Kulturelle und politische Bildung: Kein Gegensatz, sondern Möglichkeit zu sinnvoller Ergänzung

Das Beispiel des Bundesarbeitskreises ARBEIT UND LEBEN

Kunst, besser gesagt eine Theaterperformance, war Fix- und Endpunkt des Projekts „Rede mit mir – Boarding Europa“. Partner waren im Jahre 2010, dem Kulturhauptstadt-Jahr des Ruhrgebiets, die Ruhrfestspiele Recklinghausen. Beteiligt waren junge Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und junge Erwachsene mit südosteuropäischem Migrationshintergrund aus Gelsenkirchen, Arnstadt und Görlitz; beteiligt waren daneben eine Gruppe junger Türkinnen und Türken aus Istanbul sowie junge Menschen aus Pécs in Ungarn, letztere mit einer ungarndeutschen Herkunft. Mit Hilfe erfahrener Regisseure sollten die jungen Leute eigene Ideen und Geschichten ausprobieren und in Szene setzen; Geschichten von Integration und Migration, Geschichten, in denen es um Ankommen und Bleiben, Distanzierung und Vertrautwerden, den Umgang mit dem Fremden, aber auch um das Bewusstwerden des Eigenen ging. Auf spezifische künstlerische Vorerfahrungen kam es dabei nicht an, wohl aber auf Spontaneität und Authentizität, auf Toleranz und Kooperationsbereitschaft. Dieses Theater, das den Alltag und die gesellschaftlichen Lebensbezüge von jungen Leuten zum Thema machte, fand begeisterte Aufnahme bei den Zuschauern und stärkte das Gefühl der Selbstwirksamkeit bei den jungen Akteurinnen und Akteuren sowie Achtung und Respekt vor den Lebensweisen und -entwürfen ihrer Mitspielerinnen und Mitspieler.

 

Dem kulturellen Gedächtnis widmete sich das Projekt „Jubiläumskinder – Die DDR und ihre friedliche Revolution im „kulturellen Gedächtnis“ der 1989 geborenen ostdeutschen Jugend“. Ausgangspunkt dazu war die Frage, ob es wirklich ohne Belang sei, wo in Deutschland man nach der Wende aufgewachsen war. Das 20-jährige Wiederkehren der friedlichen Revolution im Jahr 2009 war der Anlass, eine besondere Generation, ihre Erfahrungen und Empfindungen in den Blick zu nehmen. Gemeint waren die „Jubiläumskinder“, die damals um die 20-jährigen jungen Männer und jungen Frauen, die erste Generation der neuen Bundesländer, die in das wiedervereinte Deutschland hineingewachsen war. Ausgehend von wissenschaftlichen Studien und kultursoziologischen Beobachtungen wurde der Hypothese nachgegangen, ob und wenn ja in welcher Weise in dieser Generation insbesondere der Alltag und die sozialpolitischen Maßnahmen der SED-Diktatur „verklärt würden“ und somit (unreflektiert) im „kulturellen Gedächtnis“ weiterlebten. In Hinblick darauf hat ARBEIT UND LEBEN Angehörige der Jubiläumskinder-Generation im Rahmen eines Wettbewerbs motiviert, ihre spezifischen Erinnerungen, Erfahrungen, Bewusstseinsmomente und Ausdrucksformen darzustellen – nicht in Form von schriftlichen Reflexionen, sondern mit Hilfe kreativer und künstlerischer Mittel, die dann in einer Ausstellung gezeigt wurden. In diesem Projekt hat ARBEIT UND LEBEN ganz bewusst politische mit kultureller Bildung verbunden.

 

Der gleichen Verbundidee folgt: Musik im „Roten Oktober“: hören und neu erleben – politisch-historisch erinnern – 100 Jahre danach. Dieses Projekt widmet sich der russischen Oktober-revolution, die in der Stalin-Diktatur überaus blutig endete, aber gerade in kultureller Hinsicht so ganz anders, weit hoffnungsvoller begonnen hatte – nämlich als buchstäblich weltbewegender Ausbruch von Kreativität und künstlerischem Ideenreichtum, von neuen Zugängen, Formaten und Ausdruckformen in einer ganzen Reihe von Künsten. Eine Fülle von begabten und engagierten Künstlerinnen und Künstlern war in dieser revolutionären Phase zur Stelle. Sie verstanden sich insofern als Avantgardisten, als sie in und mit ihren Werken die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufheben wollten. Auch mit Hilfe der Kunst den „neuen Menschen“ zu kreieren, das war ihr Traum, der schon bald zum Alptraum werden sollte – auch für viele von ihnen selbst. Dieses Verbundprojekt von politischer und kultureller Bildung widmet sich einer bislang weniger beachteten Kunstsparte, der neuen Musik im „Roten Oktober“, ihrer künstlerischen Originalität genauso wie ihren gesellschaftlichen Entstehungs- und politischen Rahmenbedingungen. Das Projekt führt in Diskussionsforen und anschließenden Aufführungen in innovativer Weise musikalisches Erleben und politisch-historische Reflexion zusammen. Das Nachdenken bleibt durch das musikalische Hörerlebnis nicht abstrakt, sondern gewinnt an unmittelbarer Authentizität, das ästhetische Erleben erhält in der historischen Vergegenwärtigung eine neue Dimension der Orientierung.

 

Wie weniges Andere begründet das Projekt „Musik im Roten Oktober“ den Mehrwert, den die Verbindung von kultureller und politischer Bildung gerade auch für letztere besitzt.

 

In der Bildungsarbeit von ARBEIT UND LEBEN ist das seit langem erkannt und wird – wie die Beispiele zeigen – erfolgreich praktiziert. Nicht zuletzt war es 1948 die Gründungsidee von ARBEIT UND LEBEN, durch politische und kulturelle Bildung einen aktiven Beitrag zum Aufbau der Demokratie zu leisten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im April 2018.

Barbara Menke
Barbara Menke ist Bundesgeschäftsführerin von ARBEIT UND LEBEN.
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