Potenziale eines kreativen Umgangs mit Computerspielen

Die Idee von Creative Gaming ist aus der spielerischen Auseinandersetzung mit einem zentralen Medium unserer Zeit geboren – dem digitalen Spiel. Wenn ein Game erst einmal „zu Ende“ gespielt ist, die Figuren nicht das erzählen, was man von ihnen erwartet hatte, oder die Spiellandschaft nicht so aussah, wie man es sich als Spieler bzw. als Spielerin erhofft, heißt es: Selbermachen! Seit es digitale Spiele gibt, gibt es auch Menschen, die die scheinbar festen Spielmuster und die Technologie verändern, an die Grenze bringen oder selbst neu erfinden. Ohne es zu ahnen, nehmen Spielerinnen und Spieler ihre Spiele in Besitz, werfen einen Blick hinter die Kulissen der Programmierung oder der wirtschaftlichen Verwertung. Für die kreative Medienarbeit und die kulturelle Auseinandersetzung mit einem Medium sind dies zugleich auch Grundvoraussetzungen der pädagogischen Arbeit. Die Perspektive auf ein Alltagsmedium zu wechseln, nimmt die Initiative Creative Gaming auf und formuliert Creative Gaming als einen Begriff, der Gameskultur, Medienkunst und Medienpädagogik vereint und eine Zugangsebene zu digitalen Spielen schafft, die – verkürzt formuliert – die Spiellust des Gamers bzw. der Gamerin, den Perspektivwechsel des Künstlers bzw. der Künstlerin und den bewussten Einsatz der Medienpädagoginnen und -pädagogen zusammenfasst und auf den Grundsatz „Mit Spielen spielen“ bringt.

 

Creative Gaming bedeutet zunächst einmal, das Medium als selbstverständlich anzusehen und damit dessen Alltagsgebrauch zu akzeptieren. Zugleich bedeutet es auch, Games als gestaltbar aufzufassen. Sie als Chance zu begreifen, durch die eigene Gestaltung auch für eigene Interessen zu nutzen, sie eben nicht ernst zu nehmen, sondern den spielerischen Umgang mit ihnen zu fördern.

Deutlich wird dieser Ansatz in den fünf Grundlagen von Creative Gaming:

 

Spielregeln ignorieren
Im Egoshooter ist eine zentrale Spielregel, aus der Ich-Perspektive mit Waffen gegen Feinde anzugehen. Die Welt zu retten, die Weltherrschaft zu ergreifen, Gegner zu jagen. Doch was passiert, wenn mit dieser Regel gebrochen wird und man beginnt, stattdessen Verstecken zu spielen oder mit dem Gegner ein Schwätzchen in der eigentlichen Kriegskulisse zu führen? Regeln zu brechen bedeutet, diese zu erkennen und sich bewusst zu machen. Diesen Regelbruch zu nutzen, um etwas Kreatives zu gestalten, lässt aus dem herkömmlichen Spielvorgang Creative Gaming werden. Bestes Beispiel dafür ist das sogenannte Balletttanzen im Ballerspiel. In einem vernetzten Egoshooter werden die Figuren zu Tänzerinnen und Tänzern. Eine beliebige Anzahl an Mitspielerinnen und Mitspielern testet die Bewegungsmöglichkeiten der Figuren aus, andere wählen stimmungsvolle Musik, Choreografinnen und Choreografen bereiten die Bewegungsabfolgen vor und Locationscouts suchen den passenden Spiellevel für einen Tanz.

 

Getanzt wird, indem die Figuren an vernetzten Rechnern (nach der Probe mit dem eigenen Körper) gesteuert werden. Ein Spieler fungiert als Beobachter, seine Sicht wird als Video aufgezeichnet und stellt damit die Kamera dar. Die mitgeschnittenen Szenen können im Anschluss in einem Videoschnittprogramm zusammengestellt und mit Sound unterlegt werden.

 

Spiele als Spielzeug nutzen
Dinge neu anordnen, mit ihnen experimentieren, auf den Kopf stellen, ihnen neue Eigenschaften geben, sind einige der Eigenschaften, die Spielzeugen zu eigen sind. Überträgt man diese Funktionen auf digitale Spiele heißt dies, andere Nutzungsformen in einem Spiel zu entdecken, seine Elemente als Spielzeug zu nutzen und damit vielleicht auch neue Funktionszuschreibungen vorzunehmen. In der Gamingszene ist eine Umdeutung der spielimmanenten Charakteristika beispielsweise üblich, um die programmierten, gestalteten Grenzen eines Spiels auszutesten: z. B. mit einem Fahrzeug über die Programmierung hinaus zu fliegen, ein Spiel viele Male hintereinander zu spielen und die Wiederholungen in einem Videoschnittprogramm übereinanderlegen oder aus den Elementen eines Spiels neue Objekte und Fahrzeuge zu produzieren. Hier können absurde Szenen oder Fahrzeuge entstehen, die so noch nicht dagewesen sind und dem digitalen Spiel damit die Grundeigenschaft eines Spielzeugs verleihen.

 

Virtuelles real werden lassen
Die Übertragung von Elementen in andere Medien oder Materialien ist schon lange eine gute Möglichkeit, Gegenstände erfahrbar und Größenverhältnisse erlebbar zu machen. Im Bereich der Computerspielkunst gibt es einige Künstlerinnen und Künstler, die dieses als Mittel der Veranschaulichung nutzen und damit gleichzeitig Kontraste schaffen, die neue Sichtweisen auf sonst digitale Gegenstände ermöglichen. Spielfiguren und Gegenstände nachzubauen, ist eine Methode im Rahmen von Creative Gaming, Spielwelten transparent zu machen. Dabei sind vielerlei Materialien möglich. Kekse, Bügelperlen, Pappe, Holz, Schaumstoff und vieles mehr. Die Übertragung in den öffentlichen Raum und die Dokumentation dieses Prozesses schaffen zusätzlich eine Übertragung auch für andere Zuschauergruppen.

 

Spiele als Werkzeug nutzen
Digitale Spiele sind programmiert. Es liegen ihnen mehr oder weniger komplexe physikalische und informatorische Prozesse zu Grunde, die auch für andere Medienformen genutzt werden können. Haben zunächst Gamerinnen und Gamer begonnen, ihre besten Spielzüge, schnellsten Durchläufe oder besten Tricks als Video aufzuzeichnen, sind mit der Zeit ganze, auch narrative, Serien entstanden, in denen mit den Genreeigenschaften der Figuren und Welten gespielt wird. Auch Filmschaffende haben die komplexen Prozesse von Spielen für sich entdeckt und nutzen mittlerweile die Gameengines (dies sind die programmierten Grundlagen eines Games), um Echtzeit-Animationsfilme zu erstellen. Diese Machinimas können aufwändig produzierte Videokunst-Filme sein, die tatsächlich ganze Welten in ein vorhandenes Spiel einbauen, wodurch es zu einem 3-D-Studio wird, durch das sich der Filmemacherinnen und -macher in Echtzeit bewegt. Oder es werden Figuren zusammengebracht und mit einem Dialog versehen. In beiden Fällen werden die Spielewelten zu Bühnen und die Figuren zu Schauspielern.

 

Spiele neu denken
Die Steuerung von Games funktioniert meist mit Eingabegeräten, die die Benutzerinnen und Benutzer schon längst gewohnt sind. Tastatur, Gamepads, Maus, Touchscreen, Joystick. Warum nicht einmal Bananen benutzen, um ein Motorrad zu steuern? Warum nicht einen Tischtennisball verwenden, um die Invasion der Pong Invaders zu stoppen? Warum nicht mithilfe von Papppixeln Snake mit Menschen auf der Straße spielen? Einen Schritt weiter zu denken, kann zu interessanten neuen Formen der Spielsteuerung führen. Auch hier steht im Mittelpunkt der Perspektivwechsel auf ein nur scheinbar fertiges, vorgegebenes Produkt.

Andreas Hedrich
Andreas Hedrich ist Vorstand bei der Initiative Creative Gaming e.V., Inhaber der Frische Medien GbR und Hochschullehrer an der Fakultät Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.
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