Neben der Erweiterung und Differenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit stellt die Ausbildung von Kompetenzen im Bereich des bildnerischen Gestaltens die Basis des Kunstunterrichts dar. Der Kunstunterricht zielt im gestalterischen Bereich auf die Fähigkeit zum eigenständigen Entwickeln bildnerischer Lösungen ab – von ersten Ideen, Skizzen und Entwürfen sowie Experimenten im Ausführen bis hin zum Präsentieren des Ergebnisses. Durch den vielfältigen Umgang mit Materialien, Werkzeugen und Gestaltungsverfahren erwerben die Schülerinnen und Schüler Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit technischen und bildnerischen Mitteln. Sie werden befähigt, frei zu experimentieren und die Ergebnisse auf ihre Wirkung hin zu beurteilen. Sie lernen, die Art der Gestaltung gezielt nach der beabsichtigten Aussage auszurichten und verschiedene Informationen, Konzeptionen und Intentionen zu veranschaulichen. Sie erkennen jedoch auch, dass gestalterische Prozesse nicht zwingend linearen Ursache-Wirkung-Verhältnissen folgen müssen, sondern dass prozessgebundene Material- und Formwahrnehmungen die Zielrichtung des Prozesses verändern oder gar revidieren können. Im Besonderen erkennen sie, dass unterschiedliche Bildkonzeptionen – auch vor dem Hintergrund ästhetischer Normen und möglicher geschmacklicher Vorprägungen – gleiche Gültigkeit haben können.
Das bildnerische Gestalten im Fach Kunst ist nicht nur ergebnis-, sondern in besonderem Maße prozessorientiert angelegt. Dieses umfasst auch die Reflexion als kontinuierlichen Bewertungsvorgang. Sachbezogene Einsichten, methodische Fähigkeiten und selbstbezogene Erlebnisse wirken somit im konkreten gestalterischen Handeln unmittelbar aufeinander und entwickeln einander fort. Prozesse der Gestaltung, der Wahrnehmung und der Reflexion sind deshalb miteinander verschränkt. Das Ziel des Kunstunterrichtes ist es, diesen Integrationszusammenhang zur Erreichung fachlicher Ziele zu nutzen und ihn den Schülerinnen und Schüler bewusst zu machen. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, auch über Zwischenergebnisse und unerwartete Lösungen zu reflektieren und Lösungen anderer wertzuschätzen.
Der Kunst- wie auch der Musikunterricht sind gegenwärtig einem starken Legitimationsdruck ausgesetzt. Obwohl in Sonntagsreden hoch gelobt, findet auf der Stundentafel der Schule ein harter Verdrängungswettbewerb statt, den in der Regel die „Hauptfächer“ zu ihren Gunsten entscheiden. Die Logik in der Zeit nach Veröffentlichung der ersten PISA-Studie (2001) lautet: Gerade die Fächer, die besonders schlecht abschnitten, bekommen noch mehr Stunden zugewiesen. Auch angesichts des Fachkräftemangels gerade in den künstlerisch-musikalischen Fächern gibt es in einigen Bundesländern Bestrebungen, mehrere Unterrichtsfächer, deren Gegenstandsbereich im Wesentlichen – oder zumindest in Anteilen – ein künstlerischer ist, z.B. Musik, Kunst und Theater, zu einem „Lernbereich Künste“ zusammenzufassen. Über die fachübergreifende Unterrichtsgestaltung hinaus wird ausgeführt, dass die Zielsetzungen des Lernbereichs, der inhaltliche Zusammenhang zwischen den einbezogenen Fächern und der Anteil der jeweiligen Fächer in schulinternen Curricula festgelegt werden sollen.
Soweit sich Schulen über Fächer organisieren, sind Bestrebungen abzulehnen, die Künste in einem gemeinsamen Kultur-Fach oder in einem Lernbereich aufgehen zu lassen, um die einzelnen Fächer zu ersetzen. Es kann keine inhaltlichen Argumente geben, die solche Bestrebungen bzw. curriculare Vorgaben für den ästhetisch-expressiven Bereich rechtfertigen würden, nicht aber auch für den naturwissenschaftlichen, sprachlichen oder historisch-gesellschaftlichen Bereich. Der Status als einzelne Fächer mit eigenen Fach- und Jahrgangsprofilen sowie konsekutiv aufbauenden Curricula muss in jedem Fall erhalten bleiben. Die Rezeption und Produktion der ästhetischen (Welt-)Zugänge sind in den Künsten verschieden. Sie setzen eine jeweils eigenständige fachliche und pädagogische Kompetenz und Professionalisierung durch ein Fachstudium und Referendariat voraus.
Wie für alle anderen Fächer auch, ist es Aufgabe der künstlerisch-musikalischen Fächer, sich zu öffnen: für neue künstlerische Entwicklungen, für weitere Kunstformen sowie für ergänzende inner- und außerschulische Kooperationen. Der Projektgedanke eines „Lernbereichs Künste“ ist als Methode periodisch sicher möglich, sofern solche „Projekte“ die wöchentlichen Fachunterrichtsstunden nicht ersetzen und sich auf die jeweiligen Rahmenpläne beziehen. Auch Projekte und Kooperationen mit außerschulischen Partnern aus dem Sektor der kulturellen Bildung sind nicht unwichtig, können aber ebenso wenig den grundständigen Unterricht in den künstlerisch-musikalischen Disziplinen ersetzen.
Gleichzeitig stehen die künstlerisch-musikalischen Schulfächer vor weiteren Herausforderungen: Mit Blick auf die bildungspolitischen Zerreißproben und auf die Qualität des künstlerisch-musikalischen Fachunterrichts ist die kontinuierliche Klärung didaktischer Dimensionen und Zielvorstellungen, aber auch ein nicht allein kompetenzorientierter Bildungsbegriff notwendig. Es gilt, künstlerische Entwicklungen (auch in den Nachbardisziplinen) zu beachten und aufzunehmen, einen weiten Bildungs- und Kulturbegriff sicherzustellen, sich für neue Praxen und Projekte zu öffnen sowie Inhalte und Methoden zu erweitern. Hier sind im Besonderen auch die Bildung und die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern gefragt, die gegenwärtig allerdings eher geschmälert als intensiviert werden.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.