So retten wir unsere Innenstädte!

Vier Fragen an Stefan Genth, Ingrid Hartges und Olaf Zimmermann zur Zukunft der deutschen Cities

 

3 Aus welchem Grund unterstützt Ihre Organisation den Forderungskatalog zur Rettung der deutschen Innenstädte?

 

Stefan Genth: Die Innenstädte gehören zur DNA des Handels. Mit ihrer Vielfalt und ihren Händlern sind sie nicht aus dem Stadtbild wegzudenken. Die Entwicklung der Innenstädte ist uns daher seit jeher eine Herzensangelegenheit. Bereits weit vor der Pandemie haben wir z. B. die Allianz für Innenstädte zusammen mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund gegründet. Diese gute und vertraute Partnerschaft gibt uns Zuversicht, dass die notwendigen Maßnahmen vor Ort auch tatsächlich umgesetzt werden. Wir unterstützen die Rettung der Innenstädte aber auch, weil ein hohes Maß an Identifikation mit der eigenen Stadt verbunden ist. Sollte diese Identifikation leiden, könnten sich Stadtbewohner ein Stück weit von ihrer eigenen Stadt entfremden. Das darf nicht passieren.

 

Ingrid Hartges: Wer eine Verödung der Innenstädte verhindern will, muss jetzt handeln. Attraktive und liebenswerte Innenstädte zu schaffen – das ist unser gemeinsames Ziel. Für die Wirtschaft, für die Arbeitsplätze und für die Gesellschaft. Für die Menschen, die dort wohnen, und für die Gäste, die diese Städte besuchen. Dabei müssen wir alle an einem Strang ziehen. Wenn Kultureinrichtungen aus den Städten verdrängt werden, bekommen das unsere Betriebe voll zu spüren. Ohne Veranstaltungen kein Eventcatering. Ohne Theater, Konzerthäuser, Museen keine Restaurantbesuche und Hotelübernachtungen. Ohne Gastronomie als Frequenzbringer und Impulsgeber keine belebte Innenstadt. Ohne pulsierende Städte kein Tourismus. Das hängt alles zusammen. Mit seinen 2,4 Millionen Beschäftigten und 220.000 Betrieben trägt das Gastgewerbe maßgeblich zur Attraktivität der Innenstädte bei. Das Gastgewerbe hat eben nicht nur eine hohe Bedeutung als Wirtschaftsfaktor und Jobmotor, sondern auch eine hohe Relevanz für die Gesellschaft. Mit unseren Restaurants, Wirtshäusern, Kneipen und Bars bieten wir wertvolle Plätze der Begegnung, der Kommunikation, des Miteinanders. Wir sind die öffentlichen Wohnzimmer der Gesellschaft. Das Gastgewerbe steht für Lebensfreude und Lebensqualität und steigert sie – auch und gerade in den Innenstädten.

 

Olaf Zimmermann: Bei der Rettung der Innenstädte geht es nicht nur um wirtschaftliche Existenzen, sondern auch um die Diversität unserer Kultur und damit um den Erhalt unserer lebenswerten Heimat. Kunst und Kultur sind die zentralen Pfeiler unseres gesellschaftlichen Lebens. Ohne sie gibt es weder Vielfalt noch Leben in den Innenstädten. Schon immer haben Kunst und Kultur den Diskurs angeregt.

 

4 Was fordert Ihre Organisation konkret zur Rettung deutscher Innenstädte?

 

Stefan Genth: Wie eine gute Politik für attraktive Innenstädte aussieht, haben wir in unserem 11-Punkte-Plan und unserer Forderung nach einem Innenstadtfonds festgehalten. Es muss an diversen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden, und zwar im richtigen Takt. Was es braucht, sind kreative Entwicklungskonzepte sowie eine aktive Leerstandsbekämpfung und Ansiedlungspolitik. Zukunftsfähige Innenstädte müssen aber auch verloren gegangene Nutzung wieder in die Stadt zurückholen, wie z. B. die smarte Produktion oder das Wohnen. Hierzu bedarf es gesetzlicher Änderungen etwa der Lärmvorschriften, um diese neue funktionale Körnung zu ermöglichen. Fest steht: Die deutschen Innenstädte brauchen gezielte staatliche Unterstützung in Form eines Innenstadtfonds. Ohne eine entsprechende finanzielle Flankierung in Höhe von 500 Millionen Euro werden etliche Stadtzentren nicht zu retten sein.

 

Ingrid Hartges: Es braucht ganzheitliche, mutige und kreative Konzepte für die Zukunft. Erste Schritte sind gemacht. Die Rettung der Innenstädte ist auf die politische Tagesordnung gerückt. Jetzt darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Den starken Worten müssen noch stärkere Taten folgen. Sehr positiv bewerten wir, dass kurz vor dem Jahreswechsel noch – wie vom DEHOGA seit Monaten intensiv gefordert – gesetzlich klargestellt wurde, dass die eingeschränkte Nutzbarkeit von gemieteten oder gepachteten Gewerbeflächen aufgrund der Corona-Pandemie eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellt. Mit Blick auf die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie für Handel, Kultur- und Veranstaltungswirtschaft wie für Gastronomie und Hotellerie geht es kurzfristig darum, das Überleben der Betriebe zu sichern. Die zugesagten Hilfen müssen jetzt schnell und in ausreichendem Umfang bei allen notleidenden Betrieben ankommen. Zeitgleich müssen innovative Konzepte zur Belebung der Innenstädte entwickelt werden – dies im Dialog mit den lokalen Playern. Behördliches Handeln muss konsequent der Maxime folgen: Wie können wir helfen? Was können wir möglich machen, damit Handel, Restaurants und Cafés sich entfalten können? Vorbildlich waren hier die unbürokratischen Genehmigungsverfahren zur Vergrößerung der Außenflächen der Restaurants und Cafés nach dem ersten Lockdown. Stadt- und Kommunalparlamente sind gefordert, auch für gute Rahmenbedingungen einzutreten, dazu zählen Sauberkeit, Sicherheit, Erreichbarkeit und gute Zufahrtsmöglichkeiten. Im konstruktiven Miteinander von Kommunalpolitikern und den maßgeblichen Akteuren, die prägend, wertvoll und unverzichtbar für die Innenstädte sind, sind zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln. Dabei von elementarer Bedeutung ist ein professionelles Stadtmarketing.

 

Olaf Zimmermann: Insbesondere ist es wichtig, dass die wirtschaftliche Erholung nach Abklingen der Pandemie befördert wird. Nicht nur gegen das Ladensterben, sondern auch gegen die kulturelle Verödung muss stärker angekämpft werden. Dafür müssen die Bundes- und Landeshilfen deutlich aufgestockt und verstetigt werden. Gemeinsam mit dem örtlichen Handel und der Gastronomie setzen wir uns für eine Zukunft der Innenstädte ein.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Stefan Genth, Ingrid Hartges & Olaf Zimmermann
Stefan Genth ist Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Ingrid Hartges ist Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Bundesverbands. Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
Vorheriger ArtikelDie City, ein Statement zum Anthropozän?
Nächster Artikel„Innenstädte müssen Orte des Gemeinwesens sein“