Dies ist ein Plädoyer für eine klare Diversifikationsstrategie in der Auswahl und Zusammenstellung des Personals bei der Produktion digitaler Spiele zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit einer erfolgreichen Kultur- und Medienindustrie, die neben rein ökonomischen auch gesellschaftliche Ziele berücksichtigt.
Kulturelle Diversifikation als immanenter Bestandteil digitaler Spielewelten
Wir alle freuen uns über weltweit gefertigte Produkte digitaler Spielekultur. Seien es italienisch geprägte hüpfende Klempner eines japanischen Spielekonzerns, amerikanische Spiele, die Figuren mit Manga-Augen oder schwule Protagonisten hervorbringen oder europäische Produkte, die immer wieder Anleihen z. B. in der fernöstlichen Kampfkunst und Kultur nehmen. Digitale Spiele waren und sind als regelbasierte Produkte eine komplexe Kommunikationsform bei gleichzeitig hoher globaler Verständlichkeit. Sie sind Kulturbotschafter und repräsentieren alle Formen gesellschaftlicher Differenzierung. Die 2004 von Richards bezeichneten »Sheroes«, farbige Protagonisten z. B. in Half Life oder andere Ethnizitäten in Spielen sollen – soweit im Rahmen der Narrative und Visual Culture möglich – Diversität symbolisieren und repräsentieren. Dies ist alles bekannt und erforscht. Doch häufig kann man sich bei genauerem Hinsehen die Frage stellen, ob eher Authentizität oder Stereotype in der Repräsentation Vorrang haben. Der Grund könnte dabei auf der Produktionsseite liegen.
Diversifikation in der Produktion digitaler Spiele
Dreht man nämlich die Perspektive von der Rezeption zum Kommunikator, stellt sich die Frage, wie man genau in der Produktion die Authentizität sicherstellen kann. Die Grundprämisse dieses Beitrags lautet, dass diversifizierte Entwicklungsteams mit unterschiedlichen demografischen Charakteristika wie biologisches Geschlecht, Gender (soziologisches Geschlecht), Abstammungen, Ethnizitäten (kulturelle Identitäten) oder sexuellen Orientierungen in der Lage sind, authentisch und für ein disperses Publikum bessere Produkte zu entwickeln. Natürlich kann man die Prämisse infrage stellen, geht man allein von der Frage der Fähigkeiten und Fertigkeiten ohne Berücksichtigung der Diversifikation aus. Aber schon 2006 haben Ricarda Bouncken und ich auf die hohe Bedeutung interkultureller Teams für einen möglichen internationalen Erfolg auf empirischer Basis hingewiesen. Die aktuelle, empirisch vergleichende Studie der International Game Developers Association (IGDA) mit dem Titel „Developers Satisfaction Survey 2014 & 2015: Diversity in the Game Industry“, jüngere Presseveröffentlichungen des britischen Guardian und der amerikanischen Newsweek bestärken und erweitern diese Annahme bzw. belegen auch die herrschenden Ungleichgewichte und Ungleichbehandlung.
Immer noch stellen sich nordamerikanische und Teile westeuropäischer Produktionen als von weißen, heterosexuellen Männern aus der Mittelschicht dominierte dar. Bricht man es nur einmal auf die biologische Geschlechterfrage runter, ist sowohl der Anteil der Frauen in der Industrie digitaler Spiele insgesamt – in Deutschland bei 27 Prozent, international bei 20 bis 25 Prozent – als auch in Führungspositionen gering, sieht man dann noch die schon Mitte der 2000er Jahre kritisierte Verteilung, bei der Frauen eher Marketing- und PR- als Produktionsaufgaben wahrnehmen. Dabei ist bei einer sich seit Jahren ausdifferenzierenden, dispersen Spielergemeinschaft die Investition in Diversifikation wahrscheinlich sehr sinnvoll. Die Journalistin Chella Ramanan schreibt im März 2017: „Die Forschung zeigt kontinuierlich, dass diversifizierte Teams innovativer sind; unterschiedliche Herkunft und Hintergründe differenzierte Ideen, Ansätze und Lösungen entwickeln helfen. In einer Industrie, in der Innovation hochgeschätzt und gesucht wird, scheint ein Überschreiten der bisherigen demografischen Zusammensetzung wie eine absolute Notwendigkeit. Dabei geht es nicht nur darum, das Richtige zu tun, sondern vor allem um eine Investition in die Zukunft der Videospiele.“
Allerdings: Die These ist leicht aufgestellt, weit spannender aber die Frage, wie man genau für diese Unterschiedlichkeit, soll sie nicht durch Zufall generiert werden, in den Entwicklungsteams Sorge tragen will. Einer der wesentlichen Schlüssel zum Erfolg erscheint hier die Ausbildung bzw. die Stärkung der Akzeptanz von Diversifikation als Stärke. Immer wieder erscheint dann der Hinweis auf MINT-Fächer und dass man mehr Mädchen hierfür begeistern soll. Dies ist aber nur Teil der Wahrheit, greift zu kurz und bleibt oberflächlich.
Diversifikation als Herausforderung in und für die Ausbildung
Für einen hohen Zielerreichungsgrad bedarf es in der Ausbildung, neben fachlichen Inhalten, einer gezielten Sensibilisierung. Es kommt auf das Lernen in interkulturellen bzw. diversifizierten Teams an. Ansatzpunkt muss sein die Diversifikation a) in Teams zu leben und zu erfahren, sprich die Stärken zu erkennen und intelligent zu nutzen sowie b) Mut zur Offenheit zu machen. D. h. im Umkehrschluss, dass progressive Organisationsformen der Wissensvermittlung sich nicht nur mit fachlichen Fragen beschäftigen sollten, sondern die sozialen Komponenten inklusive praxisnaher Erfahrungen integrativ behandeln. Am Beispiel des regelmäßigen Austauschprogrammes des Rochester Institute of Technology und der Universität Paderborn kann man in der Praxis deutlich sehen, dass der interkulturelle Austausch immer dann besonders fruchtbar verläuft, wenn gemeinsam in hochdiversifizierten Teams Spiele in kompakten Drei-Tages-Game-Jams entwickelt werden. Der Einfluss der verschiedensten, teilweise gezielt zusammengestellten Teams erfordert die Notwendigkeit, sich schnell zu arrangieren. Die Ergebnisse zeugen von erstaunlich hoher Kreativität und Vielfalt. Eine offene und jederzeit integrative Grundhaltung kann dabei die Qualität und die damit verbundene interkulturelle Kommunikation stärken. Internationale Austauschprogramme sind also ein Beispiel für einen hilfreichen Baustein und die Rückkopplung der Ergebnisse in die Industrie, die daraus die richtigen Schlüsse ziehen sollte. Verkürzt: Erfolgreiche Diversifikation bedingt intelligente systemische Integration, sodass man eigentlich nicht mehr hierüber schreiben muss und sichert die Zukunft einer Innovationsindustrie.
Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2017.