Neue Ideen braucht das Land

The New Institute gibt Impulse für sozial-ökologischen Wandel

Flutkatastrophen und Waldbrände ungeheuren Ausmaßes. Dazu noch Erdbeben und Hitzewellen, die in Südeuropa und sogar im westlichen Kanada zu Rekordtemperaturen von über 50 Grad Celsius geführt haben. Dieser Sommer hat uns auf drastische Weise vor Augen geführt, wie dringlich es für uns alle geworden ist, Extremereignisse und die mit ihnen einhergehenden Zerstörungen ganzer Ökosysteme nicht länger als Einzelfälle zu betrachten, sondern sie in ihrem systemischen Zusammenhang ernst zu nehmen und unser individuelles Verhalten ebenso wie nationales und globales Agieren grundlegend zu verändern.

 

Man muss kein Experte für Computersimulationen und Modellrechnungen sein, um zu erkennen, dass wir seit Jahrzehnten dabei sind, unsere Lebensgrundlagen auf dem Planeten Erde immer weiter zu zerstören. Der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC hat dies vor wenigen Wochen noch einmal eindringlich klargemacht: Angesichts einer deutlich rascheren globalen Erwärmung als in den vorherigen Berichten angenommen, müssen wir uns darauf einstellen, dass sich der Trend zu extremen Wetterlagen weiter verstärkt und zugleich alles getan werden muss, um das Ziel der Klimaneutralität so früh wie möglich zu erreichen.

 

Wenn die physikalisch-meteorologischen Grundlagen und der Einfluss des Menschen auf die Erderwärmung so eindeutig nachgewiesen werden können, weshalb gelingt es uns dann nicht – oder allenfalls zögerlich –, die gewonnenen Erkenntnisse sowohl individuell als auch gesellschaftlich konsequent in sozial-ökologisches Handeln zu überführen? Wie können wir die dysfunktionalen und destruktiven Auswirkungen unseres Verhaltens und Wirtschaftens künftig vermeiden? Welche nachhaltig tragfähigen Lösungsansätze müssen wir entwickeln, um einige der größten Herausforderungen unserer Zeit baldmöglichst bewältigen zu können?

Dies sind nur einige der Fragen, die am Anfang der Initiative des Hamburger Unternehmers und Philanthropen Erck Rickmers standen, eine Stiftung zu errichten und schließlich The New Institute zu gründen. Gemeinsam wurde das Konzept für ein vorwiegend auf die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften fokussiertes Institut für Höhere Studien entwickelt, das zugleich eine interdisziplinäre und transsektorale Plattform für gesellschaftlichen Wandel bereitstellen soll. Herausragende Denkerinnen und Denker aus aller Welt kommen mit weiteren Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Kunst und Medien vor Ort in Hamburg zusammen und erschließen jenseits der Exploration des Bestehenden und der bloßen Neu-Kombination vorhandener Wissensbestände gemeinsam neue Denk- und Möglichkeitsräume. Die im persönlichen Dialog freigesetzte Kreativität und die aus tiefem gemeinsamem Nachdenken resultierenden Veränderungsvorschläge werden sich im Säurebad weiterer Auseinandersetzungen bewähren müssen. Neben Transparenz und Gesprächsbereitschaft gehört zu den Gelingensbedingungen eines solchen, auf Multiperspektivität und Integrationsfähigkeit angelegten Vorgehens vor allem das Denken und Handeln in ganzen Wissenslandschaften, ihren Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten sowie die Bereitschaft, die gesellschaftlichen Folgen des eigenen Verhaltens und lieb gewordener Gewohnheiten mitzureflektieren.

 

Für The New Institute und das Erreichen seiner ambitionierten Ziele wird entscheidend sein, ob es gelingt, eine von hohem Vertrauen und großer Offenheit geprägte Kultur der Kreativität zu schaffen, die es den Beteiligten ermöglicht, mutig und entschlossen bislang unbekanntes geistiges Terrain zu erschließen, neue Sichtachsen zu schaffen und praktikable Lösungswege für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit aufzuzeigen.

 

Dieses Selbstverständnis prägt auch die thematisch fokussierten Programme des Instituts. So geht es bei „Foundations of Value and Values“ nicht in erster Linie darum, die immer disparater werdenden Vorstellungen von einem guten Leben zu analysieren, sondern vielmehr zukunftsorientiert der Frage nachzugehen, wie Werte entstehen, sich im Zeitverlauf verändern und welche Möglichkeiten es gibt, auch in scheinbar dunklen Zeiten auf moralischen Fortschritt hinzuwirken. Letztlich gilt es, die Frage zu beantworten: Was ist ein nachhaltig tragfähiges Wertesystem für das 21. Jahrhundert?

 

Um systematisch konsistent durchdachte Konzepte in soziales und politisches Handeln zu überführen, bedarf es neuer Partizipationsformen und Mitgestaltungschancen der Bürgerinnen und Bürger sowie einer Lösung der gerade in den letzten Jahren allenthalben sichtbar gewordenen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsprobleme der repräsentativen Demokratie. Beide Fragestellungen stehen im Zentrum der in diesen Tagen beginnenden Fellowarbeit im Rahmen des Programms „Future of Democracy“. Für The New Institute wird es darauf ankommen, mutig und mit innerer Überzeugung Konzepte zu entwickeln, die geeignet sind, eine Wiederbelebung der Demokratie von unten mit effektiven Formen der Beratung und Entscheidungsfindung zu verknüpfen.

 

Zu den größten Herausforderungen mit Blick auf eine nachhaltige Zukunft auf unserem Planeten gehören zweifellos systemisch zu verankernde Fragen der sozioökonomisch-ökologischen Transformation unseres Wirtschaftens und der Veränderung lieb gewordener Gewohnheiten, nicht zuletzt unseres eigenen Denkens, Fühlens und Verhaltens. Ihnen wollen wir in den Programmen „Systemic Transformations“ und „Changing Mindsets – Changing Behaviour“ sowie „The New Hanse“ nachgehen. Wie insbesondere die anhaltende Pandemie allenthalben gezeigt hat, ist das Auseinanderfallen zwischen Erkenntnissen und Wertvorstellungen einerseits sowie handfesten ökonomischen Interessen andererseits besonders groß auf Feldern, die unser aller Wohlergehen betreffen, wie etwa in der Gesundheits-, Umwelt- und Klimapolitik. So hatte beispielsweise in der Krankenversorgung ein an ökonomischen Erfolgsindikatoren orientiertes Ausloten der maximalen Auslastungsmöglichkeiten vielfach Vorrang vor dem Erhalt von Reserven und damit der notwendigen Elastizität und Resilienz für den Katastrophenfall.

 

Anstatt sich allein von Wachstums- und Effizienzkriterien leiten zu lassen, wird ein am Gemeinwohl, an sozialer Gerechtigkeit und an den planetaren Grenzen orientiertes Handeln, vor allem bei der Neubestimmung unseres Wirtschaftslebens, aber auch in unserem persönlichen Verhalten und bei der Gestaltung unseres jeweiligen Umfeldes zur Richtschnur werden müssen. Für eine nachhaltige Zukunft gilt es, auf erneuerter moralisch-konzeptioneller Grundlage substanzielle Veränderungen herbeizuführen, die weit über eine bloße Reparatur bislang fraglos akzeptierter Praktiken hinausgehen. Wir brauchen systemisch gut durchdachte Ideen und Konzepte, damit eine Welt entsteht, die sich auszeichnet durch weniger Überfluss, mehr soziale Gerechtigkeit, größeres Wohlbefinden aller und nicht zuletzt durch sozialökonomisches und ökologisch erneuertes, klimaneutrales Wirtschaften in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Handelns.

 

Neben der Multiperspektivität der jeweils beteiligten Personen und der Zukunftsorientierung lösungsorientierter Diskurse ist für das Entwickeln der eigenen Transformationskraft für The New Institute auch der Blick in die Geschichte bedeutsam. Gerade die großen Umbrüche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht zuletzt 1989/90 – und die mit der Gründung des Club of Rome (1968) und der Studie „Grenzen des Wachstums“ (1972) an gesellschaftlichem Gewicht gewinnende Umweltbewegung mit ihren verschiedenen Ausprägungen können uns helfen, die Gelingensbedingungen von Veränderung besser zu verstehen und zugleich zu verdeutlichen, wie sehr bürgerschaftliches Engagement und soziale Bewegungen den Lauf der Dinge maßgeblich beeinflussen können. Dazu haben wir ein Dokumentationsvorhaben mit Zeitzeugeninterviews unter dem Titel „Voices from the Past – Lessons for the Future“ auf den Weg gebracht, und zwar in dem Bewusstsein, dass nur derjenige, der die Vergangenheit kennt, auf verantwortliche Weise die Zukunft gestalten kann.

Wilhelm Krull
Wilhelm Krull ist Gründungsdirektor von The New Institute.
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