Jedem Kind ein Instrument

Inhalte und Ziele des Programms
Das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ hat im Ruhrgebiet mittlerweile seinen Einzug auf rund 700 Schulhöfen gehalten und ist aus dem Schulalltag nicht mehr wegzudenken. „Jedem Kind ein Instrument“ – kurz JeKi – ist ein musikpädagogisches Angebot für Grundschulen, welches in seiner Dimension nach wie vor einzigartig ist. Ziel des Programms ist es, jedem Kind der Region die Möglichkeit zu bieten, ein Musikinstrument seiner Wahl in der Grundschule zu erlernen. Auf Breitenförderung angelegt, sollen damit alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft oder ihrem familiären Umfeld, erreicht werden. Der Unterricht macht mit musikalischer Vielfalt vertraut, fördert das Zusammenspiel sowie Kreativität, Ausdauer, Wahrnehmungsfähigkeit und Teamgeist. Im Mittelpunkt steht dabei das aktive Musizieren miteinander. Das Programm hat seinen Ort in Familien, in den Grundschulen und in der kommunalen Gemeinschaft.

 

Im ersten Schuljahr entdecken die Kinder im Klassenverband auf elementare Weise die Welt von Takt, Rhythmus und Noten. Das erste JeKi-Jahr dient insbesondere der Vorstellung der verschiedenen Musikinstrumente. Die Kinder lernen eine breite Palette von Tonwerkzeugen kennen, die von Gitarre, Geige und Blockflöte über Querflöte, Klarinette, Bratsche, Cello, Kontrabass, Horn, Trompete, Posaune und Akkordeon bis hin zu Bağlama, Mandoline und diversen Schlaginstrumenten reicht. Unterrichtet werden die Erstklässler dabei im sogenannten „Tandem“: Die Musikschullehrkraft, die dafür in die Grundschule kommt, unterrichtet die Stunde gemeinsam mit der Grundschullehrkraft. Die Jeki-Stunde ist im Stundenplan verankert und ergänzt den regulären Musikunterricht. Die Teilnahme ist für alle Kinder verpflichtend und kostenfrei. So erreicht JeKi tatsächlich alle Schulanfänger unabhängig ihrer finanziellen Voraussetzungen oder Herkunft.

 

Ab dem zweiten Schuljahr erhalten die Kinder in Kleingruppen von durchschnittlich fünf Teilnehmern Unterricht auf dem von ihnen ausgewählten Instrument. Die Instrumente sind kostenlose Leihgaben nicht nur für den Unterricht, sondern auch für das Üben zu Hause. Der Unterricht findet einmal pro Woche statt und wird von Lehrkräften der Musikschule in den Räumlichkeiten der Grundschule erteilt. Im dritten und vierten Schuljahr steht neben dem Instrumentalunterricht auch das Spiel im schuleigenen Orchester „Ensemble Kunterbunt“ auf dem Programm. In einer weiteren Stunde pro Woche üben die Kinder hier das Zusammenspiel mit vielen unterschiedlichen Instrumenten.

 

Im ersten Schuljahr ist die Teilnahme kostenfrei. Ab dem zweiten Schuljahr fallen monatliche Teilnahmebeiträge von 20 € pro Kind an, ab der dritten Klasse sind es 35 €. Dabei soll eine finanziell schwierige Situation in einer Familie kein Grund sein, bei „Jedem Kind ein Instrument“ nicht mitzumachen oder sogar aufzuhören. Deshalb gibt es umfangreiche Beitragsbefreiungen und -ermäßigungen. Rund zwei Millionen Euro der Landesmittel werden pro Jahr allein für Sozialbefreiungen und Beitragsermäßigungen aufgewendet.

 

Die Entstehungsgeschichte des Programms
Seinen Anfang nahm das Programm in Bochum: Bereits im Jahr 2002 ließen sich der damalige Leiter der Musikschule Bochum und die Geschäftsführung der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treuhand e.V. von einem ähnlichen Projekt der Rudolf-Steiner Schule in Bochum inspirieren und hatten die Idee zu „Jedem Kind ein Instrument“. Den Grundstein für das heutige Erfolgsmodell legte schließlich der Versteigerungserlös einer Stradivari-Geige, die eine wohlhabende Dame der GLS Treuhand e.V. schenkte. So konnte JeKi im Jahr 2003 zunächst als lokales Projekt an rund 40 Bochumer Grundschulen starten.

 

Das Konzept überzeugte und erregte zudem auch überregional Aufsehen: 2006 wurde das Projekt von der Kulturstiftung des Bundes, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treuhand e.V. als Kulturhauptstadt-Projekt ausgewählt. Mit neuem Konzept und unter der Trägerschaft einer eigens dafür gegründeten Stiftung mit Sitz in Bochum startete das Projekt im Schuljahr 2007/08 im gesamten Ruhrgebiet und wurde auf 219 Grundschulen und 34 Musikschulen in 34 Kommunen ausgeweitet. Rund 7.000 Erstklässler nahmen im ersten Jahr an JeKi teil.

 

In einer vierjährigen Aufbauphase verzeichnete JeKi einen rasanten Aufwuchs: So wurden im Schuljahr 2010/11 in 42 Kommunen des Ruhrgebiets gemeinsam mit 56 Musikschulen in kommunaler und freier Trägerschaft und 655 Grund- und Förderschulen rund 55.000 Kinder über JeKi in die Welt der Musik eingeführt. Und statt das Schicksal vieler Kulturhauptstadt-projekte zu erleiden und nach dem Boom der Kulturhauptstadtphase in der Versenkung zu verschwinden, wurde JeKi von Beginn an nachhaltig geplant. Ab August 2011 übernahm das Land Nordrhein-Westfalen übernahm die alleinige Förderung. Damit wurde das zum Programm gewordene Projekt in den Dauerbetrieb überführt. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen stellt dafür seitdem jährlich rund 8 Millionen Euro zur Verfügung. Da rund 80 % der Kommunen im Ruhrgebiet das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ anbieten, ist bereits ein sehr hoher räumlicher Abdeckungsgrad erreicht. So nahmen im Schuljahr 2012/13 rund 60.000 Kinder an JeKi teil.

Der Erfolg von JeKi lässt sich auch mit folgenden Zahlen belegen: Vom Schuljahr 2007/08 bis zum Schuljahr 2012/13 haben insgesamt rund 150.000 Kinder am Programm teilgenommen. Auch jene Kinder, die nach Ablauf des obligatorischen ersten Jahres nicht weitergemacht haben, haben in diesem ersten JeKi-Jahr einmal wöchentlich in ihrer Schule eine Begegnung mit Musik und Musikinstrumenten erlebt. Von 42 Kommunen bieten 19 das Programm in allen örtlichen Grundschulen an; weitere fünf erreichen einen Abdeckungsgrad von 90%, darunter die drei großen Ruhrgebietsstädte Dortmund, Essen und Bochum.

 

Die pädagogischen Herausforderungen des Programms
Die gelingende Kooperation von Grundschule und Musikschule stellt einen wichtigen Eckpfeiler zur Umsetzung des JeKi-Programms dar. Die Tendenz, dass Musikschullehr-kräfte im Rahmen von außerschulischen Kooperationen verstärkt auch eine spezifische Expertise für das Unterrichten von mehreren Kindern mit sehr unterschiedlichen Lernvoraus-setzungen benötigen, tritt durch das JeKi-Programm zwar besonders deutlich zutage, ist aber kein JeKi-spezifisches Phänomen. Außerschulische Kooperationsprojekte werden für die Musikschulen immer wichtiger und bedingen den Wandel des Berufsbilds der Musikschullehrkraft. Diese muss sich neue Tätigkeitsfelder erschließen. Viele Lehrkräfte empfinden den Instrumentalunterricht in heterogenen Gruppen als eine Herausforderung, der sie sich nicht ausreichend gewachsen fühlen. Benötigt werden dementsprechend angemessene Aus- und Fortbildungsformate, um die Lehrkräfte entsprechend zu begleiten. Die Stiftung beschäftigt sich von Beginn an mit den vielfältigen Anforderungen, die im Rahmen von JeKi an die Lehrkräfte gestellt werden und bietet dazu ein eigenes Fort- und Weiterbildungsangebot an, das kontinuierlich den Bedürfnissen der Praxis angepasst wird.

 

Zur Gestaltung der Unterrichtsstunden steht den Lehrkräften zudem ein eigens von der Stiftung gemeinsam mit dem Schott Verlag herausgegebenes Unterrichtsmaterial zur Verfügung, das den Rundumschlag von Heterogenität der Kinder, Gruppenunterricht, integriertem Ensemblespiel und didaktischer Konsistenz über die verschiedenen Instrumentengruppen hinweg wagt. Von einem praxiserfahrenen Autorenteam erstellt, liegen bis heute bereits 27 Einzelbände vor, weitere sind in Arbeit.

 

Auch in der Forschung hat man sich intensiv mit dem JeKi-Programm beschäftigt: So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2009 innerhalb des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung einen interdisziplinären Forschungsschwerpunkt zu „Jedem Kind ein Instrument“ in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg aufgelegt. Die Forschungsergebnisse wurden in einer von der Koordinierungsstelle des Forschungsschwerpunkts an der Universität Bielefeld herausgegebenen Broschüre publiziert. Diese ist als Download auf der von der Koordinierungsstelle eingerichteten Homepage abrufbar (www.jeki-forschungsschwerpunkt.de). Die Erkenntnisse aus der Forschung sind für die Stiftung Jedem Kind ein Instrument von großer Relevanz. Sie wertet diese für sich aus und wird sie für die inhaltliche Weiterentwicklung und Optimierung des Programms nutzen.

 

Die Strahlkraft des Programms und Ausblick
Welcher Impuls von JeKi ausgeht, zeigen die zahlreichen bundesweiten Folgeprojekte, die in den letzten Jahren entstanden sind und sich inhaltlich an JeKi aus dem Ruhrgebiet orientieren. Die landesgeförderten musikpädagogischen Programme, die den Namen „Jedem Kind ein Instrument“ führen, haben sich im „Verbund Jedem Kind ein Instrument Deutschland“ zusammengeschlossen, um sich regelmäßig über konzeptionelle Entwicklungen auszutauschen. Neben JeKi aus dem Ruhrgebiet sind die JeKi-Initiativen der Länder Hamburg, Hessen, und Sachsen mit von der Partie. Zudem hat das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW einige sogenannte JeKi-Modellprojekte außerhalb des Ruhrgebiets in NRW aufgelegt und fördert diese. Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es JeKi bis nach Kanada verschlagen hat: Dort gibt es die Initiative „An Instrument for every Child“ (http://aninstrumentforeverychild.ca). Die Landesregierung NRW strebt überdies an, JeKi langfristig auf ganz Nordrhein-Westfalen auszudehnen und prüft dies derzeit aus inhaltlicher und finanzieller Sicht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.

Birgit Walter
Birgit Walter ist Vorstand Stiftung Jedem Kind sein Instrument.
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