Matthias Burkart & Theresa Brüheim - 2. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Stadtkultur

Kein Trend, sondern Notwendigkeit


Nachhaltiges Bauen

Hochhäuser aus Holzkonstruktionen, wiederverwertbarer Beton durch Recycling-Produktion, bis zu 70 Prozent erneut nutzbares Aluminium – Bauen geht auch nachhaltig. Der freischaffende Architekt und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, Matthias Burkart, erklärt im Gespräch mit Theresa Brüheim, wie es CO2-neutral und klimagerecht funktionieren kann.

 

Theresa Brüheim: Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Leitbilder unserer Zukunft – und somit auch essenziell für Architektur und Bauwesen. Aber was versteht man genau unter Nachhaltigkeit in der Architektur, insbesondere unter nachhaltigem Bauen?

Matthias Burkart: Scharf formuliert: Am nachhaltigsten wäre es, nicht mehr zu bauen. Denn alles, was verbaut wird, ist mit einem Energie- und Flächenverbrauch verbunden. Aber das ist natürlich nicht praktikabel. Deshalb verstehen wir Architekten unter nachhaltigem Bauen erst mal die ganzheitliche Betrachtung von Gebäuden in Stadt- und Landschaftsräumen bzgl. der Faktoren Ökologie, Ökonomie, Soziokultur, Klimaschutz.

Unser Büro – 4a Architekten – hat sich als Leitlinie gesetzt, im Sinne der Nachhaltigkeit die Eingriffe in die Natur beim Bauen so gering wie möglich zu halten. Beispielsweise planen wir viele Freizeitstätten, unter anderem Bäder. Das Bauen und Betreiben von Bädern ist per se nicht nachhaltig, da es grundsätzlich einen hohen Energieverbrauch benötigt. Aber wir können sie zumindest technisch und energetisch so gut wie möglich bauen. Z. B. in dem wir die Gebäudehülle mit Passivhausstandard umsetzen.

Aber Sie müssen auch sehen: Bäder erfüllen als Freizeit- und Sportanlagen eine wichtige Funktion in der Gesellschaft – sie sind gesellschaftliche Treffpunkte, dienen dem Vereinsleben und natürlich der Gesundheit. Somit sind es sinnvolle Anlagen – und deshalb auch nachhaltig im weiteren Sinn.

 

Wann spricht man von einem nachhaltigen Gebäude bzw. einer nachhaltigen Architektur? Was gehört dazu – das Einhalten bestimmter DIN-Normen oder die Wahl von als nachhaltig deklarierter Baustoffe?

Es hat mit beidem zu tun. Sicher geht es vorrangig um Bauprodukte, also Bausysteme und industrielle Prozesse. Die haben einen erheblichen Einfluss auf die Nachhaltigkeitsperformance eines Gebäudes. Dabei ist die Bauindustrie für uns Architekten ein großer Partner, weil sie entsprechende nachhaltige Produkte, d. h. ökologisch verträgliche, langlebige, regenerative Materialien, entwickelt. Es gibt auch recyclingfreundliche, CO2-arme, wiederverwertbare Baustoffe. Normalerweise wird der verbaute Beton später entsorgt. Er kann aber auch wiederaufbereitet und -verwendet werden. Ein anderes Thema in diesem Kontext sind rückbaufreundliche Baukonstruktionen.

 

Ist Beton beim Bauen per se weniger nachhaltig als z. B. ein nachwachsender Rohstoff wie Holz?

Zahlen aus einer Studie des Verbands Holzbau Baden-Württemberg von 2017 zeigen, dass bei der Herstellung von Gebäuden aus Holz der CO2-Ausstoß um bis zu 50 Prozent geringer ist als bei der Verwendung von mineralischen Baustoffen – Steine, Ziegel, Beton und so weiter. Bei solchen Zahlen muss man aber immer aufpassen. Denn das gilt auch nur, wenn das Holz regional besorgt wird. In dem Moment, wo ich Holz weit transportieren muss, verschlechtert sich die Bilanz. Eine andere Einschränkung entsteht bei Holztragwerken mit großen Spannweiten: Hier handelt es sich um Holzwerkstoffe, die z. B. Klebestoffe enthalten – auch dann fällt die CO2-Bilanz deutlich schlechter aus. Das Thema ist komplex.

Zement steht eher schlecht da: Zwei Prozent der deutschen und acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden durch die Zementherstellung verursacht. Aber alles, was unter der Erde gebaut wird – nehmen Sie wieder das Beispiel der Freizeitbäder –, kann man nicht aus Holz bauen. Dazu kommen weitere Infrastrukturen wie Brücken oder andere hochbelastbare Elemente. Dafür ist Beton ein wichtiger Baustoff, der nicht ohne Weiteres abzusetzen ist. Aber wie erwähnt: Hier ist z. B. Recyclingbeton, der deutlich CO2-ärmer ist, eine Alternative. Denn er geht in den Kreislauf zurück. Stichwort: Cradle to Cradle. Das ist ein Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft, der Ende der 1990er Jahre vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entworfen wurde. Alles ist in einem Kreislauf – das ist der Idealfall: Alles ist wiederverwertbar und es entsteht kein Müll. Das wäre das Ziel, ist aber nur erreichbar, wenn alle am Bau Beteiligten mitziehen.

 

Stichwort Baukultur: Inwieweit gehen nachhaltig gebaute Architektur und Ästhetik Hand in Hand?

Das ist erst mal nicht zwingend. Viele Aspekte der Nachhaltigkeit kann man nach festgelegten Kriterien messen und bewerten, wie z. B. die Ökobilanz von Materialien, Raumluftqualität, Akustik und natürlich den Energieverbrauch. Die spielen aber bei Ästhetik und Baukultur erst mal keine Rolle. Bei 4a Architekten sehen wir in Architektur mehr als nur die Erfüllung von Raumprogrammen. Um auf die Freizeitbäder zurückzukommen: Hier sind gestalterische Entscheidungen von zentraler Bedeutung für einen erfolgreichen Betrieb und eine wirtschaftliche Effizienz. Wir reden über Aufenthaltsqualitäten und Atmosphäre, die die Besucherakzeptanz bedingen. Je freundlicher und einladender, desto höher ist die Akzeptanz bei den Nutzern und der langfristige Erfolg für den Betreiber. Hinter jeder Gestaltungsentscheidung steht immer ein Thema, das die Nachhaltigkeit letztendlich berührt. Die technische Seite der Nachhaltigkeit eines Gebäudes ist für uns Pflichtprogramm und Grundvoraussetzung. Darüber hinaus beginnt die identitätsstiftende Gestaltungsqualität.

 

Könnte man schlussfolgern: Je höher die Gestaltungsqualität einer Architektur, desto nachhaltiger das Gebäude – im Sinne dessen, dass es länger Bestand hat, da es als schön und bereichernd empfunden wird?

Grundsätzlich ja. Im Prinzip ist es ein gelungenes Gebäude, wenn die Besucher oder Bewohner sich dort über einen langen Zeitraum wohlfühlen. Das Wohlfühlen kann durch die Wahl von ökologisch einwandfreien Materialien erzeugt werden – aber auch durch Ästhetik. Wir betrachten das grundsätzlich zusammen. Wir planen unsere Gebäude von außen nach innen und von innen nach außen. D. h. wir übernehmen auch die Innenraumgestaltung, sodass innen und außen eine Einheit bilden. Natürlich gehört dazu auch, dass sich die Gebäude in ihre Umgebung einfügen – entsprechend kommt der Stadt- und Landschaftsplanung eine Bedeutung beim nachhaltigen Bauen zu. Die Stadtplanung definiert die Stadträume, d. h. sie ist ein großer Einflussgeber. Sie stellt ein Verhältnis zwischen Außen- und Innenraum, zwischen bebauten und unbebauten Flächen her.

Zeit und Kosten sind bedeutende Faktoren beim Bauen. Inwieweit ist nachhaltige Architektur zeitintensiver und teurer?

Das hängt zuerst einmal von den Gebäuden ab – ist es ein Bürogebäude, ein Wohnungsbau, ein Freizeitbad? Im Schnitt ist das nachhaltige Bauen zwischen fünf und zehn Prozent teurer. Das wird bedingt durch bessere, ökologischere Materialien, die in ihrer Herstellung aufwendiger und somit teurer sind. Betrachtet man aber den Lebenszyklus eines Gebäudes, kann sich das stark ändern. Nehmen Sie das Beispiel Aluminium: Die Herstellung ist zwar energieaufwendig, aber die Lebensdauer ist lang und entsprechend die Wiederverwertbarkeit im Lebenszyklus sehr hoch, was sich dann positiv auf die Ökobilanz auswirkt. Die Aluminiumindustrie ist inzwischen so weit, dass 70 Prozent des produzierten Aluminiums wiederverwendet werden können. Damit verbessern sich die Werte bzgl. der Nachhaltigkeit auch. Wir können bei der Planung also nicht nur die Baukosten berücksichtigen, sondern müssen vor allem auch die Betriebs- und Unterhaltungskosten in den Blick nehmen.

 

Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sieht einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis zur Mitte des Jahrhunderts vor. Halten Sie das für ein realistisch umsetzbares Ziel?

Wenn es uns gelingt, das Cradle-to-Cradle-Prinzip umzusetzen, dann würden wir sicher dieses Ziel erreichen. Das Ziel war ja, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Jetzt liest man überall nur: Es wurde weit gefehlt. Aktuell sieht es so aus, dass wir anstelle der 40 Prozent nur um 15 bis 20 Prozent senken konnten. Wichtig dabei ist, dass mehr als 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen dem Gebäudesektor zufallen. D. h. die Nachhaltigkeit beim Bauen ist von entscheidender Bedeutung. Aber wir sind auf einem guten Weg zum verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Sowohl Planer als auch Industrie sind in CO2-neutrales Bauen eingebunden. Sie arbeiten massiv daran, die Energieeffizienz zu steigern. Dabei sind insbesondere zwei Punkte wichtig: Erstens, als Primärenergie muss die fossile durch erneuerbare Energie ersetzt werden; dabei werden Fotovoltaik, Windkraft und Erdwärme eingesetzt. So können sogenannte Energie-plus-Häuser entstehen. Zweitens soll der Energieverbrauch minimiert werden. Da kommt man schnell in eine Verzichtsdebatte – und das ist es gerade nicht. Ein gutes Beispiel: Eine LED mit 15 Watt ersetzt die Glühbirne mit 75 Watt. Es entsteht die fünffache Einsparung an Energie – ohne Qualitätsverluste. Genauso hochwertige, nachhaltige und energiesparende Gebäudehüllen sind auch kein Thema mehr.

Stattdessen müssen wir aber mal einen Blick auf das Wohnen werfen: In Westdeutschland standen einer Person 1960 19,6 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. 1991 waren es laut Statistischem Bundesamt schon 34,9 Quadratmeter pro Person; 2018 dann 45,1 Quadratmeter pro Person. Ein großer Teil entfällt auf die immer mehr zunehmenden Single-Haushalte. Da ist ein Thema: Können wir uns den Raumbedarf weiter leisten? Oder ist der zu begrenzen?  Bzgl. der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung heißt das in der Konsequenz für die Städte auch: weniger Neubauten. Stattdessen bedarf es einer klaren Aufwertung des Bestandes.

 

Ist die Umnutzung prinzipiell nachhaltiger als Neubau?

Grundsätzlich muss man sagen, vorhandene Bausubstanz zu verwerten, bedeutet immer, dass ich einen Grundstock, einen Rohbau, habe. Damit stehen 30 bis 35 Prozent vom Gebäude, was wiederum Auswirkungen auf die Primärenergie hat und deutlich weniger CO2 in der Herstellung bedeutet. Es kann so auch der Flächenverbrauch reduziert werden, wenn in den Städten große Flächen frei werden, und man diese für Wohnungsbau nutzt, maßvoll verdichtet und nachhaltig aufwertet. Einige Beispiele sind z. B. Parkhäuser, die in Wohnraum umgebaut werden, oder Kirchen, in denen Büroraum geschaffen wird. Das hat natürlich positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit. Aber dabei kommt es auch oft zu einer Kollision mit neu geltenden DIN-Vorschriften bzgl. Brandschutz, Tragwerksthemen, Erdbebensicherheit. Alte Gebäude erfüllen diese Vorschriften oft nicht.

 

Über Holz und Recyclingbeton haben wir gesprochen – was sind weitere Trends und Tendenzen beim nachhaltigen Bauen?

In der Technik gibt es folgende Trends: Primärenergie durch Fotovoltaikarten. Aber auch Windkraft ist nach wie vor Thema. Schon lange wird an einer intelligenten und energieeffizienten Gebäudetechnik gearbeitet. Eine Tendenz bei der Technik lautet: „Less is more“. D. h. wieder zurück zu weniger Technisierung; stattdessen wird der Fokus auf gute Bauweise mit dicken Wänden und natürlicher Belüftung anstelle von Lüftungs- und Klimaanlagen gelegt. Da spielt die Komfortfrage hinein: Muss drinnen auf 18 Grad gekühlt sein bei einer Außentemperatur von 30 Grad? Unser Komfortanspruch ist eine große Stellschraube. Beim Gebäude selbst ist Vorfertigung und modulare Bauweise eine Tendenz. Das verkürzt die Bauzeiten deutlich.

Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet immer weiter voran: komplett in 3D planen und die Gebäude digital weiterdenken bis zum Betrieb.

Cradle to Cradle kommt deutlich mehr. Wobei es kein Trend ist, sondern notwendig und alternativlos, wenn man tatsächlich die Klimaschutzziele der Bundesregierung für 2050 erreichen will.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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