Bienen, Wespen und Ameisen

Eine leidenschaftliche Naturgeschichte

Die sicherlich populärste Art der Aculeata ist die Honigbiene, deren Nester wahrscheinlich bereits seit rund 10.000 Jahren vom Menschen genutzt und ausgebeutet werden. Im 4. Jahrtausend vor Christus haben die Ägypter bereits begonnen, Honigbienen gezielt zu halten. Die Honigbiene ist heute zu einem Symboltier des Insektensterbens geworden, und die private Imkerei erlebt einen enormen Boom. Viele Menschen halten Honigbienen aus dem Glauben, damit der Natur etwas Gutes zu tun. Doch im Rahmen der aktuellen Debatte um den Erhalt der natürlichen Biodiversität wird die Rolle der Honigbiene zunehmend kontrovers gesehen. Die heute weltweit in Kultur gehaltene Westliche Honigbiene „Apis mellifera“ ist durch einen züchterischen Selektionsprozess zu einem sanftmütigen, fleißigen Nutztier geworden. Die Honigbienenindustrie hat dabei eine erhebliche Wirtschaftskraft. Man schätzt, dass die weltweit 81 Millionen Bienenstöcke 65.000 Tonnen Bienenwachs und 1,6 Millionen Tonnen Honig produziert. Als Bestäuber von Nutzpflanzen haben Honigbienen ebenfalls eine wichtige Funktion. Rund drei Viertel der wichtigsten Nutzpflanzenarten benötigen in unterschiedlichem Maße tierische Bestäuber. Etwa 90 Prozent von ihnen werden dabei von Bienen besucht. Man schätzt, dass zwar nur 5 bis 8 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion direkt auf Bestäuberleistungen zurückgehen, dass diese aber einem jährlichen Wirtschaftswert von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar entspricht. Die Produktion von insektenbestäubten Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao und Mandeln sichern die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen.

 

Wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass die intensive Honigbienenbewirtschaftung zur Biodiversitätskrise der natürlichen Vielfalt an Bestäuberarten signifikant beitragen kann. Die Honigbiene ist nur eine von rund 20.000 bekannten Bienenarten weltweit, von denen die allermeisten solitär, also einzeln leben. Auch in Deutschland gibt es rund 500 Wildbienenarten, die zu einem nicht unerheblichen Teil in ihrem Bestand bedroht sind. Alle Bienenarten sind Blütenbesucher und daher auch Blütenbestäuber. In Studien zeigt sich, dass Honigbienen und Wildbienen unter bestimmten Bedingungen in Futterkonkurrenz um Pollen- und Nektarressourcen geraten und die Wildbienen von den individuenreichen Honigbienen verdrängt werden können. Die intensive Landwirtschaft, zersiedelte Naturräume, Umweltgifte und nicht zuletzt die Klimaerwärmung setzen der gesamten Artenvielfalt zu, den Kulturhonigbienen wie den natürlichen Bestäubern. Als Nutztiere aber werden die Honigbienen von Imkern gepflegt und umsorgt, und auch wenn in bestimmten Regionen der Erde die Bestände an Honigbienen dramatische Einbrüche erlitten haben, stieg in den vergangenen 50 Jahren die Zahl der Völker der Westlichen Honigbiene weltweit an. Die für ein nachhaltiges Funktionieren der Lebensräume so wichtige Vielfalt der natürlichen Bestäuber dagegen ist akut bedroht, und es steht zu befürchten, dass die Honigbiene in bestimmten Regionen und unter bestimmten Bedingungen zum Rückgang der natürlichen Bestäuber beiträgt. Besonders in urbanen und landwirtschaftlich geprägten Lebensräumen, in denen die natürliche Artenvielfalt von vornherein keinen leichten Stand hat, können sich hohe Bestandsdichten an Honigbienen negativ auf die Bestände der natürlichen Insektenvielfalt auswirken.

 

Ameisen, deren rund 12.000 bekannte Arten allesamt sozial leben (bis auf einige sozialparasitische Arten), spielen in der Natur eine wichtige Rolle. Ökosystemdienstleistungen, also Leistungen der Natur und der Artenvielfalt, von denen der Mensch unmittelbar oder indirekt profitiert, sind dabei nur eine Seite der Medaille. Auch im natürlichen Beziehungsgefüge der Natur hat die Vielzahl der Ameisen und ebenso ihre schiere Biomasse eine wichtige Funktion. Ameisen sind beinahe in allen Landlebensräumen der Erde in großer Zahl vorhanden, und besonders tropische Habitate werden von Ameisen mit ihren ungeheuren Mengen an Arbeiterinnen dominiert. Man schätzt, dass Ameisen in der obersten Kronenschicht des Amazonas-Regenwalds von Peru rund 70 Prozent der dort lebenden Insekten ausmachen. Das Gewicht aller Ameisen weltweit entspricht in etwa dem Gewicht aller Menschen der Erde. Erst ihr Sozialleben haben die Ameisen derart erfolgreich werden lassen. Die Ameisen sind ein Lehrbuchbeispiel in der Ökologie, da sie für die Stoffkreisläufe der Landlebensräume der Erde von zentraler Wichtigkeit sind.

 

Das Image der stechenden Wespen und Bienen ist von nur wenigen Arten geprägt. Ganz im Vordergrund stehen dabei die Honigbiene und die beiden häufigen sozialen Wespenarten, denen wir allzu positive oder negative Eigenschaften zuschreiben. Die tatsächliche Artenvielfalt und die vielfältigen Funktionen von Bienen, Wespen und Ameisen werden so überdeckt. Unser Bild der stechenden Hautflügler ist dabei, sich vor dem Hintergrund des zunehmenden Wissens um ihre zentrale Rolle in den weltweiten Ökosystemen und damit für das Wohlergehen des Menschen zu ändern.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Michael Ohl
Michael Ohl ist wissenschaftlicher Leiter der Hymenopteren-Sammlung am Museum für Naturkunde Berlin (MfN) und hat das Zentrum für Integrative Biodiversitätsentdeckung am MfN mitgegründet. Er ist Autor des Buches „Stachel und Staat – Eine leidenschaftliche Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen“, Droemer Verlag 2018.
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