Diandra Donecker & Sandra Winzer - 1. Dezember 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kunstmarkt

Ein vermittelnder Gastgeber


Das Auktionshaus Grisebach zwischen Tradition und Social Media

Seit 2019 hat das Auktionshaus Grisebach eine neue Leitung: Diandra Donecker. Als Nachfolgerin von Bernd Schultz und Florian Illies führt die Expertin für Fotografie das Traditionshaus in der Berliner Fasanenstraße mit der Dimension des vermittelnden Gastgebers weiter – und setzt dabei neue Akzente. Sandra Winzer fragt nach, welche das sind.

 

Sandra Winzer: Frau Donecker, es ist nicht lange her, da haben Sie Ihr Auktionshaus mit einem gut sortierten Secondhand-Laden verglichen. Bitte erklären Sie das.

Diandra Donecker: Das Auktionshaus hat eine lange Tradition auf dem Markt des Kunsthandels. Der frühere „Gentleman-Dealer“ für Bücher oder andere Arbeiten auf Papier hat sich im 18. Jahrhundert übertragen auf die Auktionshäuser. Wir arbeiten auf dem sogenannten Sekundärmarkt. Er ist anders als der Primärmarkt, zu dem die Galerien gehören. Wir handeln mit Werken, die bereits eine Geschichte haben und im Weitesten im kunsthistorischen Kanon eingegangen sind. Die bereits von einer Hand in die andere gegangen sind. Die Arbeiten werden unter anderem aus dem Privatbereich angeboten. Etwa von der Familie einer verstorbenen Person, die ihren Haushalt hinterlässt. Oder von Menschen, die sich von Objekten trennen möchten, weil sie ihre Sammlungen umstrukturieren. Jede Arbeit hat eine besondere Provenienz. Eine Herkunftsgeschichte, die sich, je nachdem, wann das Werk entstanden ist, durch Jahrhunderte schlängeln kann.

 

Wie bestimmen Sie vor Auktionen den Marktwert eines Werkes?

Trifft eine Arbeit bei uns ein, hatte sie bereits einmal einen Kaufpreis, wurde gehandelt. Diesen berücksichtigen wir. Außerdem nutzen wir Datenbanken, die vergangene Auktionsergebnisse von vergleichbaren Werken listen. Etwa die Gestaltungstechnik oder Größe betreffend. Auch das ist eine Referenz. Zum Schluss kommen noch Expertise, der Zustand, Erfahrung und Intuition hinzu. Man entwickelt nach einiger Zeit ein Gespür, in welchem Preisrahmen sich ein Werk einpendeln wird. Rufen wir einen Preis aus, treten wir unmittelbar in eine Art Dialog mit den potenziellen Kunden. Der Markt selbst – verkörpert durch unsere Bieterinnen und Bieter – finalisiert den Preis für eine Arbeit, einen Künstler, ein Format, eine Technik.

 

Als Geschäftsführerin eines traditionsreichen Auktionshauses begreifen Sie sich als Vermittlerin. Inwiefern?

Uns erreichen täglich viele Angebote für unsere Auktionen. Wie alle anderen Auktionshäuser aber entscheiden wir selbst, was wir annehmen. Wir filtern, entscheiden uns für oder gegen Angebote. Die Entscheidung kann für einen Zeitgeist stehen. Oft aber wollen wir auch einen Künstler oder eine Künstlerin zeigen und sagen: „Schaut mal her, diese Person wurde seit den 1960er Jahren übersehen. Hier liegt ein lange verborgener Schatz.“ Wir sind ein Haus mit vielen Kunsthistorikern und Expertise. Wir investieren viel Zeit und Arbeit, um Kunst nicht nur zu verkaufen, sondern auch davon zu erzählen und sie dadurch zu vermitteln.

 

Das Empfinden von Ästhetik unterliegt ständiger Bewegung. Beobachten Sie einen Wandel bei den Bedürfnissen der Kunstliebhaberinnen und -liebhaber?

Ja. Diesen Wandel gibt es. Beispielsweise im Hinblick auf den Kundentypus. Ursprünglich und qua Ausbildung komme ich aus dem Bereich der Handzeichnungen und Druckgrafiken – einem klassischen Teil des Kunstmarktes. Hier bewegen sich viele Kenner. Sie sammeln bestimmte Epochen, Stile oder Künstlerfiguren. Nach diesen wird dann gezielt gesucht. Diesen Typ des „allwissenden Käufers“, des Connaisseurs, gibt es noch immer. Man trifft ihn z. B. auch bei der Jagd nach einer ganz bestimmten Fotografie. Es kommt aber auch ein neuer, breit aufgestellter Käufertyp hinzu. Vor allem jüngere Kunden bringen heutzutage eine neue Leichtigkeit im Kauf mit. Sinnlichkeit, Lust und Spontaneität. Oft geht es um ein locker hingeschmissenes „Gefällt mir“. Das der Kunst anhaftende Elitäre wird durch neue Ungezwungenheit ergänzt. Dadurch gewinnt die Szene der Kunstinteressierten an Offenheit.

 

Können Sie ein Beispiel beschreiben?

Es gibt Menschen, die etwa mit einem Start-up Erfolg haben und Gefallen an einem bestimmten Werk finden, das sie kaufen. Zwei Jahre später ziehen sie um und möchten ihre neue Umgebung umgestalten. Also trennen sie sich von dem alten Bild. Kunstwerke wechseln schneller ihr Zuhause. Sie sind nicht mehr ausschließlich Lebensbegleiter, die über 60 Jahre lang im Familienbesitz bleiben. Man könnte sagen: Es gibt beim neuen Auktions-Typus ein weniger an Emotionalität und Tiefe, dafür aber ein Mehr an Lust, Schnelligkeit und Austausch. Der „elfenbeinturmartige Überzug“ von Kunstauktionen wird gelüftet.

 

Dass „gelüftet“ wird und Auktionen nicht von der breiten Masse abgeschirmt stattfinden – dafür setzen Sie sich ein. Sie führen Studierende herum, machen Salongespräche. Weg vom ausschließlich Elitären, Schönen, Reichen. Möchten Sie mehr Generationen in Ihr Auktionshaus holen?

Das ist eine Triebfeder, die ich mir selbst auf die Fahnen geschrieben habe. Es hat sicher auch mit meinem eigenen Alter (31) zu tun. Ich möchte alle Interessierten einladen und zeigen: Um in die Welt der Kunstauktionen einzutreten, brauchst Du erst einmal nichts, außer: gute Augen und Neugierde. Um das zu erreichen, nutzen wir viele Kanäle.

 

Beispielsweise Social Media?

Genau. Kanäle wie Instagram helfen uns, Menschen zwischen 14 und 45 anzuziehen. Und zwar zeitnah und bildhaft. Wir bemühen uns um Expertenvideos, die locker erzählen, was das Besondere an einer Vase oder einem Werk ist. Ich finde es wichtig, dass wir die einzelnen Kolleginnen und Kollegen mit Gesicht und Stimme in den Fokus rücken. Grisebach ist nicht nur die Traditionsvilla mit verzierten Treppchen. Grisebach – das sind viele wunderbare Kollegen und Experten. Mit den Videos möchten wir unser Angebot nahbarer und menschlich machen in der gewählten Form des Mediums.

Seit diesem Jahr haben Sie auch einen Podcast ins Leben gerufen …

Ja, mit der Journalistin Rebecca Casati. Er macht allen Beteiligten viel Spaß. Gemeinsam mit Gästen erzählt Frau Casati Geschichten, die in den Kunstwerken stecken, die wir anbieten. Sie fragt: Was hat dich berührt? Welches Kunstwerk lässt dich nicht los? Darauf geben die Menschen antworten. Mit dem Grisebach-Podcast erreichen wir die Menschen auch in Zeiten von Corona. Und zwar durch eine sinnliche Erfahrung. Sie konsumieren mit dem Ohr. Dadurch werden die Hürden des Auktionshauses durchlässiger.

 

Das Corona-Jahr 2020 hat auch Ihr Auktionshaus nachhaltig beeinflusst. Inwiefern?

Durch Corona ist der persönliche Kontakt mittelfristig weggebrochen und wir mussten uns neu aufstellen. Kreativ sein und sagen: Wir stecken den Kopf nicht in den Sand. Es gab viel Bewegung nach vorn – auch bei uns. Alle sechs bis acht Wochen organisieren wir eine Online-Aktion mit dem Titel „Online Only“. Bei den Auktionen geht es um Unikate oder sehr kleine Auflagen. Jedes einzelne Werk wurde von uns geprüft und mit Expertise abgesichert. Online bieten konnte man zwar auch vor Corona – dass es aber eine eigene Auktion in dieser Form gibt – das ist bei uns neu.

 

Möchten Sie, dass sich diese Auktionen langfristig etablieren?

Definitiv. Jedes einzelne Projekt nehmen wir ernst. Die Online-Only-Auktionen sind kein Notnagel. Corona hatte eine Antriebskraft, die ist unbeschreiblich. Wir sind so schnell in das für uns neue Gebiet der Online-Auktion eingestiegen. Mit einer unglaublichen Tatkraft und Motivation im Team. „Online Only“ ist ein Vertriebsweg, den wir in diesem Jahr im Juni aufgebaut haben und nicht mehr ablegen werden.

 

Inwiefern grenzt sich Ihr Online-Angebot zur Konkurrenz wie Artsy, Artnet und Co. ab?

Unsere „Timed Auctions“, genannt Online Only, bieten ausgewählte Arbeiten im Bereich von 500 bis 10.000 Euro. Wir gehen mit derselben Sorgfalt vor, wie bei Präsenzauktionen, das umfasst Zustandsberichte, Expertise und Provenienzrecherche. Anders als bei Artsy aber bieten wir Kunst nicht in einem Shop an mit der Option des Sofort-Kaufs, sondern innerhalb einer festgelegten Laufzeit von zwei Wochen. Außerdem gibt es keinen festen Kaufpreis, sondern ein Maximalgebot, das am Ende die anderen Gebote überholt.

 

Würden Sie sagen, Corona sorgt für einen Paradigmenwechsel im Kunsthandel?

Ja. Die Phase des ersten Lockdowns war der Startschuss für diesen Wechsel. Bei Christie’s etwa gibt es kaum mehr gedruckte Kataloge. Auch die Rolle des Auktionssaals ändert sich massiv dieser Tage. Er verliert an Notwendigkeit. Natürlich wird es auch künftig um die knisternde Atmosphäre einer Auktion gehen.

Jetzt aber existieren wir nicht mehr nur physisch, sondern auch digital. Für den Auktionsmarkt war das lange undenkbar. Das Haptische ist nicht mehr notwendig, sondern „nice to have“. Wir haben durch Corona gelernt: Wir können alles – auch online.

 

Beschreiben Sie bitte das Knistern der Präsenzauktion …

Ich liebe die Atmosphäre – vor allem innerhalb des Evening Sales, der Abendauktion. Dem Werk, das wir mindestens über ein halbes Jahr lang begleitet haben, bereiten wir im Moment der Präsenzauktion eine Bühne. Es ist ein orchestrierter, leicht theatralischer Moment. Der Auktionator kann diesen Moment zwar auch über den Screen vermitteln. Doch wie bei einer Theateraufführung, kann er/sie bei der Präsenzauktion im Raum ganz besonders mit dem Live-Publikum flirten. Besonders hier zeigt sich das Jagdfieber. Viele Kunden möchten im Saal sein, um diesen Moment aufzusaugen. Sie wollen den Arm heben, sich aus der Gruppe herausstellen und zeigen: Das Werk will ich haben. Das hat eine wahnsinnige Kraft.

 

Als Geschäftsführerin haben Sie über den Kunstmarkt gesagt, er sei zwar gewachsen, aber noch eng geschnürt. Wo genau empfinden Sie dieses Korsett?

Im Kunstmarkt liegen noch viele ungenutzte Potenziale. Synergieeffekte müssen wachsen. Damit meine ich die Zusammenarbeit der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer. Hochschulen und Akademien gehören genauso zum Markt, wie Galerien, Auktionshäuser und Museen. Wir sollten uns als großen Kuchen mit vielen Stücken sehen. Ich glaube noch nicht, dass das alle so sehen. Oft erlebe ich noch zu viele kleine Gartenzäune. Wir – die Akteure auf dem Kunstmarkt – sollten uns zusammentun. Wir haben ähnliche Zielgruppen und könnten mehr gemeinsam entwickeln.

 

Zum Beispiel? Sie alle teilen etwa den Wunsch, Menschen für Kunst zu begeistern …

Absolut. Ein Gedanke, der auch außerhalb des Corona-Jahres fruchten sollte. Wir könnten etwa terminlich verschmelzen. Wir, als Auktionshaus, könnten Vorbesichtigungen im gleichen Zeitraum machen, in dem Galerien ihre Eröffnungen haben oder städtische bzw. regionale Kunstwochen stattfinden. Der dritte Akteur organisiert parallel ein Musikfestival, der vierte eine Sonderausstellung. Ich glaube daran, dass viele Menschen aus dem In- und Ausland hierfür eher anreisen würden – z. B. nach Berlin. Die Stadt würde eine andere Strahlkraft bekommen. Wenn sich alle Aktionen über das Jahr „versprenkelt“ verteilen, würde ich aus Zürich etwa auch nicht extra anreisen. Ich würde mir wünschen, dass wir Kunstakteurinnen und -akteure uns nicht abkapseln. Ich fände es toll, wenn wir uns noch stärker absprechen – zum Wohle aller.

 

Werden Sie das als neue Geschäftsführerin von Grisebach schärfen?

Ja. Ich finde, gerade in meiner Rolle als Nachfolgerin von Bernd Schultz und Florian Illies habe ich die Auf-gabe, Grisebach als Haus mit der Dimension des vermittelnden Gastgebers weiterzuführen. Das haben wir gemeinsam. Das ist das Herzstück des Hauses. Wir bei Grisebach sagen nicht nur: Komm rein, es gibt etwas zu kaufen. Sondern wir engagieren uns weitergehend. Thomas Zipp von der Universität der Künste Berlin war vor wenigen Jahren mit Studentinnen und Studenten hier in unserer Villa. Bei der „Klasse Zipp“ mit dem Projekt „Camping at Grisebach“. Die Klasse hat im Haus gecampt und hier gearbeitet. Das ist es, was uns ausmacht. Wir sind ein Raum für Ideen. Für Gedanken und Austausch – über den reinen Kunstkauf hinaus.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.


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