Kunsthandel im Nationalsozialismus

Die Provenienzforschung braucht geeignete Förderprogramme, mehr Transparenz und effizientere Netzwerke

Doch hierfür ist die transparente Aufbereitung noch vorhandener Quellen essenziell. 2009 hat das Münchner Auktionshaus Neumeister als erstes Kunsthandelsunternehmen in Deutschland in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, das die Geschichte seiner Vorgängerinstitution, des Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller, untersuchte. Einlieferer- und Käufernamen von 33 Münchner Versteigerungen sowie elf Wiener Versteigerungen der Jahre 1936 bis 1944 wurden der Datenbank Lost Art des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg zur Verfügung gestellt. Damit liegen zur Herkunft von ca. 33.000 in diesem Zeitraum gehandelten Objekten – darunter Einlieferungen der Gestapo Prag oder aus den besetzten Niederlanden – nun wesentlich detailliertere Informationen vor, welche für die internationale Forschung und Restitutionsverfahren von unschätzbarem Wert sind.

 

Zu den frühen Opfern der Verfolgung gehörte der jüdische Auktionator Hugo Helbing. Ein Projekt zur Digitalisierung der in Deutschland und der Schweiz befindlichen Auktionsprotokolle zwischen 1895 und 1935 wird 2021 mit einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft an der Universitätsbibliothek Heidelberg starten. Ein weiteres Projekt zur Erschließung des Fotoarchivs der 1880 begründeten Kunsthandlung Julius Böhler befindet sich in Bearbeitung – nur einige wenige Beispiele wegweisender Projekte, die ich an dieser Stelle nenne.

 

Projekte, die aber bisher überwiegend teilfinanziert sind, denn adäquate Förderschienen hierfür gibt es bisher nicht. Chancen und Potenziale dieser Projekte können so kaum ausgeschöpft werden. Dabei geht es nicht allein darum, Geschäftsbücher und Personendaten offenzulegen und „Opfer“ bzw. „Täter“ zu definieren, sondern darum, die komplexen Mechanismen am Kunstmarkt begreifen zu lernen. Diejenigen Sammlungen, die in den 1910er und 1920er Jahren aufgebaut wurden, sind vielfach dieselben, die in den 1930er und 1940er Jahren unter dem Druck der Verfolgung aufgelöst oder konfisziert wurden. Doch erst umfassende valide Auswertungen von Daten zu involvierten Akteuren und Netzwerken lassen schließlich Kontinuitäten und Wiedersprüche erkennen, staatlich-behördliches Verwaltungshandeln von privaten Handlungsspielräumen unterscheiden.

 

Zu den wohl bekanntesten Protagonisten am NS-Kunstmarkt, der seine Handlungsspielräume rigoros nutzte, gehört der durch den „Schwabinger Kunstfund“ 2013 berühmt gewordene Hildebrand Gurlitt. Abgesehen von der ungeklärten Frage nach der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme des „Kunstbestands“ durch die Staatsanwaltschaft in der Wohnung seines 2014 verstorbenen Sohnes Cornelius Gurlitt, bliebt die Tatsache unbestritten, dass Hildebrand Gurlitt zu den umtriebigen Händlern im „Dritten Reich“ gehört hatte. Und das obwohl er zuvor als Museumsdirektor in Zwickau und Leiter des Hamburger Kunstvereins selbst zweimal Opfer konservativer, nationalsozialistischer Kulturpolitik geworden war.

 

Seine Aktivitäten im Rahmen der „Verwertungsaktion Entartete Kunst“, aber vor allem auch seine Ankäufe für Hitler auf den Kunstmärkten in den besetzten Westgebieten, allem voran in Paris, bringen mich zurück zum Anfang: Kulturgüter zirkulieren. Allein um die allein quantitative Dimension der massenhaften Translokationen von Kulturgütern im „Dritten Reich“ durch den Kunsthandel zu fassen, brauchen wir uneingeschränkt Transparenz im Umgang mit Kulturgütern und historischen Quellen und Daten zu ihrer Herkunft, denn ein intransparenter Umgang führt erneut zur Reproduktion von Ungleichheitspositionen, Rassismen und Antisemitismen. Und wir brauchen geeignete – internationale – Förderprogramme für die Entwicklung digitaler Forschungsinfrastrukturen. Akteure wie Hildebrand Gurlitt hatten überaus effiziente Netzwerke. Wenn wir diese durchdringen wollen, ist es an der Zeit, dass auch die Provenienzforschung effizientere Netzwerke begründet.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Meike Hopp
Meike Hopp leitet das Fachgebiet für Digitale Provenienzforschung an der TU Berlin. Sie ist außerdem Vorsitzende des Arbeitskreis Provenienzforschung.
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