Bienen, Wespen und Ameisen

Eine leidenschaftliche Naturgeschichte

Wie nur wenige andere Organismen werden Wespen, Bienen und Ameisen in unserer Kultur mit bestimmten Bildern und Eigenschaften assoziiert. Die Wespen haben einen denkbar schlechten Leumund und gelten als lästige, aggressive Insekten, vor denen man sich hüten muss. In Bienen, und allen voran in der von uns kultivierten Honigbiene, sehen wir fleißige, putzige Blumenliebhaberinnen, denen wir Honig und sommerliches Wohlbefinden verdanken. Ameisen schließlich sind fleißige und unermüdliche Arbeiter, die Blattläuse melken und vor Feinden beschützen sowie Pilze kultivieren. Die Artenvielfalt von Wespen, Bienen und Ameisen und ihren evolutiven Anpassungsstrategien aber ist komplexer und vielfältiger, als es diese einfachen Bilder suggerieren.

 

Bienen, Wespen und Ameisen sind Insekten, die auf den ersten Blick gar nicht so viel miteinander zu tun haben. Sie alle aber besitzen einen Beutefang- oder Verteidigungsstachel, der sich in der Evolution aus dem Eilegeapparat anderer Insekten entwickelt hat. Bienen, Wespen und Ameisen gehören zu den Hautflüglern (Hymenoptera), zu denen auch die Heerscharen parasitischer Wespen und die urtümlichen Pflanzenwespen gehören. Parasitische Wespen, wie die Schlupfwespen, besitzen zwar oft einen gut sichtbaren, langen Stachel, der aber weiterhin der Eiablage dient und nicht als Verteidigungsstachel eingesetzt wird.

 

Der Stachel der Bienen, Wespen und Ameisen ist ihre wichtigste evolutive Innovation und einer der Hauptfaktoren für ihren evolutiven Erfolg. Rund 75.000 Arten sind weltweit bereits entdeckt worden, und viele Zehntausend warten wahrscheinlich noch auf ihre Entdeckung. Unter der schon bekannten Artenvielfalt finden sich rund 12.000 Ameisen- und 20.000 Bienenarten. Alle anderen sind Wespen. Die Mehrzahl der Arten lebt nicht sozial, sondern solitär. Bei ihnen baut das Weibchen allein ein Nest, in das sie ein Ei legt und mit artspezifischer Nahrung versorgt. Die Larven der meisten Wespen werden mit Fleisch versorgt, während die Larven von Bienen und manchen Ameisenarten Vegetarier sind.

 

Der Stachel als Verteidigungsinstrument ist der Grund dafür, dass wir als Menschen Kontakte mit Bienen, Wespen und Ameisen meist in langer und unangenehmer Erinnerung behalten. Das durch den Stachel in den Angreifer injizierte Gift ist ein komplexer Cocktail aus verschiedenen biochemisch wirksamen Substanzen mit spezifischen Funktionen. Die Zusammensetzung des Giftes unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Arten teilweise gravierend, was auf unterschiedliche Funktionen zurückzuführen ist. Einige der enthaltenden Substanzen dienen dazu, Schmerz zu erzeugen, andere wiederum sind Gifte, die in höherer Konzentration zu erheblichen gesundheitlichen Komplikationen und in seltenen Fällen sogar zum Tod führen können.

 

Die einheimischen Wespen haben ein schlechtes Image, besonders wegen ihres gefürchteten Stichs. Das allgemeine Bild von stechenden Wespen wird geprägt von nur zwei extrem häufigen Arten, der Deutschen und der gemeinen Wespe, aber die tatsächliche Vielfalt an Wespen auch in Deutschland bleibt den meisten Menschen verborgen. Unterscheiden muss man dabei die solitären, also einzeln lebenden Arten, von denen es selbst in Deutschland mehrere Hundert Arten gibt, von den wenigen sozialen Arten, die individuenreiche Staaten bauen. Soziale Arten, die einen Staat zu verteidigen haben, besitzen dabei meist einen deutlich schmerzhafteren Stich als solitäre Arten. Besonders die beiden häufigsten sozialen Wespenarten überschwemmen mit ihren Arbeiterinnen unsere Kulturlandschaft und Städte. Im Spätsommer, wenn die Wespenstaaten ihre maximale Größe erreichen, kommt es häufiger als sonst zum Zusammentreffen zwischen Menschen und den auf der Suche nach Zucker und anderen süßen, kohlenhydratreichen Substanzen herumfliegenden Wespenarbeiterinnen. Solche Konfrontationen enden oft in schmerzhaften Stichen, was den irrigen Eindruck vermittelt, die Wespen seien im Spätsommer besonders aggressiv.

 

Die sozialen Wespen spielen in den Ökosystemen eine wichtige Rolle. Sie jagen große Mengen von Insekten als Nahrung für ihre Larven und tragen erheblich zur Regulation des Naturhaushalts bei. Da auch Schadinsekten gefangen werden, profitiert auch die Landwirtschaft von den Wespen. Hunderte von Blütenpflanzenarten werden auch oder vorwiegend von Wespen bestäubt. In mindestens 19 Ländern in Ostasien, Afrika und Südamerika dienen Wespen in Form ihrer proteinreichen Larven oder Puppen als Nahrung für den Menschen. Von ihren Giften und auch von bestimmten Drüsensekreten ist bekannt, dass sie antibiotische und andere, potenziell pharmakologische Wirkungen besitzen. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu finden derzeit statt.

Die sicherlich populärste Art der Aculeata ist die Honigbiene, deren Nester wahrscheinlich bereits seit rund 10.000 Jahren vom Menschen genutzt und ausgebeutet werden. Im 4. Jahrtausend vor Christus haben die Ägypter bereits begonnen, Honigbienen gezielt zu halten. Die Honigbiene ist heute zu einem Symboltier des Insektensterbens geworden, und die private Imkerei erlebt einen enormen Boom. Viele Menschen halten Honigbienen aus dem Glauben, damit der Natur etwas Gutes zu tun. Doch im Rahmen der aktuellen Debatte um den Erhalt der natürlichen Biodiversität wird die Rolle der Honigbiene zunehmend kontrovers gesehen. Die heute weltweit in Kultur gehaltene Westliche Honigbiene „Apis mellifera“ ist durch einen züchterischen Selektionsprozess zu einem sanftmütigen, fleißigen Nutztier geworden. Die Honigbienenindustrie hat dabei eine erhebliche Wirtschaftskraft. Man schätzt, dass die weltweit 81 Millionen Bienenstöcke 65.000 Tonnen Bienenwachs und 1,6 Millionen Tonnen Honig produziert. Als Bestäuber von Nutzpflanzen haben Honigbienen ebenfalls eine wichtige Funktion. Rund drei Viertel der wichtigsten Nutzpflanzenarten benötigen in unterschiedlichem Maße tierische Bestäuber. Etwa 90 Prozent von ihnen werden dabei von Bienen besucht. Man schätzt, dass zwar nur 5 bis 8 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion direkt auf Bestäuberleistungen zurückgehen, dass diese aber einem jährlichen Wirtschaftswert von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar entspricht. Die Produktion von insektenbestäubten Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao und Mandeln sichern die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen.

 

Wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass die intensive Honigbienenbewirtschaftung zur Biodiversitätskrise der natürlichen Vielfalt an Bestäuberarten signifikant beitragen kann. Die Honigbiene ist nur eine von rund 20.000 bekannten Bienenarten weltweit, von denen die allermeisten solitär, also einzeln leben. Auch in Deutschland gibt es rund 500 Wildbienenarten, die zu einem nicht unerheblichen Teil in ihrem Bestand bedroht sind. Alle Bienenarten sind Blütenbesucher und daher auch Blütenbestäuber. In Studien zeigt sich, dass Honigbienen und Wildbienen unter bestimmten Bedingungen in Futterkonkurrenz um Pollen- und Nektarressourcen geraten und die Wildbienen von den individuenreichen Honigbienen verdrängt werden können. Die intensive Landwirtschaft, zersiedelte Naturräume, Umweltgifte und nicht zuletzt die Klimaerwärmung setzen der gesamten Artenvielfalt zu, den Kulturhonigbienen wie den natürlichen Bestäubern. Als Nutztiere aber werden die Honigbienen von Imkern gepflegt und umsorgt, und auch wenn in bestimmten Regionen der Erde die Bestände an Honigbienen dramatische Einbrüche erlitten haben, stieg in den vergangenen 50 Jahren die Zahl der Völker der Westlichen Honigbiene weltweit an. Die für ein nachhaltiges Funktionieren der Lebensräume so wichtige Vielfalt der natürlichen Bestäuber dagegen ist akut bedroht, und es steht zu befürchten, dass die Honigbiene in bestimmten Regionen und unter bestimmten Bedingungen zum Rückgang der natürlichen Bestäuber beiträgt. Besonders in urbanen und landwirtschaftlich geprägten Lebensräumen, in denen die natürliche Artenvielfalt von vornherein keinen leichten Stand hat, können sich hohe Bestandsdichten an Honigbienen negativ auf die Bestände der natürlichen Insektenvielfalt auswirken.

 

Ameisen, deren rund 12.000 bekannte Arten allesamt sozial leben (bis auf einige sozialparasitische Arten), spielen in der Natur eine wichtige Rolle. Ökosystemdienstleistungen, also Leistungen der Natur und der Artenvielfalt, von denen der Mensch unmittelbar oder indirekt profitiert, sind dabei nur eine Seite der Medaille. Auch im natürlichen Beziehungsgefüge der Natur hat die Vielzahl der Ameisen und ebenso ihre schiere Biomasse eine wichtige Funktion. Ameisen sind beinahe in allen Landlebensräumen der Erde in großer Zahl vorhanden, und besonders tropische Habitate werden von Ameisen mit ihren ungeheuren Mengen an Arbeiterinnen dominiert. Man schätzt, dass Ameisen in der obersten Kronenschicht des Amazonas-Regenwalds von Peru rund 70 Prozent der dort lebenden Insekten ausmachen. Das Gewicht aller Ameisen weltweit entspricht in etwa dem Gewicht aller Menschen der Erde. Erst ihr Sozialleben haben die Ameisen derart erfolgreich werden lassen. Die Ameisen sind ein Lehrbuchbeispiel in der Ökologie, da sie für die Stoffkreisläufe der Landlebensräume der Erde von zentraler Wichtigkeit sind.

 

Das Image der stechenden Wespen und Bienen ist von nur wenigen Arten geprägt. Ganz im Vordergrund stehen dabei die Honigbiene und die beiden häufigen sozialen Wespenarten, denen wir allzu positive oder negative Eigenschaften zuschreiben. Die tatsächliche Artenvielfalt und die vielfältigen Funktionen von Bienen, Wespen und Ameisen werden so überdeckt. Unser Bild der stechenden Hautflügler ist dabei, sich vor dem Hintergrund des zunehmenden Wissens um ihre zentrale Rolle in den weltweiten Ökosystemen und damit für das Wohlergehen des Menschen zu ändern.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Michael Ohl
Michael Ohl ist wissenschaftlicher Leiter der Hymenopteren-Sammlung am Museum für Naturkunde Berlin (MfN) und hat das Zentrum für Integrative Biodiversitätsentdeckung am MfN mitgegründet. Er ist Autor des Buches „Stachel und Staat – Eine leidenschaftliche Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen“, Droemer Verlag 2018.
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