Wie werden Menschen in Zukunft im Museum entdecken, lernen und teilhaben — und wie können digitale Technologien dazu beitragen? Die Leiterin von museum4punkt0, Monika Hagedorn-Saupe, berichtet im Gespräch mit Maike Karnebogen, wie in dem Projekt gemeinsame digitale Angebote über Institutionsgrenzen hinweg erprobt werden.
Maike Karnebogen: Frau Hagedorn-Saupe, Sie leiten das Verbundprojekt museum4punkt0 für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wodurch zeichnet sich das Projekt aus?
Monika Hagedorn-Saupe: Bei museum4punkt0 untersuchen wir, wie digitale Instrumente für die Vermittlung im Museum eingesetzt werden können. Das heißt, wir prüfen, wie wir die Arbeit im Museum digital unterstützen, ergänzen und erweitern können, z. B. durch Augmented Reality, Virtual Reality, aber auch durch intelligente Führungssysteme. Da ist eine ganze Menge möglich, was im Museumsbereich – zum einen aus Kostengründen, zum anderen, weil noch kaum Kenntnisse vorhanden sind – bisher wenig genutzt wird.
Das Projekt ist ein Verbund von mehreren Partnern aus ganz Deutschland. Dazu gehören die Staatlichen Museen zu Berlin, die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven, das Deutsche Museum, die Fastnachtsmuseen Schloss Langenstein und Narrenschopf Bad Dürrheim und das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. Ziel ist es, dass das, was im Projekt entwickelt wird, durchgehend begleitet und möglichst breit nachgenutzt werden kann. Ein Beispiel ist die Virtual-Reality-Anwendung Bodentiere vom Senckenberg Museum in Görlitz. Dort ist eine Anwendung entstanden, bei der die Betrachter auf die Größe eines kleinen Tieres zusammengeschrumpft werden und damit erfahren können, was im Boden unter unseren Füßen alles passiert. Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Deutschen Museum in München, dem größten Technikmuseum in Deutschland. Im dortigen Labor wurde auf Basis der von der NASA veröffentlichten Daten der Mondgang virtuell nachvollziehbar rekonstruiert – ein ganz besonderes Erlebnis. Damit eine Nachnutzung durch Dritte möglich ist, sollen alle Entwicklungen möglichst Open Source sein. Die Codes stehen über einen öffentlichen Account zur Verfügung. Das geht jedoch nicht immer, da es auch rechtliche Einschränkungen gibt. Aber auch andere Formen von Nachnutzung aus dem Projekt sind möglich, denn Museen, die noch nicht so viel Erfahrung haben, können auf die ausführlichen, im Projekt gemachten und dokumentierten Erfahrungen zurückgreifen und so z. B. Arbeits- und Betreuungsaufwand vorab besser einschätzen.
Wie gestaltet sich die gemeinsame Arbeit im Projekt? Wie werden die Ergebnisse ausgetauscht und zugänglich gemacht?
Es gibt regelmäßig Verbundtreffen, aktuell virtuell, bei denen alle Partner zusammenkommen und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Die Teams untereinander haben regelmäßig Kontakt zu den verschiedensten Fragestellungen: Was kann ich bieten, dass sich schon von zu Hause auf den Besuch im Museum vorbereitet werden kann? Wie kann ich den Besuch vor Ort unterstützen? Was kann ich im Nachhinein bereitstellen?
Z. B. wird sich auch über Virtual-Reality-Brillen ausgetauscht: Wie müssen die Brillen gestaltet sein, wenn Kinder sie tragen? Sollten sie besser von der Decke aufgehängt sein, damit keiner über die Kabel stolpert? Sollten die Personen besser sitzen? Oder können sie damit umherlaufen? Diese Art von Erfahrungen, die bereits bei verschiedenen Partnern gemacht wurden, werden ausgetauscht, so dass man zu einer gemeinsamen Empfehlung kommt. Zudem werden Workshops und thematische Veranstaltungen organisiert, mit denen nicht nur der Austausch untereinander angeregt wird, sondern auch ein interessiertes Fachpublikum angesprochen wird.
Welche Rolle spielen die Besucherinnen und Besucher bei museum4punkt0? Wie treten Sie mit diesen in Kontakt?
Die spielen eine ganz wichtige Rolle. Denn das, was entwickelt wird, soll ja für die Besucherinnen und Besucher gut nutzbar sein. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Besucherforschungsprojekten im Rahmen des Projektes. Die Ergebnisse werden auf der Webseite von museum4punkt0 publiziert. Das Deutsche Auswandererhaus hat beispielsweise eine physische Ausstellung und eine VR-Anwendung nebeneinandergestellt. Die Besucher haben sie gebeten, sich beides anzuschauen und diese anschließend über ihre Erfahrungen befragt. In Corona-Zeiten muss das Feedback der Besucherinnen und Besucher vermehrt digital eingeholt werden.
Bisher gab es auch eine ganze Reihe von Schulklassen, die vor Ort bestimmte Anwendungen getestet haben, beispielsweise für ein Spiel, das entwickelt wird. Von Designern wurden dazu bestimmte Figuren vorgeschlagen, die in einer Runde mit Kindern getestet wurden. Die Ergebnisse waren durchaus anders als das, was die Kuratorinnen und Kuratoren sich gedacht haben. Daran sieht man, wie wichtig es ist, von Beginn an bei der Entwicklung die Besucherinnen und Besucher einzubeziehen. Dieser Faktor ist im museum4punkt0-Projekt ganz wichtig.
Das Projekt ist 2017 gestartet und auf drei Jahre angelegt. Wie lautet Ihr Zwischenfazit bisher? Was läuft gut, wo gibt es noch Erweiterungsbedarf?
Zunächst ist die gute Nachricht, dass das Projekt aufgrund der momentanen Bedingungen mit NEUSTART KULTUR-Mitteln ein weiteres Jahr bis Ende 2021 gefördert wird. Gerade in den letzten Monaten hat man gesehen, dass digitale Angebote auch im Museumsbereich extrem wichtig sind und noch viel mehr passieren muss, damit Museen in breitem Maße in die Lage versetzt werden, das, was durch digitale Technologien heute bereits möglich ist, auch anwenden und einsetzen zu können. Wir wissen, dass hierfür ein Jahr eigentlich zu kurz ist. Das Entwickeln von Prototypen, das Testen mit Partnern, die Dokumentation, das Weiterentwickeln, dieser iterative Vorgang dauert bei größeren Entwicklungen und Anwendungen. Es sind sehr arbeitsintensive Schritte. Da ist ein Jahr im Grunde genommen nichts.
Was z. B. auch noch fehlt bzw. was es erst in Ansätzen gibt, ist eine Art Serviceplattform, auf der interessierte Museen die Tools und Instrumente, die Anleitungen und Informationen finden, die sie dann nutzen können. Letztendlich geht es doch auch darum, dass kleine Museen unterstützt werden sollen, die so etwas sonst gar nicht allein hinbekommen könnten. Deshalb haben wir auch dieses Spektrum an Partnern im Verbund, von Klein bis Groß. Es soll nicht nur etwas entstehen, was für große Museen ist, sondern etwas, was auch von vielen kleinen nachgenutzt werden kann.
Wie sieht das Museum der Zukunft aus?
Auf jeden Fall hybrid. Kern eines Museums und der Museumsarbeit ist die Sammlung: die Objekte, die das Museum hütet, mit denen Geschichten erzählt werden, die Vergangenheit vermitteln und Diskussionen über Lebensweisen ermöglichen, Kunsterlebnisse erlauben und, und, und. Aber wenn wir sehen, wie sich unsere Gesellschaft heute entwickelt hat und weiterentwickelt – mal von Corona abgesehen –, unsere Alltagsarbeitsmittel werden mehr und mehr digital. Die Austauschmöglichkeiten werden das auch, die Erwartungen der Nutzer ändern sich. Ein Museum der Zukunft muss unbedingt diese digitalen Komponenten und Arbeitsweisen als Teil der eigenen Arbeit sehen. Die Chancen des Digitalen sehe ich auch darin, die vorherigen Grenzen eines Museums zu durchbrechen. Z. B. die starke Ortsgebundenheit. Mit Schulen kann beispielsweise in einen digitalen Dialog getreten werden. Oft scheitert es schon daran, eine Fahrt in ein etwas weiter entfernt gelegenes Museum zu organisieren, einen Schulbus zu mieten etc. Dies kann mit dem Aufbau einer digitalen Plattform, mit Online-Ausstellungen und -Workshops überbrückt werden. Das heißt, wir erweitern unseren Raum als Museen ganz massiv. Und das ist eine absolute Notwendigkeit.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.