet keinen Aufschub: Wenn wir in der Klimakrise erst darauf warten, dass immer größerer Schaden auftritt, werden wir daraus nicht länger klug; dann ist es zu spät.

 

Das Gute ist, dass für den von Hans Jonas geforderten Imperativ – stets so zu handeln, „dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ – das Zahlenwerk einigermaßen zuverlässig bereitsteht. Denn der Weltklima-Report hat sich nicht im menschengemachten Umstand der globalen Klimaerhitzung getäuscht, sondern allenfalls im Tempo seiner Realisierung. Umso entschlossener gilt es, die Zeichen, die dank internationaler Klimafolgenforschung an der Wand geschrieben stehen, zu lesen und zu verstehen und mit geeigneten und zahlenmäßig überprüfbaren Instrumenten zu reagieren. Niemand hat gesagt, dass CO2-Rechner besonders vergnügliche Geräte sind. Aber sie erlauben uns, das Band, das die Emissionen von heute mit dem Klima von morgen verbindet, begreifbar zu machen. Und entsprechend zu reagieren. Zum Training dieses Zukunftsgefühls und dem einhergehenden Kulturwandel sind wir alle eingeladen – als Privatpersonen und als Mitwirkende von Organisationen, insbesondere solchen, die aufgrund öffentlicher Finanzierung auch zur Beförderung des öffentlichen Allgemeinwohls angehalten sind. So lasst uns denn für die Museen, Theater, Bibliotheken und für alle anderen Kulturorte CO2-Rechner anschaffen. Es ist so weit.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Hortensia Völckers
Hortensia Völckers ist Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes.
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