„Weniger töten, mehr retten“

Fünf Fragen an Hans-Dietrich Reckhaus

„Insect Respect“ will Bewusstsein für das Insektensterben schaffen und ein Umdenken und anderes Handeln in der Gesellschaft erreichen. Der Initiator der Initiative, Hans-Dietrich Reckhaus, berichtet.

 

Was ist Insect Respect?

Als Initiative und Gütesiegel steht Insect Respect für einen neuen Umgang mit Insekten. Sie sind eben nicht einfach schädlich, ekelig oder lästig. Wir müssen als Gesellschaft verstehen, dass wir ohne sie gar nicht existieren könnten. Sie bestäuben Pflanzen, zersetzen Abfall, dienen als wichtiges Glied in Nahrungsketten. Der Speiseplan von Süßwasserfischen besteht zum Beispiel bis zu 90 Prozent aus Insektenlarven. Außerdem helfen sie uns bei der Textilproduktion, in der Chemiebranche, in der Wissenschaft. All das verdient Respekt. Und darauf machen wir aufmerksam: mit Bewusstseinsbildung über Publikationen, Veranstaltungen, Medienbeiträge, Ausstellungen und Aktionen.

Auf Produkten steht das Gütesiegel dafür, dass wir die Insektenbekämpfung reduzieren, ökologisieren und kompensieren müssen. Weniger töten, mehr retten. Präventionstipps helfen Konsumentinnen und Konsumenten, damit Insekten im Wohnraum gar nicht erst zum Problem werden. Rettungsprodukte wie z. B. der Dr. Reckhaus Fruchtfliegen-Retter ermöglichen es, die Tiere unversehrt ins Freie zurückzubringen. Und unsere insektenfreundlichen Lebensräume im Siedlungsgebiet gleichen draußen die Verluste aus, die durch Bekämpfungsprodukte drinnen entstehen.

 

Wie kamen Sie – ursprünglich Hersteller von Insektenbekämpfungsmitteln – auf die Idee zu Insect Respect? Welche Rolle kommt dabei der Aktion „Fliegen retten in Deppendorf“ zu?

2011 hatte ich die Idee für eine neue Fliegenfalle, die ich genial fand. Mit einem kleinen Unternehmen hat man aber wenig Möglichkeiten, so ein Produkt zu bewerben. Als großer Fan der Kunst fragte ich deshalb Frank und Patrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben in St. Gallen nach einer Idee. Doch die beiden querdenkenden Konzeptkünstler konfrontierten mich mit der Frage: „Was ist der Wert einer Fliege?“ Der Dialog mit der Kunst, der daraus entstand, hat mir die Augen geöffnet. Wir entwickelten gemeinsam die Kunstaktion „Fliegen retten in Deppendorf“ und retteten am 1. September 2012 mit einem ganzen Dorf einen Tag lang Fliegen. Im Entwicklungsprozess mit den Riklins gab es dann eine Sternstunde: Mir wurde klar, dass ich nicht nur ein einziges Mal Fliegen retten und dann weiter töten wollte. Sondern dass jede Fliege zählt und ich für jedes Produkt einen Ausgleich schaffen will. So entstand Insect Respect.

 

Was planen Sie gerade für Insect Respect?

Unser Highlight ist zurzeit unsere monatliche „Stunde der Insekten“. In dieser Online-Veranstaltung erzählen Referentinnen und Referenten über ihre spannende Arbeit – im Mai beispielsweise zwei Naturfilmer, die den Insekten auf Augenhöhe begegnen. Am 17. Juni werden die Biologen Auguste Prinzessin von Bayern und Thassilo Franke uns zeigen, wie Museen der Zukunft die Insektenwelt und Artenvielfalt fördern, indem sie Begeisterung für Natur und Nachhaltigkeit entfachen. Bei jedem dieser Web-Events seit Mai 2020 lassen wir auch Ausschnitte aus dem „Insect Concerto“ des Komponisten Gregor A. Mayrhofer erklingen. Als er einmal über seine Aufnahmen dafür berichtete, staunten wir alle nicht schlecht: Er hatte in minutiöser Detailarbeit die Geräusche von Grillen und anderen Sechsbeinern eingefangen und kunstvoll in die Komposition verwebt.

Außerdem wollen wir ab Herbst eine Insect-Respect-Akademie starten. Dadurch erhalten Garten- und Landschaftsbauer die Möglichkeit, alles über insektenfreundliche Flächen zu lernen und so bundesweit Gärten, Kommunen und Firmenflächen artenreich zu begrünen.

 

Was macht die kulturelle Bedeutung von Insekten Ihres Erachtens aus?

Das ambivalente Verhältnis zwischen Menschen und Insekten ist kulturell spannend. Sie sind in doppelter Hinsicht kleine Riesen: Als „Nützlinge“, wie bereits beschrieben, aber auch als „Schädlinge“. Sie können Krankheiten übertragen, Ernten zerstören und Nutztieren zusetzen.

In alten Bildern und Texten sehen wir, dass sich der Mensch bereits seit 4.000 Jahren gegen Flöhe, Läuse, Mücken, Wespen und andere Insekten wehrt. Alte Gräber in China zeigen Reis-, Tabak- und Brotkäfer. Im alten Griechenland kämpfte man mit Seuchen, die Fliegen ausgelöst hatten, und die Römer beschwerten sich über schmerzende Mückenstiche, wie wir es auch heute als Aufregerthema im Sommerloch der Medien kennen.

Insekten stehen damit als Symboltiere für die Ambivalenz zwischen menschlicher Kultur und der – auch menschlich konstruierten – Natur. Ihre Bedeutung für unser Fortbestehen kann als existenziell bezeichnet werden. Aber um dem Insektensterben entgegenzuwirken, braucht es einen bewussteren kulturellen Umgang mit Insekten und der Natur und eine daraus entstehende breite Bewegung.

Deshalb wollen wir unser bewährtes Konferenz-Format, den „Tag der Insekten“, im Jahr 2022 dem Thema Kultur widmen. Wir freuen uns dazu auf die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat und der Ini-tiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Deutschen Bundesregierung.

 

Wie kann Kultur helfen, Insekten besser zu schützen?

Das Insektensterben ist in den Massenmedien und in den Köpfen der Menschen angekommen. Wir haben genug Informationen! Was fehlt, ist die innere Haltung, mehr Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen. Wir brauchen einen neuen kulturellen Umgang mit der Natur.

„Kultur“ ist der Schlüssel. In der lateinischen Wortherkunft „cultura“, was ja so viel wie beackern und pflegen heißt, steckt dieser Gedanke bereits: Ein gesamtgesellschaftlicher (Bewusstseins-)Wandel fängt bei jedem Einzelnen an, im eigenen Garten und Umfeld. Von dort kann er durch kulturelle Praktiken in die Gesellschaft strahlen.

Es sind Erzählungen und Geschichten, die uns berühren und zum Umdenken und neu Handeln bewegen. Für den Naturschutz und Insektenschutz heißt das: Man schützt nur, was man kennt.

Das Verständnis für die Natur und die natürlichen Zusammenhänge, zu denen wir als Menschen gehören, müssen wir uns kulturell (wieder) aneignen – um letztendlich unser eigenes Überleben und Millionen andere Arten zu sichern.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Hans-Dietrich Reckhaus
Hans-Dietrich Reckhaus ist Initiator von Insect Respect und Transformierender Gesellschafter der Reckhaus GmbH & Co. KG.
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