„WOW – Kunst für Kids“

Anmerkungen zu einer Studie

„Bildung wird kulturlos, sobald sie sich von Kunst getrennt hat.“ (Friedrich Nietzsche)

 

Im Juni 2008 legte der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) nach fast zweijährigen Recherchen eine Studie vor, die untersuchte, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen professionelle Künstlerinnen und Künstler in Deutschland in der ästhetischen Bildung aktiv sind. Die Initiative zu dieser Studie ging von Frau Dr. Gisela Steffens aus, der damaligen Leiterin der Abteilung für Kulturelle Bildung im Bundesministerium für Bildung und Forschung, von dem die Studie finanziert wurde.

 

Grundlage für die Erhebung der Daten war ein Fragebogen, der sich nicht an Schulen, an Jugend-Kunstschulen, Volkshochschulen oder andere entsprechende Einrichtungen richtete, sondern direkt an die Künstlerinnen und Künstler. Der BBK verschickte den nach einem Pretest sorgfältig entwickelten Fragebogen nicht nur an seine mehr als 10.000 Mitglieder, sondern auch an anderweitig organisierte Kolleginnen und Kollegen. Ergänzend dazu wurde bei den Landes- und Regionalverbänden des BBK nachgefragt, wie viele der dortigen Künstlerinnen und Künstler überhaupt Projekte mit Kindern und Jugendlichen durchführen. Auf diese Weise ließ sich verifizieren, dass der Rücklauf der Fragebogen mit etwa 40% außerordentlich hoch war und damit wissenschaftlichem Standard mehr als genügte.

 

Die Expertise zu den Ergebnissen der Umfrage wurde ergänzt durch Berichte über 28 Projekte, die – regional verteilt in allen Bundesländern – besucht und ausführlich beschrieben wurden.

 

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass es in Deutschland eine überaus vielfältige Szene auf diesem Gebiet gibt, sie zeigte aber auch, dass diese Vielfalt einem überdurchschnittlichen Engagement von Künstlerinnen und Künstlern zu verdanken ist, die in der weit überwiegenden Zahl der Fälle keineswegs angemessen honoriert werden, obwohl die große Mehrheit von ihnen (86,4%) ein akademisches Studium vorweisen konnte. In dem hier vorgelegten kurzen Abriss über die Studie lassen sich natürlich nicht alle Ergebnisse abbilden, deshalb soll nur auf einige Aspekte eingegangen werden, die besondere Aufmerksamkeit verdienen:

 

  • Projekte ästhetischer und kultureller Bildung, soweit sie von professionellen Künstlerinnen und Künstlern durchgeführt werden, finden keineswegs hauptsächlich in den Metropolen und Großstädten statt: 60,4% werden in Kleinstädten und im ländlichen Raum realisiert.
  • Überraschend ist, in welcher räumlichen Umgebung die Projekte stattfinden: Die meisten werden in Schulen realisiert, fast 36%, in Jugendkunstschulen 17,8%, in Museen 8,9%, auffallend viele in den Ateliers der Künstlerinnen und Künstler, 24,4%. Unerwartet viele aber, 44,1 %, werden an anderen Orten durchgeführt, etwa im Freien, am Wasser, in einem Steinbruch, in Produktionsstätten von Firmen, um nur einige Beispiele zu nennen – ein erkennbares Muster lässt sich aus der Statistik nicht ablesen, was für das kreative Engagement der Künstlerinnen und Künstler spricht. Das Überschreiten der 100% ist auf Mehrfachnennungen zurückzuführen, wenn etwa ein Projekt im Atelier stattfindet, was für die Kinder besonders attraktiv ist, aber in Kooperation mit einer Schule organisiert wird. Unter diesem Aspekt betrachtet, liegt der Anteil der von Schulen organisierten Projekte deutlich über 50%. Daher macht es Sinn, die entsprechende Praxis in den Schulen näher zu beleuchten.
  • Die meisten Schulprojekte finden in Grund- und Hauptschulen statt, 57,5%, in Gymnasien 25,7%, in Realschulen 16,0%, in anderen Schularten 16%, in Kindergärten immerhin 16%. Und diese Projekte werden vor Ort keineswegs als Konkurrenz oder gar Ersatz des regulären Kunstunterrichtes gesehen, vielmehr als sinnvolle Ergänzung. Dies wird schon dadurch deutlich, dass die Künstlerinnen und Künstler bei ihren Projekten fast ausschließlich (96%) in den Techniken arbeiten, die sonst auch für ihre künstlerische Produktion maßgeblich sind.
  • Allerdings bildet sich die Situation in den Bundesländern höchst unterschiedlich ab: zwar gibt es in etlichen Ländern spezielle Programme, wirklich flächendeckend funktionieren sie aber eigentlich nur in Nordrhein-Westfalen und in Berlin, weil sie dort fest installiert sind. In den übrigen Bundesländern sind die entsprechenden Programme den Schulleitungen oft gar nicht bekannt, häufig geht die Initiative von engagierten Eltern aus.
  • Immerhin gibt es in manchen Bundesländern Rahmenvereinbarungen mit den BBK-Landesverbänden, die dann solche Projekte an Künstlerinnen und Künstlern vermitteln wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, in Niedersachsen gibt es eine solche Vereinbarung mit den Jugendkunstschulen. Andere Länder haben auf die Anfrage des BBK dagegen entweder abschlägig oder ausweichend geantwortet.
  • Ungleichmäßig verteilt sind die Ausgaben der öffentlichen Hand für solche Projekte: obwohl die Kulturhoheit bei den Ländern liegt, beträgt ihr Anteil bei der Projektförderung lediglich 29,9%, der Bund liegt bei 5,6%, die EU bei 3,7%. Den Löwenanteil steuern die Kommunen bei mit 42,6%. Das bedeutet, dass immerhin 18,2% der Projekte von anderen Einrichtungen finanziert werden, etwa von Stiftungen, Vereinen, aber auch von Firmen, wenige – nur 14,8% finanzieren sich über eine Teilnahmegebühr.
  • Da die meisten Projekte von der öffentlichen Hand oder von anderen Einrichtungen finanziert werden, ist es keineswegs so, dass ausschließlich der Nachwuchs aus dem Bildungsbürgertum in den Genuss solcher Veranstaltungen kommt, wie häufig angenommen wurde. Zwar ist dieser Anteil mit etwa 40% relativ hoch, aber 70% der Kinder kommen aus sozial benachteiligten Familien (33,3%) und aus Familien mit Migrationshintergrund (37,8%). Der Überhang erklärt sich daraus, dass es offensichtlich sowohl bei den Familien mit schwacher Einkommenssituation als auch bei den Familien mit Migrationshintergrund einen Anteil mit gehobenem Bildungsstand gibt.
  • Überdies ist die relative Ausgewogenheit vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass ein beträchtlicher Teil der Projekte in Kooperation mit Grundschulen stattfindet, wodurch die Gesamtheit einer Altersgruppe erfasst wird.
  • Bei der Frage, ob sich im Lauf der Projekte Veränderungen im sozialen Miteinander der Kinder und Jugendlichen beobachten ließen, hielten sich die Künstlerinnen und Künstler auffallend zurück, Indiz dafür, dass sie sich keineswegs zu vorschnellen Antworten hinreißen ließen. Umso größeres Gewicht dürfte deshalb den übrigen Antworten beigemessen werden, von denen 93,5% eine durchaus positive Auswirkung ausmachten.
  • Die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler bei solchen Projekten wird zwar außerordentlich geschätzt, aber diese Wertschätzung bildet sich bei der Honorierung keineswegs ab, im Gegenteil: in einem Drittel der Fälle wird unter 20,- Euro pro Stunde bezahlt, ein einem weiteren Drittel zwischen 20,- und 25,- Euro. Der zeitliche Aufwand für die Materialbeschaffung, für Vor- und Nachbereitung, für die Präsentation der Ergebnisse etc. wird meistens – in 81% der Fälle – als selbstverständliche Zusatzleistung ohne Honorar erwartet.
Werner Schaub
Werner Schaub ist Vorsitzender des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK).
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