Ja, es hat sich viel verändert. Die Zeiten, als das Filmmuseum München z.B. 1963 als immerhin erstes von der Stadt betriebenes kommunales Kino in Deutschland – mit eigens dafür eingerichtetem Saal – sein Kinoprogramm noch mit schreibmaschinengetippten Handzetteln bekanntmachte und russische oder japanische Filme in der Originalfassung ohne Untertitel zeigte, sind lange vorbei. Heute stellen wir kommunalen Kinomacherinnen und Kinomacher eigens elektronische Untertitel für fremde Sprachfassungen her und sind gleichzeitig zu Marketingexperten geworden, pflegen die eigene Website, nutzen Social-Media-Kanäle wie Twitter und Facebook, gestalten mit Grafikprogrammen Kinoprogramme und Plakate oder halten mit dem Laptop Einführungen vor der Filmvorführung. Diese technische Entwicklung birgt durch die neuen Mittel der Digitalisierung unendlich viele Vorteile und die Form der Präsentation eines Veranstaltungsbetriebes muss fraglos zeitgemäß sein. Die Kunst besteht nun darin, nicht nur auf dieser Klaviatur zu spielen, sondern auf die Inhalte – das Filmprogramm – zu setzen.
„Andere Filme anders zeigen“
„Andere Filme anders zeigen“ lautet das Motto der Kommunalen Kinos seit ihrer Gründung in den 1970er Jahren. Die Kommunalen Kinos, von denen die meisten im Bundesverband kommunale Filmarbeit e.V. (BkF) zusammengeschlossen sind, bilden einen äußerst heterogenen Verbund, der sowohl aus großen Kinos und Filmmuseen in den Großstädten besteht als auch aus Vereinen und ehrenamtlich betriebenen Spielstätten auf dem Land ohne eigenen Kinosaal mit zum Teil kommunaler Förderung. Die Mitgliedskinos zeigen nicht einfach nur Filme, die aktuell von den Verleihern angeboten werden, sondern konzipieren je nach Kino, Möglichkeit und gesellschaftlicher Wetterlage thematische Filmreihen (z.B. Filme zu Europa, neues arabisches Kino, Kurzfilmprogramme) und Retrospektiven. Bestenfalls umfasst das Programmspektrum mehrere Jahrzehnte und auch außereuropäische Länder. Film ist im Übrigen nicht nur der klassische Kinospielfilm, sondern auch der Dokumentarfilm in kurzer und langer Form, der Experimentalfilm, der mit Tricksequenzen und völlig anderen Erzählformen arbeiten kann, oder auch der Industrie-, Lehr- und Werbefilm.
Je einfallsreicher und individueller das Kinoprogramm konzipiert ist, desto schwieriger wird es gewöhnlich, für diese Filme auch ein Publikum zu finden. Um die Filme zu vermitteln, stehen sie in den Kommunalen Kinos häufig in einem besonderen gesellschaftlichen oder historischen Kontext und werden von Filmhistorikerinnen oder anderen Experten eingeführt und diskutiert.
Die Digitalisierung: Fluch und Segen in Programmgestaltung und Vorführpraxis
Seit die Digitalisierung vor rund zehn Jahren in den Kinos Einzug hielt, hat sich die Möglichkeit, auch historische Filme zu zeigen, enorm vergrößert. Filmkopien, die als wertvolle Einzelstücke nur noch in Ausnahmefällen von Archiven oder Studios ausgeliehen wurden, sind nun teilweise in digitalisierter und restaurierter Form erhältlich, Retrospektiven können so oft vollständig und in besserer Bild- und Tonqualität gezeigt werden. Doch dies betrifft überwiegend die kanonisierten Werke der Filmgeschichte. Zwar gehören verschrammte Kopien mit Bildsprüngen, einem wackligen Bildstand, Filmrissen und schlechtem Ton in der digitalen Welt glücklicherweise der Vergangenheit an. Gleichzeitig sind aber große Teile der „anderen“ Filmgeschichte jenseits des Kanons unter diesen technischen Voraussetzungen unsichtbar geworden. Außerdem hat sich die Verfügbarkeit von noch relativ neuen Filmen des aktuellen Repertoires, die vielleicht nur zwei Jahre alt sind, enorm verschlechtert. Wurden 35mm-Filmkopien von den Verleihern nach der Erstaufführung eingelagert und bis zum Ende des Lizenzzeitraumes noch vermietet, ist dies heute nicht unbedingt der Fall.
Sobald ein Film die Erstauswertung in den kommerziellen Kinos hinter sich hat, wird das digitale Medium, das Digital Cinema Package (DCP), zu einem ausländischen Verwerter gegeben oder gelöscht. Oder die Daten des DCPs sind zwar noch vorhanden, aber nach ein paar Jahren veraltet, sodass sie von den neuen Servern in den Kinos nicht mehr gelesen werden können. Eine Neuerstellung der Daten für eine Aufführung ist zeit- und kostenaufwändig und nicht immer möglich. Darin zeigt sich das von Politik und Branche unterschätzte Problem, dass Produzenten, Archive und Verleihe noch immer kein einheitliches System gefunden haben, digitale Filme einzulagern und spielbar zu halten, besonders drastisch. Die erhaltenen älteren, kanonisierten Werke der Filmgeschichte von den Stummfilmen bis zur Nachkriegszeit sind noch gut archiviert und zugänglich, die neueren Filme sind dagegen, oft schon ein halbes Jahr nach Kinostart, in vielen Fällen nur noch mit großem Aufwand und Erfindungsreichtum für eine Kinoaufführung zu organisieren.
Sonderfall Stummfilm
Deutlicher zeigt sich die Verbesserung durch das digitale Format bei der Vorführung von Stummfilmen, die von Kommunalen Kinos immer wieder ins Programm genommen werden, und zwar nicht nur als Event mit großem Orchester, sondern regelmäßig und meist mit kleinerer Musikbegleitung.
Stummfilme wurden anfangs mit einer anderen, einer variablen Geschwindigkeit hergestellt. Der Tonfilm ab 1927 wurde mit 24 Bildern pro Sekunde gedreht, der frühe Stummfilm dagegen mit nur 16 Bildern, dann mit 18 oder 20 Bildern pro Sekunde, bis er gegen Ende seiner Zeit auch die Tonfilmgeschwindigkeit erreicht hatte. Viele Kinos hatten oder haben aber nicht die technischen Voraussetzungen bei den Projektoren, diese Filme in der für sie richtigen Geschwindigkeit abzuspielen, sondern nur in der Tonfilmgeschwindigkeit mit 24 Bildern pro Sekunde – daher stammt der häufige Irrglaube von den „zappelnden“ Schauspielern im Stummfilm. Auch das eher quadratische Bildformat für den Stummfilm, bei dem die Tonspur an der Seite des Filmstreifens fehlt, und ein passend „abgekaschtes“ – d.h. ein an den Rändern im richtigen Format abgedecktes – Bild werden bei einer digitalen Vorführung automatisch korrekt wiedergegeben. Vielfach ist eine Musikbegleitung auf der Tonspur der digitalen Filmkopie abgespeichert, was sowohl die Vorführung als auch das Budget erleichtert, wenn Gelder für eine musikalische Live-Begleitung nicht vorhanden sind.
Elektronische Untertitelung
Da viele Kommunale Kinos Filme in der originalen Sprachversion zeigen und keine deutsch synchronisierten Fassungen, sind die Kinomacherinnen und Kinomacher stets auf der Suche nach deutsch oder auch englisch untertitelten Fassungen. Eine große Erleichterung für die Programmplanung – gerade bei vollständigen Retrospektiven – ist daher die Möglichkeit, elektronische Untertitel in den Film einblenden zu können. Im Kino wird dann die analoge oder digitale Kopie des Films in der jeweiligen Originalfassung gezeigt, in die dann vorher erstellte Untertitel während der Vorführung mit einem Videobeam eingeblendet werden. Dies ist zwar äußerst kosten-, zeit- und personalintensiv, ermöglicht aber die Filme publikumsgerecht anzubieten und nicht – wie oben in vergangenen Zeiten beim Filmmuseum München erwähnt – die Filme in der Originalfassung zu zeigen, auf die Kraft der Bilder zu vertrauen und vorab dem Publikum auf Handzetteln eine Inhaltsangabe auszuhändigen, damit es der Handlung folgen kann.
Der Vorführraum als Schaltzentrale
Die Zeiten, in denen im Vorführraum einfach eine 16mm- oder 35mm-Filmkopie für eine Vorstellung eingelegt wurde, sind ebenfalls vorbei. Gewerbliche Kinos haben die analoge Filmtechnik ganz aus ihren Kinos verbannt und ausnahmslos nur noch digitale Abspielmöglichkeiten. Die Kommunalen Kinos jedoch, deren Auftrag es ist, auch Filmgeschichte zu spielen, sind sogenannte Hybridkinos, die sowohl analoge Filmkopien als auch neue digitale Formate vorführen können. Dies sorgt zwangsläufig dafür, dass der Vorführraum aufgerüstet werden muss. Glücklich sind dabei die Kinos, die über einen großen Projektionsraum verfügen, in dem sowohl 16mm- und 35mm-Projektoren, ein noch immer recht großer digitaler Projektor sowie ein Beamer für Untertitel und ein Rack mit Abspielmöglichkeiten für VHS, DigiBeta, DVD, Blu-ray usw. inklusive der passenden Tonformate Platz haben. Das technische Wissen muss über das ehemals rein handwerkliche der analogen Filmvorführung weit hinausgehen, manche Vorführerinnen und Vorführer haben sich sogar Programmierkenntnisse angeeignet. Der Vorführraum eines modernen Kommunalen Kinos gleicht inzwischen einer eindrucksvollen Schaltzentrale.
Parallel dazu verlieren sich die Kenntnisse des klassischen Filmvorführens, da immer mehr digital und immer weniger analog gespielt wird. Den Filmprojektoren tut es ebenfalls nicht gut, lange ungenutzt im Vorführraum zu stehen; im Prinzip müssten regelmäßig Testläufe für Maschinen und Vorführerinnen und Vorführer veranstaltet werden, um die alte Technik und das Wissen am Leben zu erhalten. Bei einem komplexen Filmprogramm kann es durchaus geschehen, dass mit Kurz- und Langfilmen alle denkbaren Formate vorkommen, vielleicht sogar noch ein Film in 3D, und dass eine Expertin für einen begleitenden Vortrag mit dem Laptop Folien auf der Leinwand zeigen möchte. Auch Live-Übertragungen, Video-Grußworte und Skype-Interviews mit Filmschaffenden können Teile im Programm eines Kommunalen Kinos sein. Für das Vorführpersonal verlangt so eine komplexe Vorstellung eine Höchstleistung an Konzentration und Können. Leider werden die Fähigkeiten nicht immer entsprechend honoriert, da klassische Vorführposten auf der Gehaltsskala eher unten angesiedelt sind und sich die neuen Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen noch nicht in entsprechenden Strukturen niedergeschlagen haben.
Der Aufwand zur Bewerbung des Programms in den analogen und digitalen Presse- und Marketingkanälen verlangt eigentlich eine halbe Stelle innerhalb der Kinomannschaft. In der Realität sind wir jedoch weit davon entfernt. Feste Stellen sind rar, zusätzliche Honorarmittel für das Kuratieren von Programmen, das Verfassen von Texten, die Recherche nach Filmen und Lizenzen ebenfalls. Viele Kinomacherinnen und Kinomacher arbeiten noch in den alten Strukturen und müssen äußerst kreativ mit den neuen Anforderungen umgehen. Dass sie es immer wieder schaffen, ist – auch wenn es pathetisch klingen mag – ihrer großen Liebe zum Kino zu verdanken, einem hohen persönlichen Engagement bis hin zur Selbstausbeutung, langjähriger Erfahrung und einer funktionierenden Vernetzung. Für die Erhaltung des Kulturorts Kino tritt der Bundesverband mit all seinen Möglichkeiten vehement ein, denn das Kino soll auch in Zukunft der Ort bleiben, an dem man Filme in Gemeinschaft sehen, erleben und diskutieren kann, trotz der vielen Alternativen im Bereich des Internets, des Home-Entertainments und der virtuellen Welt.
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Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im Juli 2017.