Killerbienen und Fliegenwesen

Über die faszinierend-schreckliche Rolle von Insekten im fantastischen Film

Alle Tiere sind Teil der Natur. Das heißt, dass sie auf eine stets eigentümliche Weise schön sind und dass sie auf eine stets eigentümliche Weise gefährlich sind. Genau dazwischen, auf dem Weg von der Faszination zur Abwehr, lauert das Unheimliche. Das Unheimliche geschieht, wo sich etwas scheinbar Vertrautes in etwas fundamental Bedrohliches verwandelt. Z. B. Insekten. Im Normalfall sind sie eher klein, sodass die Gefahr, die von ihnen ausgeht, mehr von der Vielzahl oder von indirekten Folgen einer als Einzelfall eher harmlosen Attacke ausgeht. Mücken, die ein gefährliches Fieber auslösen, Heuschrecken, die ganze Ernten vernichten – der ewige Abwehrkampf gegen aggressive oder krankheitsübertragende Insekten ist ein Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Das Böse in unserem Kulturkreis ist auch als „Herr der Fliegen“ bekannt, das Böse in unserem Wirtschaftssystem lauert in Gestalt der „Heuschrecken“, das Böse der anderen, das sich bei uns einnistet, wird etwa als „Laus im Pelz“ bezeichnet. Kurzum: Insekten als Symbole des Unheimlichen und Sonderbaren bevölkern das kulturelle Unterbewusstsein. Das Kino ist eine Methode, die undeutlichen Bilder aus dem Inneren auf eine äußere Leinwand zu bringen. Es variiert einige Grundvarianten der „insect fear“ als schaurig-schönes Monsterbild.

 

Das Rieseninsekt

 

Im Reich der japanischen Kino-Monster spielt neben Urweltechsen und Riesenkrebsen auch „Mothra“ – im Original „Mosura“, 1961 – eine wiederkehrende Rolle, ein gewaltiges Mottenwesen, das bemerkenswerterweise von zwei winzigen weiblichen Zwillingen begleitet wird, den hobijin (dt. „kleine schöne Frauen“). Die Riesenmotte war so populär, dass sie in einem Dutzend weiterer Filme mit den Flügeln schlagen durfte. Genau besehen ist Mothra unsterblich, weil sie so fleißig für Nachwuchs sorgt, wie wir in „„Godzilla und die Urweltraupen“, 1964, sehen: Godzilla tötet Mothra, aber schon sind die Raupen für die nächste Generation da. Da stecken wir in der Mythologie der Paranoia: Insekten haben, so scheint’s, kaum etwas anderes im Sinn, als sich zu vermehren.

Im Kino wird die Insect fear bedient, überwunden oder karnevalisiert. Dabei lassen sich zwei Tendenzen in der Geschichte des Insektenhorrorfilms ausmachen: Eine realistische, in der echte Tiere eingesetzt werden, und eine irreale, in der die Durchschaubarkeit der Monster-Repräsentation zum Vergnügen beiträgt. Durch die computerunterstützte Animation freilich ist dieser Unterschied zwischen „realistisch“ und „albern“ nicht mehr so leicht zu ziehen wie zuvor.

 

Das Mörderinsekt

 

Möglicherweise kann Entwicklungspsychologie erklären, inwieweit die Überwindung von Insektenfurcht zum Reifeprozess gehört. Jedenfalls spielen große oder gefährliche Insekten eine Rolle in Heldenreisen und fantastischen Coming-of-Age-Geschichten, sie dürfen weder in der „Herr der Ringe“- noch in der „Harry Potter“-Saga fehlen. In der Regel handelt es sich um eine Bedrohung, die zugleich von weit draußen und von tief drinnen kommt. Insekten stehen für das Phantasma eines „Massenangriffs“, gegen den, wie in „Them!“, 1954, nur der massivste militärische Einsatz hilft. Ein veritabler Vernichtungskrieg wird da gegen Ameisen geführt, die aus der Wüste kommen, um den American Way of Life zu attackieren. 20 Jahre später übernehmen die Bienen die Rolle des Lieblingsfeindes im Tierhorrorfilm. Die Legende von den „Killerbienen“, die aus Afrika nach Europa oder in die USA kämen, verbreiteten Katastrophenfilme wie „Killer Bees“, 1974. In „The Bees“, 1978, sind die tödlichen Stiche Ergebnis übler Zuchtversuche: Als die Killerbienen merken, dass sie vermittels eines „Sexualduftstoffes“ ins Verderben gelockt werden sollen, beschließen sie – sie sind nämlich nicht nur böse, sondern auch intelligent geworden – die Menschheit auszurotten. Wir verstehen: Die Gefahr, die von aggressiven Insekten ausgeht, rührt entweder aus Migration oder aus unstatthaften Eingriffen des Menschen in die Natur.

 

Manchmal kommt sie auch aus dem Weltall. „Phase IV“, 1974, zeigt anders als die gewohnten Horrorfilme seine Monster ganz real: Ameisen, die aufgrund kosmischer Strahlung ihre Kämpfe untereinander einstellen, um, angeleitet von einer fremden Intelligenz, die Herrschaft über die Erde anzustreben. Der cineastische Schrecken ersteht hier durch die innige Nähe realistischer Aufnahmen und apokalyptischer Vision. 35 Jahre später haben es die (mutierten) „Killer Ants“, 2009, nur noch auf die klassische amerikanische Kleinstadt-Kleinfamilie abgesehen. Die Heuschreckenplage, in Terence Malicks „Days of Heaven“, 1978, dramatischer Schicksalsschlag und Metapher der Selbstzerstörung, wird in B-Filmen wie „Locusts“ (1974) zum Bewährungsfall für in Ungnade gefallene junge Helden. Manchmal indes kommen die Killerinsekten auch aus dem Erdinnern und haben sonderbare Eigenschaften, wie z. B. in „The Hephaestus Plague“, 1975, wo sie, wie der deutsche Verleihtitel „Feuerkäfer“ verrät, ihre Umwelt in Brand setzen.

Das tragische Mischwesen

 

Alles begann mit „The Fly“, 1958, den man als klassische Mad Scientist-Story lesen kann – ein Mann entwickelt eine Teletransportmaschine und verwandelt sich beim Selbstversuch, weil er eine Fliege mit transportiert hat, in ein grauenvolles Mensch/Fliege-Hybrid – oder auch als tragische Ehegeschichte – die Ehefrau soll das Monster, das aus ihm geworden ist, vernichten, womit sie sich in Verdacht bringt, den Gatten ermordet zu haben.

 

1959 folgte „Return of the Fly“, wo nach bekanntem Muster der Sohn die gefährlichen Experimente des Vaters mit ähnlich erschreckenden Ergebnissen wiederholt, und „Curse of the Fly“, 1965, wo die Fliegengene im Körper des Protagonisten zu raschem Altern, seine Experimente aber zu einer ganzen Serie verschiedener insektoider Hybridwesen führen. Schon ästhetisch gesehen, gibt es im Kino kaum etwas Furchtbareres als das Insekten-Mensch-Mischwesen.

 

1986 schuf David Cronenberg mit seinem Remake einen Meilenstein des „body horror“, eine für viele schwer erträgliche Mischung aus Ekel und Tragik. Schmerz und Zersetzung führen über den Horror hinaus zur Frage, was das eigentlich ist: Leben. Die unvermeidliche Fortsetzung übersah im Effekteinsatz geflissentlich solche Implikationen.

 

Auch Superhelden verdanken ihre Kräfte der Begegnung mit einem Insekt wie etwa „Blue Beetle“. „Ant-Man“ kann sich so klein wie eine Ameise machen und mit einem telepathischen Helm die Insekten leiten, während The Wasp ihre Gegner entsprechend ihrer Erscheinung umschwirrt, bevor sie zusticht.

 

In dem Film „The Mothman Prophecies“, 2002, bleibt die Gestalt des Mottenmannes angenehm mysteriös. Die Ameise: mörderisch. Die Wespe: rachsüchtig-sadistisch. Die Biene: schwarmgewaltig. Die Heuschrecke: gefräßig. Und die Motte? Es bleibt ein Hauch von nächtlicher Poesie …

 

Im Reich der Insekten

 

Durchaus aktuell und „realistisch“ erscheint „Mimic“ von Guillermo del Toro, 1997, in dem eine von Kakerlaken übertragene Krankheit durch die Züchtung einer Gegen-Spezies bekämpft wird. Doch die „Judas-Kakerlake“ erweist sich dann als noch viel schlimmer. Insekten sind immer auch das Verborgene und Verdrängte, es sind Wesen, die nicht auf den Widerspruch zwischen Wildnis und Kultur zurückzuführen sind, weil sie in beiden Welten existieren.

 

Sich ins Reich der Insekten zu versetzen, ist seit der „Biene Maja“ ein beliebtes Motiv in Kinderbüchern und -filmen, das wie in „The Ant Bully“, 2006, durchaus erzieherische Absichten haben kann. Aber man kann, das entsprechende wissenschaftliche Wunderzeug vorausgesetzt, auch ganz direkt auf Augenhöhe mit Insekten kommen, wenn man wie „The Incredible Shrinking Man“, 1957, immer kleiner und kleiner wird. Oder wenn man in der Serie der „Honey, I Shrunk the Kids“-Filme, so klein gemacht wird, dass eine Wespe zum tödlicher Sturzflieger wird und der Weg durch ein Stück Rasen zur abenteuerlichen Expedition ins Reich dessen, was kriecht, krabbelt und fliegt.

 

Die jüngsten Beispiele des Insektenhorrors wie „Love and Monsters“, 2020, und ein Remake von „Mimic“ als TV-Serie haben alle, wen wundert es, apokalyptische Züge: Die Insekten haben die Weltherrschaft übernommen, die letzten Menschen führen einen verzweifelten Überlebenskampf. Kakerlaken, Ameisen, Termiten, Käfer … – sie vertreiben die Menschen aus ihrer eigenen zivilisatorischen Umwelt. Der Krieg gegen die Insekten ist ungefähr so ungleich wie der gegen die Viren in einer Pandemie.

 

Natürlich sind nicht alle Insekten böse oder gefährlich. Auch der Film stürzt zurück in die Fabel, setzt die Grille als „Gewissen“ von Pinocchio ein oder eine Raupe als Gesprächspartner von Alice im Wunderland. Han Solo versteht sich mit intergalaktischen Insekten genauso wie mit räuberischen Kröten. Im Reich der Insekten lassen sich wie in „Antz“, 1989, „A Bug’s Life“, 1998, oder „Bee Movie“, 2007, pädagogisch wertvolle Erfahrungen machen. Superman nutzt riesige Stubenfliegen als Reittiere, um ein intergalaktisches Volk aus der Sklaverei zu führen … Aber was ist das alles gegen Monstermotten, Kakerlaken-Invasionen und Fliegenmenschen? Insekten sind die Tiere, die wir zu hassen lieben. Im Kino wenigstens.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Markus Metz & Georg Seeßlen
Markus Metz und Georg Seeßlen sind freie Journalisten und Autoren.
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