Alissa Diesch - 28. September 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Klima & Kultur

Wie wollen wir zusammenleben?


Nachhaltigkeit und Städtebau

Was bedeutet Nachhaltigkeit in Bezug auf Stadt? Und wie können wir über den Städtebau Einfluss auf den Klimawandel nehmen? Die SDGs widmen Punkt 11 den Städten und Gemeinden und umreißen, wie diese inklusiver, resilienter und nachhaltiger werden könnte. Die Thematik beinhaltet dabei eine große Bandbreite: Einerseits Mitigation von Umweltgefahren, andererseits der Beitrag, den Städte und Gemeinden zum Schutz der Biodiversität, der Ressource Boden und zur Verringerung des CO2-Ausstoßes leisten können. Diese technischen Aspekte sind dabei nur die Grundlage, um das „Recht auf Stadt“, also sicheren und bezahlbaren Wohnraum, Zugang zu Kultur und Grünräumen und gesellschaftlicher Teilhabe, für alle ermöglichen zu können. Diese verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen, ist eine komplexe Aufgabe und die Ansätze für eine Metropole, eine Mittelstadt oder ein Alpental unterscheiden sich stark voneinander. Dabei handelt es sich um langfristige Prozesse, für die das allgemeine Problembewusstsein noch genauso geschärft werden muss, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen und politischen Förderungen.

 

Eine Priorisierung des Themas ist dabei überfällig, wie dieser Sommer eindrücklich gezeigt hat. Der Klimawandel verstärkt Umweltgefahren in Häufigkeit und Intensität. Der Schutz vor Hochwasser, Stürmen, Bränden und Hitzeinseln muss ernst genommen und der veränderten Situation gemäß angepasst werden. Viele Lösungsansätze sind mit geringem technischem Aufwand verbunden, vielfach lassen sich intelligente Siedlungsmuster aus historischen, langfristig bewährten Strukturen ableiten und zur Evakuierung im Akutfall ist zuverlässige und leicht verständliche Kommunikation der beste Schutz. Sich an diesen Prinzipien zu orientieren muss eine ernsthafte Alternative zu kostenintensiven Hightech-Antworten werden. Um solche kooperativen und innovativen Konzepte entwickeln zu können, sind jedoch neben Problembewusstsein und Expertise auch mehr Flexibilität und Kreativität innerhalb der Verwaltung und des gesetzlichen Rahmens notwendig.

 

Es kann jedoch nicht nur um Katastrophenschutz gehen, niemand möchte in permanenter Alarmbereitschaft leben. Wir müssen uns auf die Folgen des Klimawandels einstellen und uns gleichzeitig bewusst machen, wie wir im Alltag, in der Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und unsere Freizeit verbringen, das Klima besser schützen können. Dabei spielt die Frage, wie Städte und Gemeinden gestaltet werden, eine grundlegende Rolle.

Einer der entscheidendsten Faktoren für eine nachhaltige Entwicklung des Städtebaus ist der sparsame Umgang mit der endlichen Ressource Boden. Unser aktueller Flächenverbrauch widerspricht allen Zielen des Umweltschutzes: Ökosysteme werden verkleinert und zerschnitten, die Biodiversität sinkt und die weitere Versiegelung verschärft die Überschwemmungsgefahr bei Starkregenereignissen. Aus diesen Gründen ist die Verringerung der Flächeninanspruchnahme erklärtes Ziel der Bundesregierung gemäß der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von 2018, die EU strebt darüber hinaus eine „Netto-Null“, d. h. eine Flächenkreislaufwirtschaft bis 2050 an.

 

Es steht jedoch oftmals noch aus, diese abstrakten Zahlen in konkrete Szenarien zu verwandeln. Sicher ist, dass diese stark kontextabhängig sein müssen. Zirkuläre Prinzipien wie Nachverdichtung und Umnutzung sind in den zentralen Vierteln der boomenden Metropolen vielerorts bereits ausgereizt. Anders in den peripheren Lagen der Großstädte, hier besteht nach wie vor das Potenzial, großflächig mit geschickt gesetzten Eingriffen ganze Stadtviertel zukunftsfähig zu machen und so große Massen an Bauvolumen vor dem Abriss zu bewahren und durch Nutzungsmischungen wieder attraktiv zu machen. Die diesjährigen Pritzker-Preisträger Lacaton & Vassal haben überzeugend gezeigt, dass ästhetisches, klimagerechtes und soziales Aufwerten von Sozialwohnungsanlagen möglich ist. In Bordeaux z. B. werteten sie durch ihre Intervention 530 Wohnungen auf, indem sie durch minimale Eingriffe an der Fassade und das Vorschalten multifunktionaler Balkone und Wintergärten den Wohnraum maßgeblich vergrößerten und flexibilisierten. Zusätzlich wurden die Erdgeschosse und Eingangszonen so umgestaltet, dass sie ihrer Funktion als Gemeinschaftsräumen gerechter wurden. Diese Transformationen sind auch für weitere monofunktionale Großstrukturen wie Einkaufszentren oder Verwaltungsgebäude ein denkbarer Ansatz. Denn Recycling ist natürlich auch bei Gebäuden das klimafreundlichste Konzept und macht gleichzeitig lokale Geschichte erlebbar. Die multifunktionalen Umnutzungen eines bestehenden Gebäudes wie ExRotaprint in Berlin, ein Modell für eine Stadtentwicklung, die Profit mit Eigentum ausschließt und einen offenen, heterogenen Ort für alle schafft. könnte hierfür ein Beispiel sein. Neben der baulichen Aufwertung ergibt sich bei solchen Projekten auch die Chance, Versäumnisse der funktionsgetrennten Stadt zu korrigieren und endlich kleinräumigere Nutzungsmischungen zu ermöglichen. Neue Wohnprojekte wie Spreefeld in Berlin, Mehr als Wohnen in Zürich und Sargfabrik in Wien zeigen, wie diese Prinzipien auch von Beginn an im Entwurf miteinbezogen werden können. Für viele, lange vernachlässigte Klein- und Mittelstädte sowie Dörfer hingegen ist das Thema Umnutzung mehr im Zusammenhang mit dem sich ausbreitenden Leerstand der Zentren zu sehen. Es sind hier integrale Lösungen zu entwickeln, die neue, nicht erst seit Corona gefragte, Lebens- und Arbeitsmodelle im ländlichen Raum ermöglichen können. Denn es ist auch klar, dass es nicht damit getan ist, jeden aufgegebenen Tante-Emma-Laden in benötigten Wohnraum umzuwandeln und schon alle Probleme des Dorfs gelöst sind.

All diese Umbaumaßnahmen führen nämlich nur zum Erfolg, wenn gleichzeitig mitgedacht wird, wie wir heute und in der Zukunft zusammenleben wollen. Ortsunabhängiges Arbeiten, ermöglicht durch Digitalisierung und erprobt durch Corona-Maßnahmen, ist für immer mehr Menschen eine Realität. Wohnen und Arbeiten rücken also wieder näher zusammen und wollen neu organisiert werden. Co-Working-Räume, als Alternative zu Büro und häuslichem Arbeitszimmer, werden weiter an Attraktivität gewinnen, temporäre Nutzungsmöglichkeiten von Seminarräumen durch unterschiedliche Nutzergruppen ergänzen den Schreibtisch und schaffen weitere Flexibilität, von wo aus gearbeitet werden kann. Neben Kinderbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und Zugang zu Erholungsräumen sind diese Angebote schon jetzt stark nachgefragt. Dabei am liebsten alles in fußläufiger Entfernung, so wie Paris das aktuell als 15-Minuten-Stadt propagiert. Der Wunsch nach Durchmischung und funktionaler Dichte passt gut zu den Zielen der nachhaltigen Stadtplanung: wenig Fläche in Anspruch nehmen und keine langen Fahrten mit dem Auto erzwingen. Dies sollten entsprechend die Prämissen sein, für den Stadtumbau und den Neubau, der, so notwendig, verantwortungsbewusst mit der Ressource Boden umgehen muss. Hier kann die Lösung jedoch kaum weitere Ausbreitung sein: Freistehende Einzelhäuser benötigen viel Fläche und müssen aufwendig erschlossen werden. Sie als „tiny houses“ einfach kleiner zu gestalten oder zu begrünen führt kaum zur Verbesserung der miserablen Bilanz. Deutlich zielführender sind innovative Wohnmodelle, die durch gemeinsame Nutzung von Büroflächen, Werkstätten, Sporträumen etc. Vielfalt und Flexibilität eröffnen und am Ende auch mehr grüne Wiese für alle lassen.

 

Zur Anbindung über das eigene Viertel hinaus werden inklusivere Modelle das individuelle Automobil ergänzen. Öffentlicher Verkehr zusammen mit Shared Mobility benötigt weniger Fahrzeuge, Stellplätze und Kraftstoff und ist so auf allen Ebenen nachhaltiger. Multimodale Ansätze kombinieren ihn geschickt und müssen für alle zugänglich sein. Eine gute Vernetzung analog wie digital ist dabei wichtig, denn dieser Wandel geht nur gemeinsam. Neue Konzepte der Gemeinschaft scheinen ein möglicher Schlüssel zu Antworten auf die Fragen der Zukunft zu sein. Nicht umsonst ist das Motto der diesjährigen Architektur Biennale in Venedig „How will we live together?“. Denn wie wollen wir denn in Zukunft zusammenleben?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.


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