Kein Trend, sondern Notwendigkeit

Nachhaltiges Bauen

Zeit und Kosten sind bedeutende Faktoren beim Bauen. Inwieweit ist nachhaltige Architektur zeitintensiver und teurer?

Das hängt zuerst einmal von den Gebäuden ab – ist es ein Bürogebäude, ein Wohnungsbau, ein Freizeitbad? Im Schnitt ist das nachhaltige Bauen zwischen fünf und zehn Prozent teurer. Das wird bedingt durch bessere, ökologischere Materialien, die in ihrer Herstellung aufwendiger und somit teurer sind. Betrachtet man aber den Lebenszyklus eines Gebäudes, kann sich das stark ändern. Nehmen Sie das Beispiel Aluminium: Die Herstellung ist zwar energieaufwendig, aber die Lebensdauer ist lang und entsprechend die Wiederverwertbarkeit im Lebenszyklus sehr hoch, was sich dann positiv auf die Ökobilanz auswirkt. Die Aluminiumindustrie ist inzwischen so weit, dass 70 Prozent des produzierten Aluminiums wiederverwendet werden können. Damit verbessern sich die Werte bzgl. der Nachhaltigkeit auch. Wir können bei der Planung also nicht nur die Baukosten berücksichtigen, sondern müssen vor allem auch die Betriebs- und Unterhaltungskosten in den Blick nehmen.

 

Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sieht einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis zur Mitte des Jahrhunderts vor. Halten Sie das für ein realistisch umsetzbares Ziel?

Wenn es uns gelingt, das Cradle-to-Cradle-Prinzip umzusetzen, dann würden wir sicher dieses Ziel erreichen. Das Ziel war ja, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Jetzt liest man überall nur: Es wurde weit gefehlt. Aktuell sieht es so aus, dass wir anstelle der 40 Prozent nur um 15 bis 20 Prozent senken konnten. Wichtig dabei ist, dass mehr als 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen dem Gebäudesektor zufallen. D. h. die Nachhaltigkeit beim Bauen ist von entscheidender Bedeutung. Aber wir sind auf einem guten Weg zum verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Sowohl Planer als auch Industrie sind in CO2-neutrales Bauen eingebunden. Sie arbeiten massiv daran, die Energieeffizienz zu steigern. Dabei sind insbesondere zwei Punkte wichtig: Erstens, als Primärenergie muss die fossile durch erneuerbare Energie ersetzt werden; dabei werden Fotovoltaik, Windkraft und Erdwärme eingesetzt. So können sogenannte Energie-plus-Häuser entstehen. Zweitens soll der Energieverbrauch minimiert werden. Da kommt man schnell in eine Verzichtsdebatte – und das ist es gerade nicht. Ein gutes Beispiel: Eine LED mit 15 Watt ersetzt die Glühbirne mit 75 Watt. Es entsteht die fünffache Einsparung an Energie – ohne Qualitätsverluste. Genauso hochwertige, nachhaltige und energiesparende Gebäudehüllen sind auch kein Thema mehr.

Stattdessen müssen wir aber mal einen Blick auf das Wohnen werfen: In Westdeutschland standen einer Person 1960 19,6 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. 1991 waren es laut Statistischem Bundesamt schon 34,9 Quadratmeter pro Person; 2018 dann 45,1 Quadratmeter pro Person. Ein großer Teil entfällt auf die immer mehr zunehmenden Single-Haushalte. Da ist ein Thema: Können wir uns den Raumbedarf weiter leisten? Oder ist der zu begrenzen?  Bzgl. der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung heißt das in der Konsequenz für die Städte auch: weniger Neubauten. Stattdessen bedarf es einer klaren Aufwertung des Bestandes.

 

Ist die Umnutzung prinzipiell nachhaltiger als Neubau?

Grundsätzlich muss man sagen, vorhandene Bausubstanz zu verwerten, bedeutet immer, dass ich einen Grundstock, einen Rohbau, habe. Damit stehen 30 bis 35 Prozent vom Gebäude, was wiederum Auswirkungen auf die Primärenergie hat und deutlich weniger CO2 in der Herstellung bedeutet. Es kann so auch der Flächenverbrauch reduziert werden, wenn in den Städten große Flächen frei werden, und man diese für Wohnungsbau nutzt, maßvoll verdichtet und nachhaltig aufwertet. Einige Beispiele sind z. B. Parkhäuser, die in Wohnraum umgebaut werden, oder Kirchen, in denen Büroraum geschaffen wird. Das hat natürlich positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit. Aber dabei kommt es auch oft zu einer Kollision mit neu geltenden DIN-Vorschriften bzgl. Brandschutz, Tragwerksthemen, Erdbebensicherheit. Alte Gebäude erfüllen diese Vorschriften oft nicht.

 

Über Holz und Recyclingbeton haben wir gesprochen – was sind weitere Trends und Tendenzen beim nachhaltigen Bauen?

In der Technik gibt es folgende Trends: Primärenergie durch Fotovoltaikarten. Aber auch Windkraft ist nach wie vor Thema. Schon lange wird an einer intelligenten und energieeffizienten Gebäudetechnik gearbeitet. Eine Tendenz bei der Technik lautet: „Less is more“. D. h. wieder zurück zu weniger Technisierung; stattdessen wird der Fokus auf gute Bauweise mit dicken Wänden und natürlicher Belüftung anstelle von Lüftungs- und Klimaanlagen gelegt. Da spielt die Komfortfrage hinein: Muss drinnen auf 18 Grad gekühlt sein bei einer Außentemperatur von 30 Grad? Unser Komfortanspruch ist eine große Stellschraube. Beim Gebäude selbst ist Vorfertigung und modulare Bauweise eine Tendenz. Das verkürzt die Bauzeiten deutlich.

Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet immer weiter voran: komplett in 3D planen und die Gebäude digital weiterdenken bis zum Betrieb.

Cradle to Cradle kommt deutlich mehr. Wobei es kein Trend ist, sondern notwendig und alternativlos, wenn man tatsächlich die Klimaschutzziele der Bundesregierung für 2050 erreichen will.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Matthias Burkart & Theresa Brüheim
Matthias Burkart ist geschäftsführender Gesellschafter der 4a Architekten GmbH, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), Mitglied beim Verband freischaffender Architekten (VfA) und Sprecher des Rates für Baukultur und Denkmalkultur im Deutschen Kulturrat. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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