Stefan Genth, Ingrid Hartges & Olaf Zimmermann - 2. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Stadtkultur

So retten wir unsere Innenstädte!


Vier Fragen an Stefan Genth, Ingrid Hartges und Olaf Zimmermann zur Zukunft der deutschen Cities

Am 11. November 2020 haben Bündnis 90/Die Grünen, HDE, DEHOGA und Deutscher Kulturrat gemeinsam zehn Forderungen zu Rettung der Innenstädte an die Bundesregierung vorgelegt.

 

Hier schildern die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Verbände ihre unterschiedliche Motivation zur Beteiligung und ihre individuellen perspektiven auf das gemeinsame Anliegen.

 

1 Was macht für Sie die deutsche

Innenstadt aus?

 

Stefan Genth: Innenstädte stehen für ein lebendiges Treiben und die Begegnung untereinander. Sie sind Kommunikationsorte mit einem vielfältigen Angebot. Dazu gehören insbesondere die Geschäfte des Einzelhandels, aber auch die Gastronomie, die vielen privaten und öffentlichen Dienstleistungen, Kultur- und Bildungsangebote. Für eine wachsende Zahl von Bewohnern prägt auch das Wohnen die Innenstädte.

 

Ingrid Hartges: Innenstädte sind die Herzen unserer Städte, sie sind beliebtes Ausflugsziel für die Menschen aus den Regionen wie für Touristen aus aller Welt. Bestenfalls sind sie attraktive „Marktplätze“, die ein vielfältiges und buntes Angebot von Einzelhandel und Gastronomie bieten. Zur Attraktivitätssteigerung der Innenstädte tragen insbesondere Baudenkmäler, Theater, Kinos und Museen maßgeblich bei. Neben den Säulen Handel und Gastronomie sind Architektur, Kunst und Kultur prägend für erfolgreiche Innenstädte. Gute Innenstadtpolitik zeichnet sich zudem durch eine intelligente Verkehrspolitik sowie vernünftige Sauberkeits- und Sicherheitskonzepte aus.

 

Olaf Zimmermann: Die Innenstadt ist das Herz jeder Stadt. Sie versorgt Bewohner und Gäste mit Waren und Dienstleistungen, mit Begegnung und Austausch, mit Bildung und Kultur. Gerade auch der Kultur-Einzelhandel wie Buchhandlungen, Galerien oder Musikgeschäfte, Dritte Orte wie Museen und Bibliotheken, Kultur- und Kunstvereine, Musikschulen, Geschichtswerkstätten und besonders Künstlerinnen und Künstler prägen unsere Innenstädte. Zusammen geben sie ihr ein individuelles Gesicht.

 

2 Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation deutscher Innenstädte?

 

Stefan Genth: Der erste und zweite Lockdown haben dafür gesorgt, dass kein innerstädtischer Händler ohne Sorgen ist. Viele stehen am Rand ihrer Existenz, sind unverschuldet in Not geraten. Aktuell sind die deutschen Innenstädte daher in großer Gefahr. Doch von den Auswirkungen der Pandemie sind sie unterschiedlich stark betroffen. Die Situation und Perspektive der Innenstädte hängt auch von ihrem Branchenmix, dem Flächenmanagement, ihrer baulichen Attraktivität und ihrer Erreichbarkeit mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln ab. Wichtig ist auch eine intensive Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Verantwortungsträgern. Alle müssen sich gemeinsam dem Ziel der vitalen Innenstädte verschreiben. Ansonsten wird es aufgrund der tiefgreifenden Metamorphose der Innenstädte schwer werden.

Folgende Herausforderungen stellen sich aktuell den Innenstädten, die sich schon immer weiterentwickelt und den sich stetig verändernden Anforderungen angepasst haben: Handel und Innenstädte sehen sich mit der Digitalisierung konfrontiert, einer Herausforderung mit bislang nicht dagewesener Dynamik und Geschwindigkeit. Die Pandemie hat diesen gesellschaftlichen Trend erheblich beschleunigt. Online-Shopping und Homeoffice stellen Innenstädte in ihrer Eigenschaft als Konzentration hochrangig zentraler Funktionen infrage. Die vergangenen Monate haben jedoch gezeigt, dass den Menschen dabei viel Lebensqualität verloren geht. Daher ist es so wichtig, dass Innenstädte und innerstädtische Händler eine Perspektive erhalten. Und das geht in der pandemiebedingten Existenznot in vielen Fällen nur mit staatlicher Unterstützung – auch bei der Digitalisierung.

 

Ingrid Hartges: Bereits vor Corona gab es kleine wie große Städte, um deren Zukunft man sich ernsthafte Sorgen machen musste. Corona hat diesen Negativtrend beschleunigt. Die oben genannten Leistungsträger, die für Vielfalt und Attraktivität der Innenstädte stehen, sind seit einem Jahr massiv von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie betroffen. Aktuell wissen wir nicht, wie viele diese dramatische Krise überleben werden. Den verfehlten Entwicklungen der Vergangenheit muss dringend entgegengesteuert werden. Die aktuelle Situation hat einmal mehr verdeutlicht, dass Menschen fehlen, die in den Zentren wohnen. Von elementarer Bedeutung wird es sein, ob es gelingt, wieder eine Angebotsvielfalt zu schaffen. Auch jeder Bürger ist gefordert, sein Einkaufsverhalten zu überprüfen und die kleinen und mittelständischen Betriebe vor Ort neu wertzuschätzen. Große Onlineplattformen leisten definitiv keinen Beitrag zur Attraktivität der Innenstädte.

 

Olaf Zimmermann: Menschen ziehen aus den Innenstädten weg, die Mieten sind schlicht unbezahlbar, auch viele kleinere Gewerbetreibende können sich die Mieten nicht mehr leisten – die Coronakrise verstärkt diese Tendenzen noch einmal radikal. Schon vor der Krise konnten oft nur die großen Geschäftsketten sich den Platz in den Einkaufszonen noch leisten. Egal ob in Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig, Essen, München – schon jetzt sehen die Innenstädte viel zu gleich aus. Aber jetzt, im Lockdown ist die abnehmende kulturelle Vielfalt in unseren Zentren unübersehbar, ein schmerzlicher Verlust, der beim Gang durch die Innenstädte selbst körperlich spürbar ist.

Wir müssen unsere Innenstädte jetzt aktiv gestalten und für ein partizipatives Miteinander umdenken, denn die Veränderungen stehen unabwendbar bevor. Kultureinrichtung und Kultureinzelhandel sind die Seele der Innenstädte. Aber nur gemeinsam mit der Gastronomie und dem anderen Einzelhandel werden wir die Innenstädte am Leben halten können.

Außerdem braucht es wieder mehr Dritte Orte abseits des Konsums in den Zentren, in denen wir einander begegnen können. Wenn sich bestimmte soziale Gruppen in bestimmten Vierteln vornehmlich ansiedeln, dann fungieren die Innenstädte oftmals als einer der wenigen Orte, die für alle da sind. Ihnen kommt eine wichtige Funktion für kulturelle Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu.

 

 

3 Aus welchem Grund unterstützt Ihre Organisation den Forderungskatalog zur Rettung der deutschen Innenstädte?

 

Stefan Genth: Die Innenstädte gehören zur DNA des Handels. Mit ihrer Vielfalt und ihren Händlern sind sie nicht aus dem Stadtbild wegzudenken. Die Entwicklung der Innenstädte ist uns daher seit jeher eine Herzensangelegenheit. Bereits weit vor der Pandemie haben wir z. B. die Allianz für Innenstädte zusammen mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund gegründet. Diese gute und vertraute Partnerschaft gibt uns Zuversicht, dass die notwendigen Maßnahmen vor Ort auch tatsächlich umgesetzt werden. Wir unterstützen die Rettung der Innenstädte aber auch, weil ein hohes Maß an Identifikation mit der eigenen Stadt verbunden ist. Sollte diese Identifikation leiden, könnten sich Stadtbewohner ein Stück weit von ihrer eigenen Stadt entfremden. Das darf nicht passieren.

 

Ingrid Hartges: Wer eine Verödung der Innenstädte verhindern will, muss jetzt handeln. Attraktive und liebenswerte Innenstädte zu schaffen – das ist unser gemeinsames Ziel. Für die Wirtschaft, für die Arbeitsplätze und für die Gesellschaft. Für die Menschen, die dort wohnen, und für die Gäste, die diese Städte besuchen. Dabei müssen wir alle an einem Strang ziehen. Wenn Kultureinrichtungen aus den Städten verdrängt werden, bekommen das unsere Betriebe voll zu spüren. Ohne Veranstaltungen kein Eventcatering. Ohne Theater, Konzerthäuser, Museen keine Restaurantbesuche und Hotelübernachtungen. Ohne Gastronomie als Frequenzbringer und Impulsgeber keine belebte Innenstadt. Ohne pulsierende Städte kein Tourismus. Das hängt alles zusammen. Mit seinen 2,4 Millionen Beschäftigten und 220.000 Betrieben trägt das Gastgewerbe maßgeblich zur Attraktivität der Innenstädte bei. Das Gastgewerbe hat eben nicht nur eine hohe Bedeutung als Wirtschaftsfaktor und Jobmotor, sondern auch eine hohe Relevanz für die Gesellschaft. Mit unseren Restaurants, Wirtshäusern, Kneipen und Bars bieten wir wertvolle Plätze der Begegnung, der Kommunikation, des Miteinanders. Wir sind die öffentlichen Wohnzimmer der Gesellschaft. Das Gastgewerbe steht für Lebensfreude und Lebensqualität und steigert sie – auch und gerade in den Innenstädten.

 

Olaf Zimmermann: Bei der Rettung der Innenstädte geht es nicht nur um wirtschaftliche Existenzen, sondern auch um die Diversität unserer Kultur und damit um den Erhalt unserer lebenswerten Heimat. Kunst und Kultur sind die zentralen Pfeiler unseres gesellschaftlichen Lebens. Ohne sie gibt es weder Vielfalt noch Leben in den Innenstädten. Schon immer haben Kunst und Kultur den Diskurs angeregt.

 

4 Was fordert Ihre Organisation konkret zur Rettung deutscher Innenstädte?

 

Stefan Genth: Wie eine gute Politik für attraktive Innenstädte aussieht, haben wir in unserem 11-Punkte-Plan und unserer Forderung nach einem Innenstadtfonds festgehalten. Es muss an diversen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden, und zwar im richtigen Takt. Was es braucht, sind kreative Entwicklungskonzepte sowie eine aktive Leerstandsbekämpfung und Ansiedlungspolitik. Zukunftsfähige Innenstädte müssen aber auch verloren gegangene Nutzung wieder in die Stadt zurückholen, wie z. B. die smarte Produktion oder das Wohnen. Hierzu bedarf es gesetzlicher Änderungen etwa der Lärmvorschriften, um diese neue funktionale Körnung zu ermöglichen. Fest steht: Die deutschen Innenstädte brauchen gezielte staatliche Unterstützung in Form eines Innenstadtfonds. Ohne eine entsprechende finanzielle Flankierung in Höhe von 500 Millionen Euro werden etliche Stadtzentren nicht zu retten sein.

 

Ingrid Hartges: Es braucht ganzheitliche, mutige und kreative Konzepte für die Zukunft. Erste Schritte sind gemacht. Die Rettung der Innenstädte ist auf die politische Tagesordnung gerückt. Jetzt darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Den starken Worten müssen noch stärkere Taten folgen. Sehr positiv bewerten wir, dass kurz vor dem Jahreswechsel noch – wie vom DEHOGA seit Monaten intensiv gefordert – gesetzlich klargestellt wurde, dass die eingeschränkte Nutzbarkeit von gemieteten oder gepachteten Gewerbeflächen aufgrund der Corona-Pandemie eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellt. Mit Blick auf die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie für Handel, Kultur- und Veranstaltungswirtschaft wie für Gastronomie und Hotellerie geht es kurzfristig darum, das Überleben der Betriebe zu sichern. Die zugesagten Hilfen müssen jetzt schnell und in ausreichendem Umfang bei allen notleidenden Betrieben ankommen. Zeitgleich müssen innovative Konzepte zur Belebung der Innenstädte entwickelt werden – dies im Dialog mit den lokalen Playern. Behördliches Handeln muss konsequent der Maxime folgen: Wie können wir helfen? Was können wir möglich machen, damit Handel, Restaurants und Cafés sich entfalten können? Vorbildlich waren hier die unbürokratischen Genehmigungsverfahren zur Vergrößerung der Außenflächen der Restaurants und Cafés nach dem ersten Lockdown. Stadt- und Kommunalparlamente sind gefordert, auch für gute Rahmenbedingungen einzutreten, dazu zählen Sauberkeit, Sicherheit, Erreichbarkeit und gute Zufahrtsmöglichkeiten. Im konstruktiven Miteinander von Kommunalpolitikern und den maßgeblichen Akteuren, die prägend, wertvoll und unverzichtbar für die Innenstädte sind, sind zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln. Dabei von elementarer Bedeutung ist ein professionelles Stadtmarketing.

 

Olaf Zimmermann: Insbesondere ist es wichtig, dass die wirtschaftliche Erholung nach Abklingen der Pandemie befördert wird. Nicht nur gegen das Ladensterben, sondern auch gegen die kulturelle Verödung muss stärker angekämpft werden. Dafür müssen die Bundes- und Landeshilfen deutlich aufgestockt und verstetigt werden. Gemeinsam mit dem örtlichen Handel und der Gastronomie setzen wir uns für eine Zukunft der Innenstädte ein.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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