Ein vermittelnder Gastgeber

Das Auktionshaus Grisebach zwischen Tradition und Social Media

Seit diesem Jahr haben Sie auch einen Podcast ins Leben gerufen …

Ja, mit der Journalistin Rebecca Casati. Er macht allen Beteiligten viel Spaß. Gemeinsam mit Gästen erzählt Frau Casati Geschichten, die in den Kunstwerken stecken, die wir anbieten. Sie fragt: Was hat dich berührt? Welches Kunstwerk lässt dich nicht los? Darauf geben die Menschen antworten. Mit dem Grisebach-Podcast erreichen wir die Menschen auch in Zeiten von Corona. Und zwar durch eine sinnliche Erfahrung. Sie konsumieren mit dem Ohr. Dadurch werden die Hürden des Auktionshauses durchlässiger.

 

Das Corona-Jahr 2020 hat auch Ihr Auktionshaus nachhaltig beeinflusst. Inwiefern?

Durch Corona ist der persönliche Kontakt mittelfristig weggebrochen und wir mussten uns neu aufstellen. Kreativ sein und sagen: Wir stecken den Kopf nicht in den Sand. Es gab viel Bewegung nach vorn – auch bei uns. Alle sechs bis acht Wochen organisieren wir eine Online-Aktion mit dem Titel „Online Only“. Bei den Auktionen geht es um Unikate oder sehr kleine Auflagen. Jedes einzelne Werk wurde von uns geprüft und mit Expertise abgesichert. Online bieten konnte man zwar auch vor Corona – dass es aber eine eigene Auktion in dieser Form gibt – das ist bei uns neu.

 

Möchten Sie, dass sich diese Auktionen langfristig etablieren?

Definitiv. Jedes einzelne Projekt nehmen wir ernst. Die Online-Only-Auktionen sind kein Notnagel. Corona hatte eine Antriebskraft, die ist unbeschreiblich. Wir sind so schnell in das für uns neue Gebiet der Online-Auktion eingestiegen. Mit einer unglaublichen Tatkraft und Motivation im Team. „Online Only“ ist ein Vertriebsweg, den wir in diesem Jahr im Juni aufgebaut haben und nicht mehr ablegen werden.

 

Inwiefern grenzt sich Ihr Online-Angebot zur Konkurrenz wie Artsy, Artnet und Co. ab?

Unsere „Timed Auctions“, genannt Online Only, bieten ausgewählte Arbeiten im Bereich von 500 bis 10.000 Euro. Wir gehen mit derselben Sorgfalt vor, wie bei Präsenzauktionen, das umfasst Zustandsberichte, Expertise und Provenienzrecherche. Anders als bei Artsy aber bieten wir Kunst nicht in einem Shop an mit der Option des Sofort-Kaufs, sondern innerhalb einer festgelegten Laufzeit von zwei Wochen. Außerdem gibt es keinen festen Kaufpreis, sondern ein Maximalgebot, das am Ende die anderen Gebote überholt.

 

Würden Sie sagen, Corona sorgt für einen Paradigmenwechsel im Kunsthandel?

Ja. Die Phase des ersten Lockdowns war der Startschuss für diesen Wechsel. Bei Christie’s etwa gibt es kaum mehr gedruckte Kataloge. Auch die Rolle des Auktionssaals ändert sich massiv dieser Tage. Er verliert an Notwendigkeit. Natürlich wird es auch künftig um die knisternde Atmosphäre einer Auktion gehen.

Jetzt aber existieren wir nicht mehr nur physisch, sondern auch digital. Für den Auktionsmarkt war das lange undenkbar. Das Haptische ist nicht mehr notwendig, sondern „nice to have“. Wir haben durch Corona gelernt: Wir können alles – auch online.

 

Beschreiben Sie bitte das Knistern der Präsenzauktion …

Ich liebe die Atmosphäre – vor allem innerhalb des Evening Sales, der Abendauktion. Dem Werk, das wir mindestens über ein halbes Jahr lang begleitet haben, bereiten wir im Moment der Präsenzauktion eine Bühne. Es ist ein orchestrierter, leicht theatralischer Moment. Der Auktionator kann diesen Moment zwar auch über den Screen vermitteln. Doch wie bei einer Theateraufführung, kann er/sie bei der Präsenzauktion im Raum ganz besonders mit dem Live-Publikum flirten. Besonders hier zeigt sich das Jagdfieber. Viele Kunden möchten im Saal sein, um diesen Moment aufzusaugen. Sie wollen den Arm heben, sich aus der Gruppe herausstellen und zeigen: Das Werk will ich haben. Das hat eine wahnsinnige Kraft.

 

Als Geschäftsführerin haben Sie über den Kunstmarkt gesagt, er sei zwar gewachsen, aber noch eng geschnürt. Wo genau empfinden Sie dieses Korsett?

Im Kunstmarkt liegen noch viele ungenutzte Potenziale. Synergieeffekte müssen wachsen. Damit meine ich die Zusammenarbeit der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer. Hochschulen und Akademien gehören genauso zum Markt, wie Galerien, Auktionshäuser und Museen. Wir sollten uns als großen Kuchen mit vielen Stücken sehen. Ich glaube noch nicht, dass das alle so sehen. Oft erlebe ich noch zu viele kleine Gartenzäune. Wir – die Akteure auf dem Kunstmarkt – sollten uns zusammentun. Wir haben ähnliche Zielgruppen und könnten mehr gemeinsam entwickeln.

 

Zum Beispiel? Sie alle teilen etwa den Wunsch, Menschen für Kunst zu begeistern …

Absolut. Ein Gedanke, der auch außerhalb des Corona-Jahres fruchten sollte. Wir könnten etwa terminlich verschmelzen. Wir, als Auktionshaus, könnten Vorbesichtigungen im gleichen Zeitraum machen, in dem Galerien ihre Eröffnungen haben oder städtische bzw. regionale Kunstwochen stattfinden. Der dritte Akteur organisiert parallel ein Musikfestival, der vierte eine Sonderausstellung. Ich glaube daran, dass viele Menschen aus dem In- und Ausland hierfür eher anreisen würden – z. B. nach Berlin. Die Stadt würde eine andere Strahlkraft bekommen. Wenn sich alle Aktionen über das Jahr „versprenkelt“ verteilen, würde ich aus Zürich etwa auch nicht extra anreisen. Ich würde mir wünschen, dass wir Kunstakteurinnen und -akteure uns nicht abkapseln. Ich fände es toll, wenn wir uns noch stärker absprechen – zum Wohle aller.

 

Werden Sie das als neue Geschäftsführerin von Grisebach schärfen?

Ja. Ich finde, gerade in meiner Rolle als Nachfolgerin von Bernd Schultz und Florian Illies habe ich die Auf-gabe, Grisebach als Haus mit der Dimension des vermittelnden Gastgebers weiterzuführen. Das haben wir gemeinsam. Das ist das Herzstück des Hauses. Wir bei Grisebach sagen nicht nur: Komm rein, es gibt etwas zu kaufen. Sondern wir engagieren uns weitergehend. Thomas Zipp von der Universität der Künste Berlin war vor wenigen Jahren mit Studentinnen und Studenten hier in unserer Villa. Bei der „Klasse Zipp“ mit dem Projekt „Camping at Grisebach“. Die Klasse hat im Haus gecampt und hier gearbeitet. Das ist es, was uns ausmacht. Wir sind ein Raum für Ideen. Für Gedanken und Austausch – über den reinen Kunstkauf hinaus.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Diandra Donecker & Sandra Winzer
Diandra Donecker ist Geschäftsführerin des Auktionshauses Grisebach. Sandra Winzer ist ARD-Journalistin beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main.
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