„Der Mensch steht im Mittelpunkt – und nicht die Technologie“

Der künstlerische Leiter der Ars Electronica, Gerfried Stocker, im Gespräch

Während der Corona-Pandemie standen viele Kultureinrichtungen vor der Herausforderung, wie sie ihre Inhalte trotz Schließung präsentieren können. Die Ars Electronica hat ein besonderes Format entwickelt: Home Delivery. Wenn man nicht zur Ars Electronica kommen kann, kommt sie ins Zuhause – z. B. in Form von Guided Tours durch die Ausstellung, Ausflüge ins Lab oder in den sogenannten Deep Space.
Dieses Programm haben wir in Antwort auf Corona und den Lockdown installiert. Wir waren, obwohl unser Thema die Digitalisierung ist, als Betreiber eines Ausstellungszentrums, eines Museums, einer edukativen Einrichtung immer darauf fokussiert, auch die finanziellen Mittel eher in das Gebäude, das Programm, das Personal fließen zu lassen. Erst Corona hat auch bei uns dazu geführt, dass wir uns intensiv damit beschäftigen, wie wir als Kultureinrichtung unserer gesellschaftlichen Aufgabe nachkommen können. Meiner Ansicht nach ist es zu kurz gegriffen, nur darüber nachzudenken, wie man Inhalte trotz Lockdown weiter präsentieren kann.

 

Auch bei unserem Festival war der ganz entscheidende Punkt, dass es uns nicht darum geht, die Dinge, die wir sonst beim Festival real präsentieren würden, in unserem Programm über das Internet in die ganze Welt zu verteilen, sondern dass es unsere wichtige Aufgabe ist, zu vernetzen und möglichst viele Gleichgesinnte – Künstler, Organisatoren, Kuratoren und auch Publikum – weltweit zu vernetzen. Entsprechend war die Auflage für unsere Netzwerkpartner beim Festival, dass sie vor Ort reale Projekte von realen Künstlern für reales Publikum anbieten müssen – in welcher Größe auch immer. Denn diese Idee, dass wir als Kultureinrichtungen nur für die Präsentation zuständig sind, stammt quasi aus dem 20. Jahrhundert. So haben die Massenmedien funktioniert, so hat das klassische Museum funktioniert. Aber das interessante Paradigma am 21. Jahrhundert, am Internet-Jahrhundert, ist die Vernetzung. Das ist etwas, was für viele Kultureinrichtungen sehr wichtig sein wird, wenn die coronabedingten Einschränkungen der Besucherzahlen weiterhin anhalten. Nur mit Darstellen wird es nicht funktionieren. In der digitalen Welt, im digitalen Raum, im Raum der Netzwerke ist man nur erfolgreich, wenn man kommuniziert, wenn man teilt, wenn man Dinge miteinander macht. Das ist das, was die sozialen Medien so erfolgreich gemacht hat. Die haben schnell verstanden, dass es wichtiger ist, Austausch zu ermöglichen, anstatt nur Inhalte anzubieten.

 

Hier wird deutlich, dass eben der Mensch im Mittelpunkt steht – nicht die Technik. Das ist auch der Grundgedanke der Ars Electronica. Wieso ist gerade dieser Ansatz in einer zunehmend technologisierten und digitalisierten Welt immer wichtiger?
Man hat das viel zu lang übersehen. In 41 Jahren Ars Electronica ging es, wenn wir über das Internet und die Digitalisierung sprechen, nie nur um ein technisches Werkzeug, sondern um einen sozialen Raum. Doch das hat nicht ausgereicht. Es hätte viel tiefer gehen müssen. Wir haben als Gesellschaft trotz der warnenden Rufe aus dem Bereich der Kunst, der Philosophie, der Geisteswissenschaften einfach nicht gesehen, wie wichtig es ist, dieser enormen technischen Revolution gesellschaftlich und menschlich entgegenzuhalten – nicht um sie zu verhindern, sondern um sie richtig zu gestalten und für uns als Menschen zu nutzen. Da bemerken wir jetzt ein riesiges Defizit.

 

Wir merken das, weil diese gigantischen monumentalen Konzerne wie digitale Landlords eine Art digitalen Feudalismus in die Welt gebracht haben. Wenn man sich auf den Servern von Google, Amazon, Facebook bewegen will, dann muss man nach deren Spielregeln spielen – egal, ob die mit den üblichen gesetzlichen Rahmenbedingungen des Landes, in dem du lebst, kompatibel sind oder nicht. Wir merken das auch verstärkt durch die Avancements im Bereich der KI.

 

Man kann sich nur fragen, wieso hat es so lang gedauert? Wieso brauchen wir letztlich Krisen wie Corona, um uns auf etwas zu besinnen, das selbstverständlich sein sollte?

 

Technologie ist für uns Menschen da. Wir Menschen machen sie ja auch. Es gibt keine Technologie, die vom Himmel gefallen ist. Wir Menschen entwickeln seit Jahrtausenden, seit es uns gibt, immer wieder Technologien, um unser Leben zu verbessern. So sollten wir sie auch betrachten und einsetzen. Da muss es ein ganz klares Verständnis in der breiten gesellschaftlichen Basis geben, wie die Hierarchie ausschaut: Der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht die Technologie; und auch nicht das Geschäft, das man mit der Technologie machen kann.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Gerfried Stocker & Theresa Brüheim
Gerfried Stocker ist Künstlerischer Leiter von Ars Electronica. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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