Killerbienen und Fliegenwesen

Über die faszinierend-schreckliche Rolle von Insekten im fantastischen Film

Das tragische Mischwesen

 

Alles begann mit „The Fly“, 1958, den man als klassische Mad Scientist-Story lesen kann – ein Mann entwickelt eine Teletransportmaschine und verwandelt sich beim Selbstversuch, weil er eine Fliege mit transportiert hat, in ein grauenvolles Mensch/Fliege-Hybrid – oder auch als tragische Ehegeschichte – die Ehefrau soll das Monster, das aus ihm geworden ist, vernichten, womit sie sich in Verdacht bringt, den Gatten ermordet zu haben.

 

1959 folgte „Return of the Fly“, wo nach bekanntem Muster der Sohn die gefährlichen Experimente des Vaters mit ähnlich erschreckenden Ergebnissen wiederholt, und „Curse of the Fly“, 1965, wo die Fliegengene im Körper des Protagonisten zu raschem Altern, seine Experimente aber zu einer ganzen Serie verschiedener insektoider Hybridwesen führen. Schon ästhetisch gesehen, gibt es im Kino kaum etwas Furchtbareres als das Insekten-Mensch-Mischwesen.

 

1986 schuf David Cronenberg mit seinem Remake einen Meilenstein des „body horror“, eine für viele schwer erträgliche Mischung aus Ekel und Tragik. Schmerz und Zersetzung führen über den Horror hinaus zur Frage, was das eigentlich ist: Leben. Die unvermeidliche Fortsetzung übersah im Effekteinsatz geflissentlich solche Implikationen.

 

Auch Superhelden verdanken ihre Kräfte der Begegnung mit einem Insekt wie etwa „Blue Beetle“. „Ant-Man“ kann sich so klein wie eine Ameise machen und mit einem telepathischen Helm die Insekten leiten, während The Wasp ihre Gegner entsprechend ihrer Erscheinung umschwirrt, bevor sie zusticht.

 

In dem Film „The Mothman Prophecies“, 2002, bleibt die Gestalt des Mottenmannes angenehm mysteriös. Die Ameise: mörderisch. Die Wespe: rachsüchtig-sadistisch. Die Biene: schwarmgewaltig. Die Heuschrecke: gefräßig. Und die Motte? Es bleibt ein Hauch von nächtlicher Poesie …

 

Im Reich der Insekten

 

Durchaus aktuell und „realistisch“ erscheint „Mimic“ von Guillermo del Toro, 1997, in dem eine von Kakerlaken übertragene Krankheit durch die Züchtung einer Gegen-Spezies bekämpft wird. Doch die „Judas-Kakerlake“ erweist sich dann als noch viel schlimmer. Insekten sind immer auch das Verborgene und Verdrängte, es sind Wesen, die nicht auf den Widerspruch zwischen Wildnis und Kultur zurückzuführen sind, weil sie in beiden Welten existieren.

 

Sich ins Reich der Insekten zu versetzen, ist seit der „Biene Maja“ ein beliebtes Motiv in Kinderbüchern und -filmen, das wie in „The Ant Bully“, 2006, durchaus erzieherische Absichten haben kann. Aber man kann, das entsprechende wissenschaftliche Wunderzeug vorausgesetzt, auch ganz direkt auf Augenhöhe mit Insekten kommen, wenn man wie „The Incredible Shrinking Man“, 1957, immer kleiner und kleiner wird. Oder wenn man in der Serie der „Honey, I Shrunk the Kids“-Filme, so klein gemacht wird, dass eine Wespe zum tödlicher Sturzflieger wird und der Weg durch ein Stück Rasen zur abenteuerlichen Expedition ins Reich dessen, was kriecht, krabbelt und fliegt.

 

Die jüngsten Beispiele des Insektenhorrors wie „Love and Monsters“, 2020, und ein Remake von „Mimic“ als TV-Serie haben alle, wen wundert es, apokalyptische Züge: Die Insekten haben die Weltherrschaft übernommen, die letzten Menschen führen einen verzweifelten Überlebenskampf. Kakerlaken, Ameisen, Termiten, Käfer … – sie vertreiben die Menschen aus ihrer eigenen zivilisatorischen Umwelt. Der Krieg gegen die Insekten ist ungefähr so ungleich wie der gegen die Viren in einer Pandemie.

 

Natürlich sind nicht alle Insekten böse oder gefährlich. Auch der Film stürzt zurück in die Fabel, setzt die Grille als „Gewissen“ von Pinocchio ein oder eine Raupe als Gesprächspartner von Alice im Wunderland. Han Solo versteht sich mit intergalaktischen Insekten genauso wie mit räuberischen Kröten. Im Reich der Insekten lassen sich wie in „Antz“, 1989, „A Bug’s Life“, 1998, oder „Bee Movie“, 2007, pädagogisch wertvolle Erfahrungen machen. Superman nutzt riesige Stubenfliegen als Reittiere, um ein intergalaktisches Volk aus der Sklaverei zu führen … Aber was ist das alles gegen Monstermotten, Kakerlaken-Invasionen und Fliegenmenschen? Insekten sind die Tiere, die wir zu hassen lieben. Im Kino wenigstens.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Markus Metz & Georg Seeßlen
Markus Metz und Georg Seeßlen sind freie Journalisten und Autoren.
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