Verwirklichter Lebenstraum

Ein wunderbares Museum: der „Harmas“ des Jean-Henri Fabre

Zu besichtigen ist: ein verwirklichter Lebenstraum. Jahrelang hatte Jean-Henri Fabre als nicht sonderlich gut bezahlter Lehrer gearbeitet, hatte etwa auf Korsika, an der kaiserlichen Hochschule in Ajaccio, vier Jahre lang Physik unterrichtet. Doch durch seine Bücher hatte er sich einen Namen gemacht: Durch großzügige Finanzhilfen machte es der englische Philosoph und Sozialreformer John Stuart Mill möglich, dass Fabre sich im südfranzösischen Orange als freier Naturforscher niederlassen konnte. Rund zehn Jahre blieb Fabre dort – dann zog er um: ins Paradies.

 

Das war: ein großer, vielgestaltiger Garten und ein Gutshaus, 1843 im provençalischen Stil gebaut. 16 Jahre lang hatte es leer gestanden, als Jean-Henri Fabre es 1879 kaufte, der Garten verwildert – so bekam das Anwesen seinen Namen: der „Harmas“, abgeleitet vom Okzitanischen „ermàs“ für „Brachland“. Der es bezog, war inzwischen 56 Jahre alt – und verbrachte 36 Jahre in seinem „Harmas“, fernab von neugierigen Blicken war er täglich in seinem Garten, um stundenlang Insekten, Gliedertiere, Pflanzen zu beobachten und zu studieren, um sie zu beschreiben, zu zeichnen, zu aquarellieren: der Naturforscher und Entomologe Jean Henri Fabre, der „Homer der Insekten“.

 

Heute ist der „Harmas Jean-Henri Fabre“ ein Museum. Seit 1922 gehört er zum Pariser Muséum National d’Histoire Naturelle. 1998 wurde er in die Reihe der „Monuments Historiques“ aufgenommen und steht damit unter Denkmalschutz, bis 2006 wurde er vom Staat aufwendig restauriert. 2011 kam noch der Titel „Maison des Illustres“ hinzu, ein staatliches Label, verliehen an Orte von besonderer Bedeutung für die politische, soziale und kulturelle Geschichte Frankreichs.

 

Gelegen im Örtchen Sérignan, 30 Kilometer nordöstlich von Avignon, ist dieser „Harmas Jean-Henri Fabre“ ein durch und durch friedlicher Ort: das Wohnhaus von mediterranem Charme und Charakter, die Fassade in hellrosa, dazu hellgrüne Fensterläden und der ewige Gesang der Zikaden. Hohe Platanen umstehen das Haus, der Garten ist prachtvoll und drängt sich geradezu ans Haus heran; etwa ein Hektar groß, wird er eingefriedet von einer Steinmauer.

 

Allein im Ziergarten blühen rund 500 verschiedene Blumen, Sträucher, mediterrane Gewächse, teilweise noch von Jean-Henri Fabre selbst gepflanzt: Rosen, Nelken, Lilien, spanischer Ginster, russisches Geißblatt, Affodill und Heiligenkraut, Lavendel, Disteln, Flockenblumen, Tulpensorten, die schon als ausgestorben galten, Steineichen, Erdbeerbäume, Rosmarinsträucher, Aleppo-Kiefern, Pistazien-, Feigen-, Lorbeerbäume, zwei große Becken mit Wasserpflanzen, ein Bambuswäldchen.

 

Im Mittelpunkt des Wohnhauses: das Arbeitszimmer. Ein großer Raum, in der Mitte ein Holztisch, mit Manuskripten, Papierblättern und Zeichenfedern, Fabres Brille, an den Tisch gelehnt sein Spazierstock. Hier hat Fabre geschrieben, umgeben von Glasschränken an den Wänden, in denen er seine Sammlungen aufbewahrte und dabei ständig vergrößerte. Zu sehen sind hier Fossilien und Mineralien, Reihen über Reihen versteinerte Muscheln und Schnecken, Bücher, Drucke, Manuskripte – an der Wand gegenüber Reihen über Reihen mit aufgespießten Käfern, Vogeleier in Nestern oder auch in Watte gebettet, unter und zwischen alledem immer wieder kleine Zettelchen mit den jeweils lateinischen Namen: jedes einzelne Stück von Fabre mit feiner Hand beschriftet.

 

Auch einige Bildtafeln des Herbariums sind im Arbeitszimmer zu sehen. Im Alter von 18 Jahren hatte Fabre mit dem Sammeln zumeist mediterraner Pflanzen begonnen, zeitlebens tauschte er sich mit über einhundert anderen Naturforschern und Botanikern aus, als Bewohner seines „Harmas“ streifte Jean-Henri Fabre jahrzehntelang durch die Landschaften seiner Umgebung. Ein gigantisches Herbarium entstand so, immer neue Pflanzen wurden täglich gesammelt, getrocknet, konserviert und katalogisiert, allein die Moospflanzen-Sammlung weist rund 850 Exemplare auf, in der Flechten- und Pilzsammlung wurden bei der Restaurierung der Sammlung 96 Arten unterschieden. Eine einzigartige, leider auch empfindliche Sammlung: Inzwischen wird das Herbarium in einem Raum aufbewahrt, dessen Temperatur und Luftfeuchtigkeit ständig überprüft werden, in seiner Gesamtheit ist es nur noch Forschern zugängig.

 

Dafür entschädigt wird der Besucher in der Bibliothek. Jean-Henri Fabre war ein sehr talentierter Aquarellmaler. Den Pinsel sah er als „eine Abwechslung zur alltäglichen Prosa“ und malte also, was sich in einem Herbarium nicht so gut konservieren ließ: Pilze. Davon fand er sehr viele in seinem Garten und malte sie naturalistisch präzise, farbenprächtig und doch zart. 594 solcher Pilz-Aquarelle sind erhalten – und auch wer da dachte, sich für derlei nie und nimmer interessieren zu können, wird als Besucher im „Harmas“ des Jean-Henri Fabre eines Besseren belehrt.

 

Wer das Anwesen verlässt, schaut unweigerlich genauer hin auf das, was da so wächst und blüht und summt und krabbelt. Die Gottesanbeterin, den Feldskorpion und den Mistkäfer mochte Fabre besonders gerne. Man fängt an, nach dergleichen Ausschau zu halten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Jürgen König
Jürgen König ist seit 1. Juni 2021 Kulturkorrespondent im Hauptstadtstudio des Deutschlandradios.
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