Wie wollen wir zusammenleben?

Nachhaltigkeit und Städtebau

All diese Umbaumaßnahmen führen nämlich nur zum Erfolg, wenn gleichzeitig mitgedacht wird, wie wir heute und in der Zukunft zusammenleben wollen. Ortsunabhängiges Arbeiten, ermöglicht durch Digitalisierung und erprobt durch Corona-Maßnahmen, ist für immer mehr Menschen eine Realität. Wohnen und Arbeiten rücken also wieder näher zusammen und wollen neu organisiert werden. Co-Working-Räume, als Alternative zu Büro und häuslichem Arbeitszimmer, werden weiter an Attraktivität gewinnen, temporäre Nutzungsmöglichkeiten von Seminarräumen durch unterschiedliche Nutzergruppen ergänzen den Schreibtisch und schaffen weitere Flexibilität, von wo aus gearbeitet werden kann. Neben Kinderbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und Zugang zu Erholungsräumen sind diese Angebote schon jetzt stark nachgefragt. Dabei am liebsten alles in fußläufiger Entfernung, so wie Paris das aktuell als 15-Minuten-Stadt propagiert. Der Wunsch nach Durchmischung und funktionaler Dichte passt gut zu den Zielen der nachhaltigen Stadtplanung: wenig Fläche in Anspruch nehmen und keine langen Fahrten mit dem Auto erzwingen. Dies sollten entsprechend die Prämissen sein, für den Stadtumbau und den Neubau, der, so notwendig, verantwortungsbewusst mit der Ressource Boden umgehen muss. Hier kann die Lösung jedoch kaum weitere Ausbreitung sein: Freistehende Einzelhäuser benötigen viel Fläche und müssen aufwendig erschlossen werden. Sie als „tiny houses“ einfach kleiner zu gestalten oder zu begrünen führt kaum zur Verbesserung der miserablen Bilanz. Deutlich zielführender sind innovative Wohnmodelle, die durch gemeinsame Nutzung von Büroflächen, Werkstätten, Sporträumen etc. Vielfalt und Flexibilität eröffnen und am Ende auch mehr grüne Wiese für alle lassen.

 

Zur Anbindung über das eigene Viertel hinaus werden inklusivere Modelle das individuelle Automobil ergänzen. Öffentlicher Verkehr zusammen mit Shared Mobility benötigt weniger Fahrzeuge, Stellplätze und Kraftstoff und ist so auf allen Ebenen nachhaltiger. Multimodale Ansätze kombinieren ihn geschickt und müssen für alle zugänglich sein. Eine gute Vernetzung analog wie digital ist dabei wichtig, denn dieser Wandel geht nur gemeinsam. Neue Konzepte der Gemeinschaft scheinen ein möglicher Schlüssel zu Antworten auf die Fragen der Zukunft zu sein. Nicht umsonst ist das Motto der diesjährigen Architektur Biennale in Venedig „How will we live together?“. Denn wie wollen wir denn in Zukunft zusammenleben?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Alissa Diesch
Alissa Diesch ist Architektin-Urbanistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwerfen und Städtebau der Leibniz Universität Hannover.
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